Leitsatz
1. Der Vermächtnisnehmer eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses erwirbt erbschaftsteuerrechtlich vom Beschwerten.
2. Fällt der erstberufene Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses weg, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer ebenfalls vom Beschwerten und nicht vom erstberufenen Vermächtnisnehmer.
Normenkette
§ 6, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 15 Abs. 1 ErbStG, § 2100, § 2139, §§ 2147ff., §§ 2176ff., § 2191 BGB
Sachverhalt
Der 1957 verstorbene Erblasser war Eigentümer eines Hausgrundstücks. In einem notariell beurkundeten Testament hatte er seine Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt und das Grundstück seinem Neffen vermacht. Das Vermächtnis sollte zwar mit dem Tod des Erblassers anfallen, Übergabe und Übereignung des Grundstücks konnte der Vermächtnisnehmer aber erst nach dem Tod der Ehefrau verlangen. Für den Fall, dass der Neffe das Vermächtnis nicht erwerben sollte, fiel es an dessen eheliche Abkömmlinge. Sollte der Neffe nach Anfall, aber vor Fälligkeit des Vermächtnisses sterben, fiel es an diese als Nachvermächtnisnehmer.
Der Neffe verstarb 2011 und wurde durch seine Kinder, den Kläger sowie dessen Bruder, beerbt. Im Jahre 2012 verstarb die Ehefrau des Erblassers. Danach wurde das Grundstück in Erfüllung der testamentarischen Verpflichtung auf den Kläger und dessen Bruder als Miteigentümer zu je ½ übertragen.
Das FA setzte gegenüber dem Kläger ErbSt für einen vermächtnisweisen Erwerb von Todes wegen von der Ehefrau des Erblassers fest und wandte dabei die Steuerklasse III an. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger die Anwendung der Steuerklasse I beantragte, blieben erfolglos (Hessisches FG, Urteil vom 6.11.2019, 10 K 1104/18, Haufe-Index 13628805, EFG 2020, 290).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück. Das Vermächtnis stelle erbschaftsteuerrechtlich einen Erwerb von Todes wegen nach der Ehefrau des Erblassers auf den Zeitpunkt seiner Fälligkeit dar. Das FA habe diesen Erwerb zutreffend unter Anwendung des § 15 Abs. 1 ErbStG mit Steuerklasse III besteuert.
Mit dem Tod des Erblassers habe dessen Neffe – der Vater des Klägers – noch keinen Vermächtniserwerb zu versteuern gehabt. Dasselbe habe für den Kläger und seinen Bruder beim Tod ihres Vaters gegolten. Das Vermächtnis sei erst mit dem Tod der Ehefrau des Erblassers fällig geworden. Auf diesen Zeitpunkt habe der Kläger es als von ihr stammend zu versteuern. In diesem Verhältnis sei die Steuerklasse III anzuwenden. Sollten die Erklärungen des Klägers als Antrag nach § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG zu verstehen sein, änderte sich an der Besteuerung nichts, da auch das Verhältnis des Klägers zu dem (ursprünglichen) Erblasser mit Steuerklasse III zu erfassen sei.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit den erbschaftsteuerrechtlichen Folgen, die sich ergeben, wenn ein Vermächtnis erst beim Tod des beschwerten Erben fällig wird, der Vermächtnisnehmer bereits davor stirbt und seine Kinder die zweitberufenen Vermächtnisnehmer sind.
1. Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während zivilrechtlich nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vorerbe als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der ErbSt.
Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG ist auf Antrag der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen.
2.§ 6 Abs. 4 ErbStG überträgt diese Systematik auf Vor- und Nachvermächtnisse sowie auf Vermächtnisse, die erst mit dem Tod des Beschwerten fällig werden.
a) Nach § 6 Abs. 4 Alternative 1 ErbStG stehen Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich. Ebenso wie zivilrechtlich nach § 2191 BGB i.V.m. §§ 2147ff. BGB Vor- und Nachvermächtnisnehmer entsprechend dem Vor- und Nacherben behandelt werden, fingiert diese Vorschrift für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nachvermächtnisnehmer das Vermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer erwirbt. Sowohl bei Anfall des Vorvermächtnisses als auch bei Anfall des Nachvermächtnisses entsteht ErbSt.
Wird der Vorvermächtnisnehmer entsprechend § 6 Abs. 1 ErbStG als Vermächtnisnehmer nach dem ursprünglichen Erblasser behandelt, unterliegt sein Vermächtniserwerb der ErbSt, ohne dass die Beschränkungen durch das Nachvermächtnis berücksichtigt werden können. Der Nachvermächtnisnehmer hat entsprechend § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei Eintritt des Nachvermächtnisfalls den Erwerb seines Vermächtnisses als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu versteuern und kann nur nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG auf Antrag der Verste...