Leitsatz
Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des zum selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörenden Gartens sind keine außergewöhnlichen Belastungen.
Normenkette
§ 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Kläger sind verheiratet und wurden für das Streitjahr (2016) zur ESt zusammen veranlagt. Die Klägerin leidet an einem Post-Polio-Syndrom und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihr Schwerbehindertenausweis wies im Streitjahr einen Grad der Behinderung von 70 mit den Merkzeichen G und aG aus. Um die vor dem Eigenheim gelegenen Pflanzenbeete weiterhin erreichen zu können, ließen die Kläger den Weg vor ihrem Haus in eine gepflasterte Fläche ausbauen und Hochbeete anlegen. Das FA berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen. Das FG wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage ab (FG Münster, Urteil vom 15.1.2020, 7 K 2740/18 E, Haufe-Index 13704731, EFG 2020, 454).
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen bestätigt.
Hinweis
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die ESt dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG).
2. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine tatsächliche Zwangslage – die im Streitfall allein in Betracht kommt – kann nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation.
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht entschieden, dass die geltend gemachten Aufwendungen für den behindertengerechten Gartenumbau nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Denn sie sind der Klägerin nicht zwangsläufig entstanden. Zwar war die Umbaumaßnahme eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin. Die Klägerin war jedoch nicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet, derartige Konsumaufwendungen zu tragen. Die Umbaukosten standen (unter Anlegung des steuerlichen Maßstabs) vielmehr in ihrem Belieben. Diese Aufwendungen sind nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern – anders als die krankheits- oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen (existenznotwendigen) Wohnumfelds (vgl. BFH, Urteil vom 29.3.2012, VI R 70/10, BFH/NV 2012, 1237 und BFH, Urteil vom 6.5.1994, III R 27/92, BFH/NV 1995, 2, BStBl II 1995, 104) – in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeit-/Konsumverhaltens. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Nutzung/Bewirtschaftung eines (zum Wohnhaus gehörenden) Gartens für den Steuerpflichtigen seit jeher ein nachhaltig Lebensfreude stiftendes Hobby darstellt, welches mit zunehmender körperlicher Beeinträchtigung an Bedeutung gewinnen kann. Denn § 33 EStG unterscheidet tatbestandlich in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG lediglich zwischen steuererheblicher (aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen) zwangsläufiger und steuerunerheblicher beliebiger Einkommensverwendung. Ein Werturteil ist damit nicht verbunden.
Steuerermäßigung nach § 35a EStG
Ganz leer gingen die Kläger im Streitfall allerdings nicht aus. Denn in Höhe der auf den Gartenumbau entfallenden Lohnkosten steht ihnen wegen der Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 3 EStG zu.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.10.2022 – VI R 25/20