Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung; sachliche Unbilligkeit einer Bruttobesteuerung
Leitsatz (NV)
1. Im Verfahren der einstweiligen Anordnung kann eine ,,Stundung" nicht mit der Begründung erreicht werden, der (vollziehbare) Steuerbescheid sei rechts- und verfassungswidrig.
2. Eine Aussetzung der Vollziehung einer Steueranmeldung kann auch der Vergütungsgläubiger i.S. des § 50a Abs. 4 EStG beantragen.
3. Eine Bruttobesteuerung gem. § 50a Abs. 4 EStG ist jedenfalls dann nicht sachlich unbillig i.S. des § 163 Abs. 1 AO 1977, wenn die im Abzugswege erhobene Steuer ca. 53% der tatsächlichen Nettoeinkünfte beträgt.
Normenkette
FGO §§ 114, 69; EStG § 50a Abs. 4; AO 1977 § 163 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind eine ausländische Künstlergruppe (Partnership). Sie schlossen mit dem inländischen Tourneeveranstalter X einen Vertrag über eine Tournee durch die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), die in der Zeit vom . . . bis . . . 1992 stattfand. Sie erhielten eine Garantiegage und wegen Überschreitens bestimmter Grenzen eine zusätzliche Vergütung.
Die Antragsteller wandten sich u.a. mit Antrag vom . . . 1992 an den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) mit dem Ziel, die Abzugsteuer nach § 50a des Einkommensteuergesetzes (EStG) gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) mit einem niedrigeren Steuersatz festzusetzen, weil der Steuerabzug dem Verbot einer konfiskatorischen Besteuerung widerspreche. Nachdem eine kurzfristige Entscheidung des FA nicht zu erwarten war, beantragten die Antragsteller am . . . 1992 beim Finanzgericht (FG), dem FA im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Abzugsteuer nach § 50a Abs. 4 EStG bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung zu stunden. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg.
Die Antragsteller haben Beschwerde eingelegt, mit der sie die Stundung eines Betrages in Höhe von . . . DM begehren. Sie rügen, daß die Besteuerung der Bruttoerträge wegen Verstoßes gegen Art.3 Abs. 1, Art.5 Abs. 3, Art.12 und 14 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig sei, wenn eine volle Anrechnung der Abzugsteuer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Wohnsitzstaat ausscheide. Ferner verstoße die gesetzliche Regelung gegen die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, des Rechts- und Sozialstaates.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Soweit die Antragsteller die Verfassungswidrigkeit des § 49 Abs. 1 Nr.3, § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr.1 EStG und § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) rügen, ist der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung unzulässig. Sie machen insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von X abgegebenen Steueranmeldung geltend. Eine ,,Stundung" der angemeldeten Beträge aufgrund behaupteter Rechtswidrigkeit der Steueranmeldung bzw. Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen für die Anmeldung ist verfahrensrechtlich nur im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu erreichen.
Gemäß § 114 Abs. 5 FGO gelten die Vorschriften des § 114 Abs. 1 bis 4 FGO nicht für die Fälle des § 69 FGO. Liegt ein vollziehbarer Verwaltungsakt vor, so ist folglich vorläufiger Rechtsschutz gegen die aus dem Verwaltungsakt resultierenden Rechtsfolgen ausschließlich im Wege der Aussetzung der Vollziehung zu erreichen. Ein solcher Verwaltungsakt ist die von X abgegebene Steueranmeldung. Sie steht nach § 168 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Die Tatsache, daß eine Steueranmeldung für die Antragsteller abgegeben wurde, ergibt sich aus dem unwidersprochenen Vortrag des FA im Schriftsatz vom 9. Dezember 1992, wonach die Steuerakten betreffend Anmeldung nach § 50a Abs. 4 EStG nicht vorgelegt werden könnten, weil diese auch andere Steuerpflichtige als die Antragsteller beträfen. Damit liegt ein vollziehbarer Verwaltungsakt im Streitfall vor.
Die Antragsteller haben das Recht, gegen die Steueranmeldung Einspruch einzulegen und Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 FGO zu beantragen. Daß der Vergütungsgläubiger gegen die vom Vergütungsschuldner abgegebene Anmeldung Einspruch einlegen kann, hat der Senat wiederholt entschieden (vgl. Urteile vom 27. Juli 1988 I R 28/87, BFHE 155, 479, BStBl II 1989, 449; vom 16. Mai 1990 I R 113/87, BFHE 161, 358, BStBl II 1990, 983). Aus dem Anfechtungsrecht des Vergütungsgläubigers folgt das Recht, Aussetzung der Vollziehung der Steueranmeldung zu beantragen (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 50a Anm.6, § 41a Anm.2). Die Unzulässigkeit der einstweiligen Anordnung ergibt sich aus der Statthaftigkeit der Aussetzung der Vollziehung. Die Frage, ob die Steueranmeldung im Streitfall mangels Einspruchseinlegung bestandskräftig geworden ist und daher ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keinen Erfolg (mehr) haben kann, berührt die Unzulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 5 FGO nicht. Der Vorrang des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem Verfahren auf einstweilige Anordnung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach die Verfassungswidrigkeit von Rechtsnormen bzw. die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts grundsätzlich in Steuerfestsetzungs- und nicht in Billigkeitsverfahren geltend zu machen sind (vgl. BVerfG-Beschluß vom 8. Juli 1987 1 BvR 623/86, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 227, Rechtsspruch 32; vgl. auch z.B. BFH-Urteil vom 11.August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, m.w.N.). Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 4. Februar 1987 I R 252/83 (BFHE 149, 50, BStBl II 1987, 682) ein Verfahren nach § 163 AO 1977 nur für geboten gehalten, wenn die gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist. Die Einwendungen, mit denen die Antragsteller generell die Verfassungsmäßigkeit der die Abzugsbesteuerung regelnden Vorschriften und die Rechtmäßigkeit der Anmeldung bzw. der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) bezweifeln, müssen daher im Verfahren der einstweiligen Anordnung aus verfahrensrechtlichen Gründen unberücksichtigt bleiben. Für eine einstweilige Anordnung bleibt daher nur insoweit Raum, als über die (behauptete) Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Rechtsnormen bzw. die (behauptete) Rechtswidrigkeit der Steueranmeldung hinaus im Einzelfall Gründe vorliegen, die zu einem Anspruch auf Stundung der angemeldeten Steuern führen.
2. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 114 FGO setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Als Anordnungsanspruch kommt im Streitfall der von den Antragstellern behauptete Anspruch auf Stundung der Abzugsteuer in Betracht (vgl. ebenso BFH-Beschluß vom 18. März 1992 X B 59/91, BFH/NV 1992, 618, m.w.N.). Für das Bestehen eines Anspruchs der Antragsteller auf abweichende Steuerfestsetzung besteht jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluß vom 12. Februar 1991 VII B 170/90, BFH/NV 1992, 42).
Gemäß § 222 Satz 1 AO 1977 können Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Eine erhebliche Härte kann insbesondere die Zahlung einer Steuer darstellen, die demnächst zu erstatten ist (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 5. Juli 1990 I B 17/90, BFH/NV 1991, 146; BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, BStBl II 1982, 307).
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 besteht im Streitfall nicht, da die Steueranmeldung nicht erfolgreich angefochten ist (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1989 I B 23/89, BFH/NV 1990, 208). Die Antragsteller haben auch keinen Erstattungsanspruch, der sich daraus ergeben kann, daß nach Festsetzung einer Steuer mit einer Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO 1977 zu rechnen ist. Daß sich ein Erlaßgrund aus volkswirtschaftlichen Gründen i.S. des § 50 Abs. 7 EStG ergeben könnte, haben die Antragsteller selbst nicht vorgetragen.
Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift ist keine Rechtsgrundlage dafür, die einer Rechtsnorm zugrunde liegenden Zwecke generell durch abweichende Steuerfestsetzungen zu beseitigen oder zu korrigieren (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Tz.19b). Dies betrifft insbesondere die sog. sachliche Unbilligkeit. Diese rechtfertigt Billigkeitsmaßnahmen nur, wenn das Ergebnis der Gesetzesanwendung mit dem vom Gesetz verfolgten Sinn und Zweck im Einzelfall nicht mehr vereinbar ist (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BFHE 164, 114, BStBl II 1991, 541, m.w.N.). Ein dem Gesetzeszweck entsprechender Gesetzesvollzug rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme.
Die Bruttobesteuerung der Einnahmen der Antragsteller aus der Inlandstournee entspricht dem von § 50a Abs. 4 EStG verfolgten Zweck. Dieser liegt in der vereinfachten Steuererhebung in solchen Fällen, in denen mangels inländischer Betriebsstätten eines beschränkt Steuerpflichtigen ein unmittelbarer Zugriff inländischer Steuerbehörden auf Einrichtungen usw. des Steuerpflichtigen ebenso ausgeschlossen ist wie eine Kontrolle der vom Steuerpflichtigen gemachten steuerrelevanten Angaben (vgl. hierzu z.B. Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 1990, S. 220; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 1988, S. 6 ff.). Der Ausschluß vom Veranlagungsverfahren kann sich je nach Höhe der mit den Einnahmen zusammenhängenden Unkosten sowohl zu Lasten wie auch zugunsten eines beschränkt Steuerpflichtigen auswirken. Beides wird vom Gesetz bewußt in Kauf genommen.
Für eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Gründen besteht daher nur Raum, wenn die Rechtsfolgen der Gesetzesanwendung über den Zweck der Bruttobesteuerung hinausschießen.
Das kann der Fall sein, wenn die an die Einnahmen anknüpfende Abzugssteuer unter Berücksichtigung der tatsächlich entstandenen Ausgaben zu einer konfiskatorischen Besteuerung (vgl. z.B. BVerfG-Beschluß vom 22.März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343/368 m.w.N.) führt (vgl. auch Bericht des Finanzausschusses des Bundestages zum Steuerbereinigungsgesetz 1985 BTDrucks 10/4513, S. 23).
Unter Heranziehung der von den Antragstellern vorgelegten Einnahme-Überschußrechnung kann hiervon im Streitfall nicht ausgegangen werden. Aus dieser ergeben sich Betriebseinnahmen in Höhe von . . . DM, denen (behauptete) Betriebsausgaben in Höhe von . . . DM gegenüberstehen. Daraus errechnet sich ein Überschuß von . . . DM. Die 15%ige Abzugssteuer gemäß § 50a Abs. 4 Satz 3 EStG beträgt . . . DM. Bezogen auf die behaupteten Nettoeinkünfte ergibt sich damit ein Steuersatz in Höhe von 53,4%. Abgesehen davon, daß die Antragsteller die Richtigkeit der behaupteten Betriebsausgaben in keiner Weise glaubhaft gemacht haben, rechtfertigt ein Steuersatz in dieser Größenordnung keine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen oder persönlichen Gründen (vgl. zum früheren Spitzensteuersatz von 56% Kirchhof in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 2A 158).
Fundstellen
Haufe-Index 419258 |
BFH/NV 1993, 726 |