Entscheidungsstichwort (Thema)
Ist die Einbehaltung von inländischer Quellensteuer gegenüber einer britischen Kapitalgesellschaft formell rechtmäßig?
Leitsatz (NV)
1. Eine Steueranmeldung steht nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) gleich. Ihre Aussetzung der Vollziehung ist deshalb grundsätzlich möglich.
2. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG setzt keine Einkünfte aus, sondern nur eine solche durch künsterlische Darbietung voraus.
Normenkette
FGO § 69; AO § 168; EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 50a Abs. 4-5, §§ 50d, 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d; DBA GBR Art. III Abs. 1; DBA GBR Art. XVIII Teil A Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Hessische Finanzgericht (FG) hat durch Beschluß vom 26. November 1992 den Antrag der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) gegen den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) wegen Aussetzung der Vollziehung einer Steueranmeldung gemäß § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) wegen einbehaltener Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag als unbegründet zurückgewiesen. Auf nachträgliche Gegenvorstellungen der Antragstellerin hat es durch Beschluß vom 7. August 1993 die Beschwerde zugelassen. Diese wurde von der Antragstellerin am 13. August 1993 eingelegt. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Antragstellerin ist eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in Großbritannien. Sie führte im zweiten Quartal 1992 eine Konzerttournee mit dem britischen Sänger X durch die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) durch. Inländischer Vertragspartner der Antragstellerin, die im Inland weder über eine Betriebsstätte noch über einen ständigen Vertreter verfügte, war die Y-GmbH. Diese zahlte nur an die Antragstellerin das vertraglich vereinbarte Entgelt, von dem sie allerdings gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) inländische Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag einbehielt. Die Y-GmbH meldete die einbehaltenen Steuern am 4. August 1992 beim FA an, ohne sie abzuführen, weil die Antragstellerin beim Bundesamt für Finanzen (BfF) die Freistellung der Einkünfte von Quellensteuerabzug beantragt hatte. Über den Antrag ist - soweit dem Senat bekannt - noch nicht entschieden.
Die Antragstellerin legte gegen die Steueranmeldung durch die Y-GmbH Einspruch beim Antragsgegner ein, über den ebenfalls - soweit bekannt - noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung der Steueranmeldung. Diesen Antrag wies das FA durch Verfügung vom 24. September 1992 zurück. Deshalb stellte die Antragstellerin am 10. Oktober 1992 einen entsprechenden Antrag beim FG. Zur Begründung machte sie geltend, nach Art. III Abs. 1 des Abkommens vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 - DBA Großbritannien - (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) stehe das Besteuerungsrecht ausschließlich Großbritannien zu. Der Quellensteuerabzug verstoße außerdem gegen Art. 3, 5, 12 und 14 des Grundgesetzes (GG). § 50d Abs. 3 EStG verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und gegen Art. 59ff. des Vertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV).
Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung - wie eingangs erwähnt - als unbegründet ab. Sein Beschluß ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 210 veröffentlicht.
Mit ihrer Beschwerde vom 13. August 1993 verfolgt die Antragstellerin ihr Aussetzungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides auf Antrag aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn die Prüfung der Sach- und Rechtslage auf Grund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhaltes in entscheidungserheblicher Weise zu Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtslage oder zu Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 76ff. m.w.N.). Eine unbillige Härte ist i.S. des § 69 Abs. 2 FGO anzunehmen, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Steuerzahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind (vgl. BFH-Beschluß vom 24. November 1988 IV S 1/86, BFH/NV 1990, 295). Derartige Aussetzungsgründe sind jedoch im Streitfall nicht zu erkennen.
2. Mit Rücksicht auf § 168 der Abgabenordnung (AO 1977) steht die Steueranmeldung vom 4. August 1992 einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Ihre Aussetzung der Vollziehung ist deshalb grundsätzlich möglich.
