Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzungsrüge und Begründungsmangel
Leitsatz (NV)
- Das Vorbringen, der Prozessbevollmächtigte habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung einen Richter am FG weggehen sehen, so dass die angeblich geheime Beratung nicht anschließend stattgefunden haben konnte, ist nicht schlüssig, wenn Ausführungen zu der Tatsache fehlen, ob der Richter zurückgekommen ist oder nicht.
- Fehlen Ausspruch und Begründung über die Nichtzulassung der Revision, so liegt darin kein Mangel im Sinne des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, weil diese Entscheidung auch konkludent getroffen werden kann.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5
Tatbestand
I. Mit Urteil vom 10. November 1998 3 K 393/96 E hat das Finanzgericht (FG) die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Einkommensteuer 1992 abgewiesen. Die Revision hat das FG nicht zugelassen. Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision, mit der die Klägerin geltend macht, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen und die Vorentscheidung nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Nach Akteneinsicht sei nicht nachzuvollziehen, ob das Gericht bei der Beratung und Urteilsverkündung vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung habe eine Richterin das Gerichtsgebäude verlassen. Die Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO werde daher vorsorglich erhoben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig (§ 124 FGO).
1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie ausdrücklich zugelassen hat oder wenn der Fall einer nach § 116 FGO zulassungsfreien Revision vorliegt.
Die Revision wurde vom FG nicht zugelassen. Die Zulassung kommt auch nicht mehr in Betracht. Der Senat hat die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision durch Beschluss vom heutigen Tag zurückgewiesen.
2. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist die Zulassung zur Einlegung der Revision entbehrlich, wenn als wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird, dass das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
Die Klägerin hat in der Revisionsbegründung geltend gemacht, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Richterin am FG weggehen sehen, so dass auch nach Akteneinsicht nicht nachzuvollziehen sei, ob das Gericht bei der Beratung und Urteilsverkündung vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.
Diese Verfahrensrüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts bei der Beratung und Urteilsabstimmung ist nicht schlüssig erhoben. Dabei sieht der Senat darüber hinweg, dass die Rüge "vorsorglich" erhoben wurde. Diese von der Klägerin erklärte Einschränkung indiziert letztlich nur die Unschlüssigkeit ihrer Rüge.
Zu der Tatsache, ob die Richterin zurückgekommen ist oder nicht, fehlen Ausführungen, zumal das angefochtene Urteil von der Richterin mit unterschrieben wurde. Ein Verfahrensverstoß ist damit nicht begründet. Es ist somit keine Tatsache bezeichnet, die den Mangel der vorschriftswidrigen Besetzung ergibt.
3. Auch der Verfahrensmangel fehlender Begründung der Vorentscheidung (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO) ist nicht schlüssig gerügt. Der Vortrag der Klägerin, das FG habe sich in dem angefochtenen Urteil mit ihrem Begehren, hilfsweise die Revision zuzulassen und die Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Gewährung des Steuerabzugsbetrags nach § 9 Abs. 1 Satz 3 der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer - Steueränderungsgesetz (DBStÄndG DDR) vom 16. März 1990 bei gewerblich und selbständig Tätigen zu prüfen, offensichtlich nicht auseinandergesetzt, ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn das FG seine Entscheidung hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht begründet hat (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 1. Juli 1998 IV R 19/98, BFH/NV 1999, 189). Soweit die Klägerin aber geltend macht, das FG habe nicht über den von ihr gestellten "Hilfsantrag zu 2" entschieden, "die Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Handhabung bei Selbständigen gegenüber Gewerbetreibenden zu prüfen", rügt sie lediglich eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 FGO nicht gestützt werden kann. Ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO wie des § 119 Nr. 6 FGO liegt nämlich auch dann nicht vor, wenn im angefochtenen Urteil Gründe übergangen sind, die das Gericht zwar hätte bedenken müssen, die es tatsächlich aber nicht bedacht hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 119 Rz. 25, m.w.N.). Im Übrigen hat sich dem FG die Frage einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung im Streitfall nicht gestellt. Das FG hat seine Entscheidung nämlich maßgeblich auf ein Urteil des XI. Senats des BFH vom 14. Dezember 1994 XI R 39/94 (BFHE 176, 406, BStBl II 1995, 320) gestützt. Danach ist auch ein Gewerbebetrieb i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DBStÄndG DDR erst eröffnet, wenn die Geschäftstätigkeit nach außen in Erscheinung tritt. Da auch in jenem Fall der Steuerabzugsbetrag nach § 9 Abs. 1 Satz 3 DBStÄndG DDR versagt wurde, hatte das FG keine Veranlassung, im Streitfall eine gleichheitswidrige Bevorzugung Gewerbetreibender zu erwägen.
Aber auch das von der Klägerin gerügte Fehlen des Ausspruchs der Nichtzulassung der Revision und einer Begründung dieser Entscheidung begründet keinen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Eine solche Entscheidung nämlich kann auch konkludent getroffen werden. Enthält das FG-Urteil ―wie im Streitfall― keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie versagt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646; vom 22. September 1994 VIII R 45/94, BFH/NV 1995, 426; vom 21. März 1995 VIII R 7/95, BFH/NV 1995, 995). Demgemäß stellt auch die fehlende Begründung der Nichtzulassung keinen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar (vgl. auch BFH-Beschluss vom 27. März 1998 X R 105/96, BFH/NV 1998, 1488).
Schließlich führt die Rüge, das FG habe den Sachverhalt nicht aufgeklärt und insbesondere von ihr, der Klägerin benannte Zeuginnen nicht geladen und vernommen, nicht zur Annahme eines Mangels i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO; eine derartige Rüge kann nur im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zur Zulassung der Revision führen.
4. Soweit die Klägerin vorträgt, die Akteneinsicht habe ergeben, dass die FG-Akte weder die Aufforderung an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) zur Stellungnahme noch dessen Erwiderung auf die Nichtzulassungsbeschwerde enthalten habe, dadurch aber sei ihr Recht auf Gehör verletzt worden, kann ihre Revision keinen Erfolg haben. Die Versagung des rechtlichen Gehörs stellt zwar einen wesentlichen Verfahrensmangel (absoluten Revisionsgrund) i.S. des § 119 Nr. 3 FGO dar. Die Rüge dieses Mangels würde jedoch ―selbst wenn sie zuträfe― nicht die zulassungsfreie Revision i.S. des § 116 Abs. 1 FGO eröffnen (vgl. Gräber, a.a.O., § 96 Rz. 34, § 116 Rz. 1).
Fundstellen
Haufe-Index 424957 |
BFH/NV 2000, 736 |