Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung oder einstweilige Anordnung?
Leitsatz (NV)
1. Vorläufiger Rechtsschutz kann mit solchen Gründen, die sich ausschließlich gegen die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides richten, grundsätzlich nur im Wege der Aussetzung der Vollziehung und nicht der einstweiligen Anordnung erlangt werden.
2. Eine Vollstreckung wird grundsätzlich erst ab Gewährung der Aussetzung der Vollziehung und nicht bereits im Zeitpunkt der Beantragung der Aussetzung der Vollziehung unzulässig.
3. Die Vollstreckung kann nach § 258 AO unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausnahmsweise dann unbillig sein, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung Erfolg haben wird.
Normenkette
AO 1977 § 69 Abs. 2-3, § 251 Abs. 1, § 257 Abs. 1 Nr. 1, § 258; FGO § 114
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die erstrebte einstweilige Anordnung kann aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung in § 114 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht ergehen, soweit der Regelungsbereich der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO reicht. Das bedeutet, daß vorläufiger Rechtsschutz mit solchen Gründen, die sich gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung richten, grundsätzlich nicht im Wege der einstweiligen Anordnung, sondern nur der Aussetzung der Vollziehung erlangt werden kann. Ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, der ausschließlich mit der Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung begründet wird, ist unzulässig (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Januar 1984 II B 35/83, BFHE 139, 508, BStBl II 1984, 210; Senatsbeschluß in BFH/NV 1989, 565, 566).
2. Soweit neben der Aussetzung der Vollziehung Raum für eine einstweilige Anordnung gegeben ist, haben die Antragsteller einen dafür erforderlichen Anordnungsanspruch weder bezeichnet noch glaubhaft gemacht (vgl. § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Es kann deshalb offenbleiben, ob der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung zusätzlich daran scheitern würde, daß auch ein Anordnungsgrund nicht dargelegt und glaubhaft gemacht worden ist.
Die Antragsteller haben die Voraussetzungen des für ihren Antrag als Anordnungsanspruch allein in Betracht kommenden § 258 AO 1977 nicht schlüssig dargelegt. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist.
Das Vorbringen der Antragsteller, daß die Einkommensteuerbescheide rechtswidrig seien, sie deswegen beim FG einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hätten und dieser Antrag noch nicht beschieden worden sei, begründet in dieser Form einen Anspruch auf Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO 1977 nicht. Denn nach § 251 Abs. 1 können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt ist. Die in § 257 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 getroffene Regelung, daß die Vollstreckung einzustellen ist, wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO 1977 weggefallen sind, also die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden ist, läßt den Rückschluß zu, daß der Gesetzgeber grundsätzlich die Vollstreckung erst ab dem Zeitpunkt der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung und nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Antragstellung für unzulässig gehalten hat.
Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß ungeachtet der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen über die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten der Grundsatz von Treu und Glauben auch im Rahmen des § 258 AO 1977 zu berücksichtigen ist. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung liegt vor, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuerstatten wäre (dolo petit, qui petit, quod statim redditurus est). Eine Vollstreckung ist danach unbillig, wenn vollstreckt wird, obwohl das Erlangte alsbald zurückzugewähren ist (vgl. Senatsbeschluß vom 4. November 1986 VII B 108/86, BFH/NV 1987, 555). Deshalb könnte eine behauptete Rechtswidrigkeit der der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakte dann die Voraussetzungen des § 258 AO 1977 erfüllen, wenn der Antragsteller rechtzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat und dieser zwar noch nicht beschieden, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß er Erfolg haben wird. Die Frage, ob in einem derartigen Falle die Vollstreckung eine unzulässige Rechtsausübung wäre, braucht aber im Streitfall nicht abschließend entschieden zu werden. Denn das FG hat inzwischen über den Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der Vollziehung entschieden und eine teilweise Aussetzung der Vollziehung gewährt. Das FA hat anerkannt, daß es die Vollstreckung nach § 257 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 einzustellen hat, soweit das FG dem Antrag der Antragsteller entsprochen hat. Hinsichtlich der vom FG nicht von der Vollziehung ausgesetzten Beträge von beachtlicher Höhe steht nunmehr aber fest, daß insoweit wegen fehlender Zweifel des FG an der Rechtmäßigkeit der Bescheide eine Aussetzung der Vollziehung unanfechtbar abgelehnt worden ist und die Steuerbescheide deshalb vollstreckbar sind und bleiben werden (vgl. § 251 Abs. 1 AO 1977). Die nach Ergehen des Aussetzungsbeschlusses des FG von den Antragstellern weiterhin behauptete Rechtswidrigkeit kann allein - wie bereits oben dargelegt - den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht rechtfertigen.
3. Auch das weitere Vorbringen der Antragsteller erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 258 AO 1977. Vielmehr läßt ihr Vortrag erkennen, daß sie sich nicht gegen einzelne Vollstreckungsmaßnahmen oder lediglich gegen die Vollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern gegen die Vollstreckung aus diesen Steuerbescheiden generell und für alle Zeit wenden. § 258 AO 1977 bestimmt aber ausdrücklich, daß die Zwangsvollstreckung nur ,,einstweilen" eingestellt werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 417847 |
BFH/NV 1992, 156 |