3. Die Steueranmeldung vom 4. August 1992 ist formell rechtmäßig. Die Frage, ob § 73e EStDV in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EStG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage findet, berührt die formelle Rechtmäßigkeit der Steueranmeldung nicht. § 73e EStDV verpflichtet nur den Schuldner, nicht aber auch den Gläubiger einer Vergütung i.S. des § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG zu einer Steueranmeldung. Insoweit greift die Vorschrift nicht in die Rechte der Antragstellerin, sondern in die der Y-GmbH ein. Selbst wenn man unterstellt, daß für die Y-GmbH als die Schuldnerin der Vergütung keine Rechtspflicht zur Abgabe einer Steueranmeldung bestanden hätte, so hätte dies nur zur Folge, daß die Steueranmeldung vom 4. August 1992 eine ohne Rechtspflicht abgegebene wäre. Auf sie fände dennoch § 168 Satz 1 AO 1977 Anwendung. Die Frage, ob der Quellensteuerabzug rechtmäßig vorgenommen wurde, wäre nach § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG zu beurteilen. Dort ist aber der Quellensteuerabzug, d.h. die Einbehaltung der Körperschaftsteuer von der Vergütung gesetzlich angeordnet.
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG, die von der Antragstellerin mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffen wurden, sind materielle Rechtsfehler innerhalb der Steueranmeldung vom 4. August 1992 nicht zu erkennen.
a) Die Antragstellerin war eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts ohne Sitz, Geschäftsleitung, Betriebsstätte oder ständigen Vertreter im Inland. Damit war sie eine Körperschaft i.S. des § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), die inländische, gewerbliche Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG erzielte. Mit diesen Einkünften war die Antragstellerin beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§§ 2 Nrn. 1, 8 Abs. 1 KStG, 49 EStG).
b) Als Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts ohne Sitz, Geschäftsleitung oder Zweigniederlassung im Inland fiel die Antragstellerin zwar nicht unter § 8 Abs. 2 KStG (vgl. BFH-Beschluß vom 30. August 1989 I B 39/89, BFH/NV 1990, 161). Sie erzielte deshalb keine gewerblichen Einkünfte kraft Rechsform. Sie bot jedoch künsterlische Leistungen gegen Entgelt an, ohne dieselben in eigener Person zu erbringen. Die künstlerischen Leistungen wurden durch den von der Antragstellerin engagierten Sänger X erbracht. Damit war die Tätigkeit der Antragstellerin eine selbständige, die nachhaltig und mit Gewinnerzielungsabsicht unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr ausgeübt wurde. Sie fiel nicht unter § 18 EStG, weshalb sie als eine gewerbliche i.S. der §§ 15, Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu beurteilen ist.
c) Auch wenn die Antragstellerin im Inland weder über eine Betriebsstätte verfügte noch einen ständigen Vertreter bestellt hatte, so sind die von ihr erzielten Einkünfte dennoch inländische i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, weil sie im Inland durch künstlerische Darbietungen erzielt wurden. Dazu ist nicht erforderlich, daß die Antragstellerin höchstpersönlich künstlerische Leistungen darbot. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG verlangt keine Einkünfte aus, sondern nur solche durch künstlerische Darbietungen (vgl. Lüdicke in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 49, Rdnr. 469). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein ausländischer Veranstalter einem inländischen Unternehmen Künstler für Darbietungen im Inland gegen Entgelt überläßt.
d) Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 KStG finden auf die Durchführung der Besteuerung die Vorschriften des EStG entsprechende Anwendung. Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird bei Einkünften durch künstlerische Darbietungen i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG die Körperschaftsteuer im Wege des Steuerabzugs erhoben. Gemäß § 50a Abs. 4 Satz 3 EStG beträgt sie 15 v.H. der Einnahmen. Dem entspricht die von der Antragstellerin angefochtene Steueranmeldung.
