Prof. Dr. Hanne Böckem, Dennis Bröcker
Tz. 8
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Bei einer Vielzahl von Transaktionen ist aufgrund von gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen oder aufgrund von privatrechtlichen Vereinbarungen die Aufstellung von kombinierten Abschlüssen erforderlich. Grundsätzlich kann zwischen regulierten und nicht regulierten Transaktionen unterschieden werden.
Zu den regulierten Transaktionen zählen insbesondere Aktienemissionen, bestimmte andere Eigenkapitalmaßnahmen sowie bestimmte Fremdfinanzierungen über den Kapitalmarkt (vgl. Pföhler et al., WPg 2014, S. 475ff.). Dabei ergibt sich die Pflicht zur Aufstellung kombinierter Abschlüsse idR nicht unmittelbar aus den prospektrechtlichen Anforderungen, sondern stellt faktisch die einzige Möglichkeit dar, um den zumeist allgemein gehaltenen Anforderungen des Prospektrechtes zur Aufnahme historischer Finanzinformationen in einen Wertpapierprospekt gerecht zu werden.
In der EU ergibt sich die Pflicht zur Aufnahme historischer Finanzinformationen in einen Wertpapierprospekt aus der Verordnung (EU) 2017/1129 des Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 (PVO) im Zusammenhang mit der delegierten Verordnung (EU) 2019/980 der Kommission vom 14. März 2019 (PVO del). Hiernach sind insbesondere bei Aktienemissionen – aber auch bei anderen Kapitalmarkttransaktionen – geprüfte historische Finanzinformationen, die die letzten drei Geschäftsjahre abdecken, in den Wertpapierprospekt aufzunehmen (vgl. zB PVO del, Anhang 1, Abschnitt 18 bezüglich des Listings von Dividendenwerten).
Tz. 9
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Sofern der Emittent seine operative Geschäftstätigkeit nicht durch Jahres- oder Konzernabschlüsse darstellen kann, ist zu prüfen, ob eine sog. "komplexe finanztechnische Vorgeschichte" vorliegt (vgl. PVO del, Artikel 18). Dann hat der Emittent seine operative Geschäftstätigkeit anderweitig durch historische Finanzinformationen darzustellen. Eine komplexe finanztechnische Vorgeschichte liegt typischerweise dann vor, wenn in Vorbereitung der Kapitalmarkttransaktion erhebliche gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen zur Strukturierung eines neuen (Teil-)Konzerns erfolgt sind. Jahres- oder Konzernabschlüsse der neuen (Teil-)Konzernmutter nach IFRS bilden die Geschäftstätigkeit dann nur unzureichend ab, weil der (Teil-Konzern) erst durch die rechtliche Umstrukturierung entstanden ist und in den Vergleichsperioden Einheiten, in denen die Geschäftstätigkeit durchgeführt wird, nach den Konsolidierungsgrundsätzen der IFRS vielfach nicht einbezogen werden. Von den jeweils zuständigen Wertpapieraufsichtsstellen, zB die BaFin in Deutschland, wird in etwaigen Fällen vielfach akzeptiert, dass die erforderlichen historischen Finanzinformationen für die operative Geschäftstätigkeit des Emittenten in Form von kombinierten Abschlüssen erstellt werden. Eine konkrete Regelung in PVO und PVO del zur Aufstellung kombinierter Abschlüsse existiert indes nicht.
Tz. 10
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Zu den nicht regulierten Transaktionen zählen insbesondere M&A-Transaktionen. Dabei verlangen Käufer regelmäßig vom Verkäufer geprüfte historische Finanzinformationen über das Kaufobjekt. Anders als bei Kapitalmarkttransaktionen ist aber zwischen den Vertragsparteien frei verhandelbar, wie die Finanzinformationen konkret ausgestaltet werden sollen. In vielen Fällen werden vollwertige IFRS-Abschlüsse für definierte Berichtsperioden vor dem closing der betreffenden Transaktionen vereinbart (sog. Abschlüsse, die vollumfänglich die Anforderungen der IFRS erfüllen, vgl. KPMG, IFRS visuell, 9. Aufl., S. 258). Alternativ ist es aber auch möglich, sog. Abschlüsse für spezielle Zwecke aufzustellen. Dabei werden Rechnungslegungsgrundsätze angewendet, die darauf ausgerichtet sind, den Informationsbedürfnissen spezifischer Adressaten, bspw. dem Erwerber, gerecht zu werden. In der Praxis ist es üblich, einen sog. "IFRS Minus"-Ansatz zu verfolgen. Dabei werden als Grundsatz die IFRS vollumfänglich angewendet und bestimmte Ausnahmen definiert, bei denen von den IFRS abgewichen wird. ZB kann auf bestimmte Anhangangaben verzichtet werden. Auch bei der Erstellung kombinierter Abschlüsse bietet dieser Ansatz gewisse Vorzüge, da die Grundsätze zur Abgrenzung des Kombinierungskreises und zur Zuordnung von Vermögenswerten und Schulden bzw. der Allokation von Aufwendungen und Erträgen grundsätzlich im Vergleich zu einem vollständigen IFRS-Abschluss freier gestaltbar sind. Wenn der Abschluss – wie bei M&A-Transaktionen üblich – geprüft werden soll, sind bestimmte Anforderungen zu beachten ((vgl. IDW PS 480 "Prüfung von Abschlüssen, die nach Rechnungslegungsgrundsätzen für einen speziellen Zweck aufgestellt wurden" bzw. ISA 800 "Special Considerations – Audits of Financial Statements Prepared in Accordance with Special Purpose Frameworks"). So hat der Wirtschaftsprüfer festzustellen, ob die zur Anwendung vorgesehenen Rechnungslegungsgrundsätze unter den gegebenen Umständen vertretbar sind und im Einklang mit den bedeutsamsten Vertragsauslegungen, auf de...