Leitsatz
§ 50d Abs. 8 EStG 2002 (i.d.F. des StÄndG 2003) wird durch ein zeitlich nachfolgendes DBA nicht verdrängt.
Normenkette
§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 i.d.F. des AltEinkG, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007, Art. 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Aserbaidschan
Sachverhalt
Die im Streitjahr 2008 unbeschränkt steuerpflichtige Klägerin nahm an einer OSZE-Mission in Aserbaidschan (dortiger Aufenthalt von mehr als 183 Tagen) teil; in dieser Tätigkeit war sie weisungsgebunden. Sie erhielt zur teilweisen Kompensation von Lebenshaltungskosten am Einsatzort ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung (BLA) i.H.v. 45.793 EUR (Zahlung direkt von der OSZE). Darüber hinaus erhielt sie für diese Tätigkeit aufgrund einer Zuwendungsvereinbarung mit dem Auswärtigen Amt einen pauschalierten Aufwandsersatz i.H.v. 38.823 EUR. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit fielen Aufwendungen i.H.v. 15.350 EUR an (Fahrten, Flüge, Visakosten, Miete). Das FA setzte bei der ESt-Veranlagung die gesamten Bezüge als steuerpflichtige Einnahmen an, denen es zur Ermittlung der Einkünfte Werbungskosten (15.350 EUR) gegenrechnete. Das Besteuerungsrecht für die BLA folge aus § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 unbeschadet der Zuweisung des Besteuerungsrechts nach Art. 15 Abs. 1 des DBA-Aserbaidschan. Die Klage war überwiegend erfolgreich. Das FG Hamburg (Urteil vom 21.8.2013, 1 K 87/12, Haufe-Index 5532378, EFG 2013, 1932) nahm die BLA nach Maßgabe von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Aserbaidschan von der ESt-Bemessungsgrundlage aus. Es bezog die danach steuerfreien Einkünfte der Klägerin aber in die Berechnung des besonderen Steuersatzes (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007) ein. Werbungskosten (15.350 EUR) berücksichtigte es jeweils anteilig (7.043 EUR zur Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte – 31.780 EUR – bzw. 8.307 EUR zur Ermittlung der steuerfreien Einkünfte – 37.486 EUR).
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision des FA das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. "Karlsruhe" hatte bekanntlich gesprochen: Mit Beschluss vom 15.12.2015 (2 BvL 1/12, DStR 2016, 359) hat das BVerfG entschieden, dass keine allgemeinen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wenn Völkervertragsrecht durch innerstaatliches Gesetz "überschrieben" wird (sog. Treaty Override). Das spätere "einfache" Gesetz (dort: § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003) ist damit in der Lage, einschränkende Bedingungen für die abkommensrechtlich (dort: Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Türkei) bedingungslos eingeräumte Freistellung ausländischer Einkünfte einzuführen; einzige Grenze bilden die Individual-Grundrechte (insb. Art. 3 GG) der Betroffenen. Dem differenzierenden Gedanken einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (s. insoweit insb. das abweichende Sondervotum der BVerfG-Richterin König) wurde eine Absage erteilt. Ist das der manchenorts erhoffte (anderenorts befürchtete) "Freibrief" für den Gesetzgeber? (s.a. Gosch, DB 2016, Heft 15, M5 und zum verfahrenseinleitenden Vorlagebeschluss des BFH s. Gosch, BFH/PR 2012, 235; umfassende [kritische] Analyse jüngst von Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 2 AO Rz. 5 f. – Juli 2016).
2. Der konkrete Fall lotet nun auch mit Blick auf (aber ohne direkte Bindung an!) diese BVerfG-Entscheidung das "Rangverhältnis" von früherem "einfachen" Gesetz (hier: § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003) und späterem Abkommensrecht (hier: Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Aserbaidschan) aus. Ist die "formalrechtlich erforderliche Kenntlichmachung des Vorrangs" (BFH, Urteil vom 14.1.2009, I R 47/08, BFH/NV 2009, 854; dazu Gosch, BFH/PR 2009, 227) in § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 ("ungeachtet des Abkommens") als "Sperrwille" so deutlich (und damit wirkkräftig), dass er sich auch gegenüber künftigen DBA durchsetzt? Dies wird von Drüen, a.a.O., Rz. 6c (nur?) für die Formulierung "ungeachtet bestehender und zukünftiger DBA" zugestanden.
Die Lösung des BFH bezeugt hingegen der knappe Leitsatz: § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 wird durch das zeitlich nachfolgende DBA nicht verdrängt.
3. Der BFH deutet den Wortlaut (s. zu 2.) im Zusammenhang mit der amtlichen Überschrift zur Regelung ("Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen") dahin, dass eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht nicht vorliegt. Ebenso wird dem Argument keine Bedeutung beigemessen, dass im Zuge der Verhandlungen anderer (dem Inkrafttreten des § 50d Abs. 8 EStG 2002 ebenfalls nachfolgender) DBA zur Anwendung der Freistellungsmethode eine einschränkende Bedingung (tatsächliche Besteuerung im Ausübungsstaat) "hineinverhandelt" werden konnte. Denn damit wäre gleichsam eine Verpflichtung für den Verhandler (später: dem zustimmenden Normgeber) postuliert, eine solche Sachfrage vorrangig bilateral...