5. Die Steueranmeldung steht nicht im Widerspruch zum DBA-Großbritannien. Zwar ist die Bundesrepublik möglicherweise nach Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien verpflichtet, die streitigen Einkünfte im Inland letztlich steuerfrei zu stellen. Nach Art. XVIII A Abs. 4 DBA-Großbritannien berührt diese Steuerbefreiung jedoch nicht den Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG. Vielmehr ist die Antragstellerin gehalten, ihren möglichen Anspruch auf Steuerbefreiung in einem besonderen Erstattungsverfahren gegenüber dem BfF geltend zu machen. Nur in diesem Verfahren ist über eine Steuerbefreiung nach Art. III Abs. 1 DBA-Großbritannien zu entscheiden (§ 50d Abs. 1 EStG).
6. Der Quellensteuerabzug gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar bedeutet er eine zunächst verfahrensrechtlich wirkende Ungleichbehandlung von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch durch die in tatsächlicher Hinsicht bestehenden Unterschiede gerechtfertigt. Der beschränkt Steuerpflichtige ist nämlich eine im Ausland ansässige Person. Die Möglichkeiten, ihn im Ausland steuerlich zu erfassen, ihn zu veranlagen und einen Steueranspruch ihm gegenüber durchzusetzen, sind wegen der eingeschränkten Hoheitsbefugnisse inländischer Finanzbehörden im Ausland wesentlich erschwert. In vielen Fällen ist der Quellensteuerabzug faktisch die einzige Möglichkeit, einen objektiv bestehenden Steueranspruch durchzusetzen. Deshalb entspricht der Quellensteuerabzug jedenfalls dann dem Gleichbehandlungsgebot, wenn andernfalls eine inländische Steuer von dem beschränkt Steuerpflichtigen nicht erhoben werden könnte.
Für das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG) ist anerkannt, daß die Wahrung der finanziellen Interessen eines EG-Mitgliedstaates besondere gesetzliche Vorschriften für Steuerausländer rechtfertigen kann (vgl. die Erwägungen des Rates der Europäischen Gemeinschaften in der Fusionsrichtlinie vom 23. Juli 1990, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 225 S. 1). Der Quellensteuerabzug gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG knüpft im übrigen nicht an die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen an. Insoweit werden deutsche Staatsangehörige und die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gleich behandelt. Die Vorschrift behindert auch nicht den freien Dienstleistungsverkehr oder die Niederlassungsfreiheit, weil der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet ist, rechtzeitig einen Freistellungsantrag zu stellen und auf diese Weise den Quellensteuerabzug zu verhindern. Aus dem gleichen Grunde wirkt § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG auch nicht diskriminierend. Der Quellensteuerabzug hat nur Vorauszahlungscharakter. Die Antragstellerin kann sich deshalb auch nur gegen die Regelung des § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungswirkung) wenden. Dies würde allerdings voraussetzen, daß im Falle einer Veranlagung eine geringere Körperschaftsteuer zu erheben wäre. Dies hat die Antragstellerin bisher nicht schlüssig dargelegt.
Der Senat hält den Quellensteuerabzug als solchen für verfassungsrechtlich unbedenklich, weil er rechtssystematisch mit den Vorschriften über die Festsetzung und Erhebung von Vorauszahlungen vergleichbar ist. Die Frage, ob die in § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG geregelte Abgeltungswirkung möglicherweise verfassungswidrig ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Im Streitfall erübrigt sich ein Eingehen auf diese Rechtsfrage schon deshalb, weil die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt hat, daß sie durch die gesetzliche Regelung gegenüber anderen Steuerpflichtigen schlechtergestellt ist. Eine solche Schlechterstellung ist bei Einnahmen von knapp 4 Mio DM und einem Quellensteuersatz von nur 15 v.H. nicht zu erkennen. Sie entfiele erst recht, wenn die Quellensteuer an die Antragstellerin zu erstatten und der Quellensteuerabzug nur auf den verspätet gestellten Freistellungsantrag zurückzuführen sein sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 419731 |
BFH/NV 1994, 864 |