Entscheidungsstichwort (Thema)

Milchgarantiemengenabgabe

 

Leitsatz (NV)

Die an eine Molkerei gelieferte Milch ist auch dann an einen "Käufer" i. S. des Art. 12 Buchst. e VO (EWG) Nr. 857/84 geliefert worden, wenn ein Kaufvertrag im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht vorliegt. Entscheidend ist nur die Tatsache, daß die über die Anlieferungsreferenzmenge hinaus erzeugte Milch in den Wirtschaftskreislauf gelangt ist, indem sie an die Molkerei geliefert wurde.

 

Normenkette

EGVtr Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); EWGV 857/84 Art. 12 Buchst. e

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --) nahm den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), einen milch erzeugenden Landwirt, durch geänderten Abgabenbescheid für Milchgarantiemengenabgabe in Höhe von ... DM in Anspruch. Grund dafür waren Feststellungen des Zollamts, die ergeben hatten, daß der Kläger in den 12-Monats-Zeiträumen (ZMZR) 1985/1986 bis 1988/1989 über seine Anlieferungsreferenzmenge (ARM) hinaus Milch erzeugt hatte, die wie folgt verwertet wurde:

Der ehemalige Geschäftsführer (H) der Molkerei hatte zusammen mit einem Landwirt mehrere Mastbetriebe gegründet, in denen Milch an Mastkälber verfüttert wurde. Da die Verfütterung von über die ARM hinausgehender (und somit nicht abgabenfrei an die Molkerei lieferbarer Milch) "Übermilch" im eigenen Betrieb nach der Milchgarantiemengenregelung nicht zur Abgabenerhebung führt, wurde eine Rechtskonstruktion entwikelt, nach der interessierte Landwirte -- wie der Kläger -- Kälber in den betreffenden Mastställen unter Anmietung der entsprechenden Anzahl von Boxen ankauften und unmittelbar nach Ablauf des jeweiligen ZMZR wieder an den Mäster verkauften. Die zur Mast angelieferte Übermilch sollte damit als im eigenen Betrieb verfüttert anzusehen sein. Tatsächlich hatte der Kläger weder Einfluß auf die Durchführung der Mast noch waren ihm bestimmte Tiere oder Boxen zugeordnet. Die Milch wurde beim Kläger mit Tankwagen der Molkerei abgeholt. Ungeklärt blieb, in welchem Umfang die Übermilch direkt zur Molkerei bzw. zu den Kälbermastbetrieben gelangte. Der Kläger erhielt unter Verrechnung des Ankaufs- und Verkaufspreises für die Kälber sowie der Boxenmiete von H für die ZMZR 1986/1987 und 1987/1988 bestimmte Geldbeträge ausbezahlt, die einem Preis von 0,35 DM pro Liter "Übermilch" entsprachen. Für die im Rahmen dieses Verfahrens im ZMZR 1988/1989 gelieferte "Übermilch" erhielt er von H keine Zahlung mehr.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Abgabenerhebung für einen Teilbetrag in Höhe von ... DM sei rechtmäßig.

Ein abgabenbefreiter Selbstverbrauch der Übermilch liege nicht vor. Er komme nur für die Verfütterung der Milch an solche Tiere in Betracht, die in den eigenen Betrieb des Milcherzeugers eingegliedert seien. Das setze voraus, daß der Milcherzeuger die unmittelbare Sachherrschaft selbst oder mit Hilfe weisungsgebundener oder abhängiger Arbeitnehmer ausübe. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt worden. Dies werde u. a. auch dadurch bestätigt, daß der Kläger nach seiner eigenen Erklärung in der Vernehmung bekundet habe, daß er den Ertrag in Höhe von ... DM bzw. ... DM (für die beiden ersten ZMZR) nicht für die Kälbermast, sondern die Milchanlieferungen erhalten habe.

Soweit die Milch unmittelbar an den Mastbetrieb gelangt sei, sei die Milchgarantiemengenabgabe nach §1 Nr. 2, §13 der Milch- Garantiemengen-Verordnung (MGVO) unmittelbar beim Kläger zu erheben, weil ihm keine Direktverkaufsreferenzmenge zustehe.

