Leitsatz
1. Die Annahme eines Gewerbebetriebs im gewerbesteuerrechtlichen Sinne setzt das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG voraus; insbesondere die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Vorab (vor Betriebseröffnung) entstandene Betriebsausgaben sind daher gewerbesteuerrechtlich unbeachtlich.
2. Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch im Fall eines (von § 2 Abs. 5 GewStG erfassten) Betriebsübergangs im Ganzen.
3. Die Gewährleistungen der EUGrdRCh gelten nach ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei Durchführung des Rechts der Union, nicht aber bei der Durchführung von nicht harmonisierten Teilen des nationalen Rechts.
Normenkette
§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 4, Abs. 5, § 5 Abs. 2 GewStG, § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 15, Art. 16, Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh
Sachverhalt
Der Kläger pachtete ab dem 1.12.2017 einen Imbissbetrieb. Noch in diesem Monat renovierte er die angepachteten Räume; in dieser Zeit blieb der Imbiss geschlossen. Erst im Januar 2018 wurde der Imbissbetrieb für Gäste geöffnet. Die im Jahr 2017 vorab entstandenen Betriebsausgaben machte der Kläger nicht nur bei der ESt, sondern auch bei der GewSt geltend. Das FA lehnte den Abzug ab, weil ein Betrieb i.S.d. GewStG erst ab dem Zeitpunkt der Betriebseröffnung im Januar 2018 anzunehmen sei. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das FG der Klage insoweit statt, als es die Betriebsausgaben des Dezember 2017 berücksichtigte (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.7.2021, 3 K 1383/20, Haufe-Index 14863413, EFG 2021, 2003).
Entscheidung
Die Revision des FA führte aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Hinweis
1. Nur aktive Betriebe unterliegen der GewSt. Daran fehlt es, wenn sich ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft (noch) nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt. Demgegenüber gilt die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb (vgl. § 2 Abs. 2 GewStG).
2. Konsequenz der fehlenden Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr ist für Einzelunternehmer oder Personengesellschaften, dass sich vorweggenommene (vorab entstandene) Betriebsausgaben gewerbesteuerlich nicht auswirken.
3. Dieses Ergebnis folgt aus dem Wesen der GewSt als einer auf den tätigen Betrieb bezogenen Realsteuer. Es kommt für die GewSt nicht auf die persönliche Steuerpflicht eines Unternehmers, sondern auf die sachliche Steuerpflicht des Steuerobjekts an; diese beginnt erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Betrieb in Gang gesetzt worden ist. Damit weisen die Begriffe des gewerblichen Unternehmens (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und des Gewerbebetriebs (§ 2 Abs. 1 GewStG) in zeitlicher Hinsicht Unterschiede auf: Das einkommensteuerrechtlich relevante Erzielen gewerblicher Einkünfte kann früher beginnen und später enden als der Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG.
4.§ 2 Abs. 5 GewStG regelt keine Ausnahme von diesen allgemeinen Grundsätzen. Von dieser Vorschrift werden Fallgestaltungen erfasst, in denen ein Gewerbebetrieb im Ganzen auf einen anderen Unternehmer übergeht. Es gilt dann der Gewerbebetrieb als durch den bisherigen Unternehmer eingestellt (§ 2 Abs. 5 Satz 1 GewStG). Der Gewerbebetrieb gilt als durch den anderen Unternehmer neu gegründet, wenn er nicht mit einem bereits bestehenden Gewerbebetrieb vereinigt wird (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 2 GewStG).
5. Zwar nicht dem Wortlaut der Vorschrift, wohl aber sowohl der Entstehungsgeschichte als auch der Gesetzessystematik ist zu entnehmen, dass § 2 Abs. 5 GewStG die allgemeinen Grundsätze über den Zeitpunkt der Entstehung eines gewerbesteuerlichen Steuergegenstandes nicht verdrängen will.
6. Die zentrale Bedeutung des § 2 Abs. 5 GewStG liegt darin, den Übergang eines vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den neuen Betriebsinhaber auszuschließen (vgl. auch § 10a Satz 8 GewStG). Hierfür ist es aber unerheblich, ob der Zeitpunkt des Beginns des Gewerbebetriebs des neuen Betriebsinhabers nach Maßgabe der allgemeinen gewerbesteuerrechtlichen Grundsätze zu bestimmen ist oder ob ein nahtloser Übergang fingiert wird.
7. Unionsrechtliche oder verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gewerbesteuerliche Nichtberücksichtig der vorweggenommenen Betriebsausgaben bestehen nicht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt nicht vor, da anders als bei der ESt, die sich am Leistungsfähigkeitsprinzip orientiert, das wesentliche systemtragende Prinzip des GewSt-Rechts das Äquivalenzprinzip ist. Danach wird gewerbesteuerrechtlich nur das Ergebnis eines aktiven (lebenden) Betriebs erfasst. Dies hat spiegelbildlich den (in der Praxis gewöhnlich größeren) Vorteil, dass Veräußerungs- und Aufgabegewinne nicht der GewSt unterliegen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.8.2022 – X R 17/21