Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Anspruch auf Prozesszinsen
Leitsatz (NV)
1. Es ist geklärt, dass § 236 AO keinen Anspruch auf Prozesszinsen vorsieht, wenn die vorausgegangene Entscheidung nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern im Steuererhebungsverfahren ergangen ist.
2. Das gilt auch, wenn die Steuern nach § 227 AO erlassen worden sind.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3; AO §§ 227, 236; UStG § 14c
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 19.09.2006; Aktenzeichen 1 K 695/04) |
Tatbestand
I. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung war in den Unterlagen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) eine Rechnung vom 20. Juli 1990 gefunden worden, in der der Kläger Umsatzsteuer in Höhe von 110 623,54 DM gesondert ausgewiesen hatte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erhöhte die Umsatzsteuer für 1990 gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 um die ausgewiesene Steuer.
Im Jahr 1996 berichtigte der Kläger die Rechnung vom 20. Juli 1990. Das FA setzte die Umsatzsteuer für 1996 jedoch fest, ohne die Berichtigung zu berücksichtigen. Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger zurück.
Mit Antrag vom 16. Juni 1998 beantragte der Kläger den "Erlass der Umsatzsteuer 1996 gemäß § 227 AO". Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom … statt und tenorierte wie folgt: "Unter Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes … wird die Umsatzsteuer in Höhe von 110.623,54 DM (56.560,92 €) erlassen." Das FA verstand das Urteil als Verpflichtung zum Erlass einer entsprechenden Verfügung, die es am 8. Juli 2003 erließ.
Daraufhin beantragte der Kläger beim FA, Prozesszinsen nach § 236 der Abgabenordnung (AO) festzusetzen. Antrag, Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seines klageabweisenden Urteils führte das FG im Wesentlichen aus, nach § 236 Abs. 1 AO setze der Anspruch auf Prozesszinsen voraus, dass eine festgesetzte Steuer herabgesetzt werde. Der Erlass einer Steuer nach § 227 AO sei aber keine Herabsetzung i.S. des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO.
An diesem Ergebnis ändere auch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. April 2006 I R 80/04 (BFH/NV 2006, 1435) nichts, in dem der BFH ausgeführt habe, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen sei, den Begriff des Herabsetzens einer festgesetzten Steuer i.S. von § 236 Abs. 1 Satz 1 AO "wirtschaftlich" mit Blick auf das angestrebte und erzielte wirtschaftliche Ergebnis zu verstehen. Denn im Beschluss vom 27. April 2005 I R 80/04 (BFH/NV 2005, 1481), der dem Urteil vom 5. April 2006 vorangegangen sei, habe der BFH ausdrücklich ausgeführt, dass eine Steuerherabsetzung im Billigkeitswege von der (möglicherweise) geänderten Rechtsprechung nicht erfasst sei.
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Zur Begründung der Beschwerde trägt er im Wesentlichen vor, der BFH habe bisher nicht über die Frage entschieden, ob eine Verzinsung nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO allein deshalb auszuschließen sei, weil das FA den Verwaltungsakt über die Minderung der Steuer formell mit § 227 AO begründet habe, das wirtschaftliche Ergebnis jedoch einer Herabsetzung der Steuer entspreche. Mit Urteil vom 19. September 2000 habe der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache C-454/98, Schmeinck & Cofreth und Manfred Strobel (Umsatzsteuer-Rundschau 2000, 470) entschieden, dass nach Beseitigung der Gefährdung die Berichtigung der Steuer nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehe. Die §§ 227, 163 AO beträfen jedoch ausschließlich Ermessensentscheidungen. Das Ermessen des FA sei bei der Entscheidung über den Erlass der Umsatzsteuer auf Null reduziert gewesen. Liege jedoch keine wirkliche Ermessensentscheidung vor, könne ihm, dem Kläger, nicht entgegengehalten werden, die Rechtsfolge des § 236 Abs. 1 AO sei ihm allein durch die Bezeichnung des Verwaltungsaktes zu verwehren.
Der Kläger beantragt,
die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO).
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1997 II B 12/97, BFHE 184, 118, BStBl II 1998, 56). Dieses Allgemeininteresse ist auch für den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO erforderlich. Darüber hinaus setzen sowohl § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO als auch § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO voraus, dass es sich um eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage handelt.
2. An den Voraussetzungen der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO fehlt es, weil die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage erforderlich machen. Es ist geklärt, dass § 236 AO keinen Anspruch auf Prozesszinsen vorsieht, wenn die vorausgegangene gerichtliche Entscheidung nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern --wie hier-- im Steuererhebungsverfahren ergangen ist. Das gilt auch, wenn die Steuern nach § 227 AO erlassen worden sind (BFH-Beschluss vom 20. Januar 1999 IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055). Auch das BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1435 führt zu keinem anderen Ergebnis. Der I. Senat ist darin wegen einer besonderen Verfahrenskonstellation zu einem anderen Ergebnis gekommen. Für "Streitigkeiten im Erhebungsverfahren ohne Bezug zu einer Steuerfestsetzung" hält auch der I. Senat in dem o.g. Urteil an der bisherigen Rechtsprechung fest.
Soweit der Kläger vorträgt, ihm würden Prozesszinsen allein durch die Bezeichnung des Verwaltungsaktes verwehrt, kann der Senat dem nicht folgen. Das Erlassverfahren ist ein vom Festsetzungsverfahren gesondertes Verfahren, so dass es dabei nicht allein um die Bezeichnung des Verwaltungsaktes geht. Der Kläger selbst hat den Streit im Festsetzungsverfahren durch Rücknahme der Klage beendet und stattdessen das Erlassverfahren betrieben. Deshalb muss auch unberücksichtigt bleiben, ob die Rechtsfolgen der Berichtigung --wie nunmehr ausdrücklich in der durch Art. 5 Nr. 18 des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) mit Wirkung ab 1. Januar 2004 eingefügten Regelung des § 14c UStG vorgesehen-- richtigerweise im Steuerfestsetzungsverfahren hätten berücksichtigt werden müssen.
Fundstellen