Entgegen seiner Auffassung sei der Kläger nach §3 i. V. m. §1 Abs. 1 Nr. 1 MGVO aber auch Abgabenschuldner hinsichtlich der Übermilchmenge geworden, die an die Molkerei geliefert worden sei. Daß hinsichtlich dieser Menge kein zivilrechtlicher Kaufvertrag vorliege, sei ohne Bedeutung.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen, weil die Entscheidung auf den Besonderheiten des Einzelfalles beruhe.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die grundsätzliche Bedeutung (§115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) der Rechtssache stützt. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebliche Auslegung des Begriffs "Lieferung an einen Käufer" i. S. des §3 i. V. m. §1 Nr. 1 MGVO sowie Art. 12 Buchst. e der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 (VO Nr. 857/84) des Rates vom 31. März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 90/13 mit Änderungen) sei bislang höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Die Auslegung des Begriffs sei für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam. Es stünden noch eine Vielzahl nicht abgeschlossener Einspruchsverfahren zur Entscheidung an. Im Oktober 1993 seien bereits 12 entsprechende Klageverfahren vor dem FG anhängig gewesen. Die Beantwortung der Auslegungsfragen fördere die noch nicht abgeschlossenen Verfahren sowie die einheitliche Entwicklung und Handhabung der komplizierten Regelungen der MGVO.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die aufgeworfene Rechtsfrage nach der Auslegung des Begriffs "Lieferung an einen Käufer" i. S. des §3 i. V. m. §1 Nr. 1 MGVO sowie des Art. 12 Buchst. e VO Nr. 857/84 ist nicht klärungsbedürftig.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat zwar noch nicht zu der aufgeworfenen Auslegungsfrage Stellung genommen, ein allgemeines Interesse an einer höchstrichterlichen Entscheidung dieser Frage kann aber nicht anerkannt werden, weil die Frage offensichtlich nur so beantwortet werden kann, wie dies die Vorentscheidung getan hat (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1989 VI B 78/88, BFHE 159, 196, BStBl II 1990, 344; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 9 m. w. N.). Danach ist die an eine Molkerei gelieferte Milch auch dann an einen "Käufer" i. S. des Art. 12 Buchst. e VO Nr. 857/84 geliefert worden, wenn ein Kaufvertrag im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht vorliegt. Entscheidend ist nur die Tatsache, daß die über die ARM hinaus erzeugte Milch in den Wirtschaftskreislauf gelangt ist, indem sie an die Molkerei geliefert wurde.

Zwar definiert Art. 12 Buchst. e VO Nr. 857/84 den "Käuer" als "ein Unternehmen oder eine Vereinigung, das bzw. die Milch oder andere Milcherzeugnisse kauft, um sie

-- zu be- oder verarbeiten,

-- an ein oder mehrere Unternehmen abzugeben, das bzw. die Milch oder Milcherzeugnisse be- oder verarbeiten ... "

Die Begriffe "Käufer" und "kaufen" dürfen aber nicht im Sinne des deutschen bürgerlichen Rechts verstanden werden. Das ergibt sich schon daraus, daß statt des Wortes "Käufer" in der Art. 12 Buchst. e VO Nr. 857/84 ersetzenden Nachfolgevorschrift des Art. 9 Buchst. e der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 (ABlEG L 405/1) das Wort "Abnehmer" verwendet wird. Daran zeigt sich, daß die Begriffe untechnisch, jedenfalls in einem weiteren Sinne, als nach dem deutschen Recht üblich, zu verstehen sind.

Dies folgt auch aus dem Zweck der Milchgarantiemengenabgaberegelung. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zielt das System der Milchgarantiemengenregelung nämlich darauf ab, auf dem durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Milchmarkt mittels einer Beschränkung der Milcherzeugung das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen (EuGH-Urteil vom 17. Mai 1988 Rs. 84/87, EuGHE 1988, 2647 Tz. 26). Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn alle erzeugten Mengen berücksichtigt werden, die auf die eine oder andere Weise in den Wirtschaftskreislauf gelangen und so Angebot und Nachfrage beeinflussen (EuGH-Urteil vom 23. November 1995 C- 285/93, EuGHE 1995, I-4069 Tz. 15. Demnach ist nur der Selbstverbrauch, der hier nach den Feststellungen des FG nicht vorliegt, für die Entstehung der Abgabe nicht zu berücksichtigen. Dagegen werden alle Mengen vom System der Milchgarantiemengenregelung erfaßt, die an andere Abnehmer (Molkerei oder Selbstverbraucher) geliefert werden. Unerheblich ist dabei, ob das zugrundeliegende obligatorische Geschäft als Kaufvertrag im Sinne des BGB zu werten ist. Entscheidend ist nur, daß der Erzeuger die Milch an eine andere Person liefert und sie damit in den Wirtschaftskreislauf gelangt (vgl. Schrömbges in Dorsch, Zollrecht, G II 1 Rz. 48).

Sofern die Begriffe "Käufer" und "kaufen" beinhalten sollten, daß die Milch entgeltlich geliefert wird (nach Schrömbges, a. a. O., ist dies nicht der Fall), wäre diese Voraussetzung jedenfalls im Streitfall gegeben. Denn nach den Feststellungen des FG lief die vom Kläger getroffene Vereinbarung auf eine Bezahlung der "Übermilch" mit 0,35 DM pro Liter hinaus; unerheblich ist, wer die Bezahlung im konkreten Fall übernommen hat und inwieweit die Vereinbarung insoweit tatsächlich erfüllt wurde.

Da keine Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts bestehen, käme in einem Revisionsverfahren auch kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH in Betracht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, und BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266). Deshalb ist die Zulassung der Revision auch nicht zu dem Zweck erforderlich, eine Befassung des EuGH mit der Rechtssache zu ermöglichen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66582

BFH/NV 1998, 235

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