Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung der bestandskräftigen Feststellung zum Vorliegen einer Mitunternehmerschaft im Gewinnfeststellungsbescheid für rechtlich nachrangige Feststellungen; Auslegung einer Klage
Leitsatz (amtlich)
1. Die bestandskräftige Feststellung zum Vorliegen einer Mitunternehmerschaft entfaltet als selbständiger Regelungsgegenstand eines Gewinnfeststellungsbescheids Bindungswirkung für die rechtlich nachrangigen Feststellungen und damit auch für die Frage der Erzielung eines Veräußerungsgewinns nach den §§ 16, 34 EStG (Anschluss an BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544).
2. Zur Auslegung einer Klage, mit der der Kläger sich nicht nur gegen die einheitliche und gesonderte Feststellung von Veräußerungsgewinnen, sondern auch gegen das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft (gemeinschaftliche Erzielung gewerblicher Einkünfte) wendet.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nrn. 3, 5, § 60 Abs. 3; AO 1977 §§ 179, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG §§ 16, 34
Verfahrensgang
FG Berlin (Entscheidung vom 21.08.2001; Aktenzeichen 1 K 1148/97) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer zu 1 bis 3 (Kläger) sind ehemalige Kommanditisten der V-KG. Im Jahre 1994 veräußerten sie ―ebenso wie weitere Gesellschafter der V-KG― ihre Beteiligungen. In dem nach § 164 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom 23. August 1996 wurde für
das Jahr 1994 ein Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft in
Höhe von … Mio. DM festgestellt. Hiervon entfielen rd. … Mio. DM auf die von den Gesellschaftern erzielten Veräußerungsgewinne.
Mit ihrem Einspruch wandten sich die Kläger gegen den Ansatz der Veräußerungsgewinne. Sie trugen u.a. vor, dass die V-KG bisher zu Unrecht als Mitunternehmerschaft qualifiziert worden sei, da sie originär lediglich eine vermögensverwaltende Tätigkeit ausgeübt habe und die Voraussetzungen der gewerblichen Prägung nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorlägen. Dem folgte der Beklagte (das Finanzamt ―FA―) nicht.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehren die Kläger, den Gewinnfeststellungsbescheid 1994 zu ändern und die "Veräußerungsgewinne auf DM 0 herabzusetzen", hilfsweise, die Veräußerungsgewinne in der Höhe festzusetzen, dass die bis zur gesetzlichen Wiedereinführung der ―vom Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) aufgegebenen― Grundsätze zur gewerblichen Prägung einer Personengesellschaft entstandenen stillen Reserven (vgl. Art. 7 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 ―StBereinG 1986― vom 19. Dezember 1985, BStBl I 1985, 735) unberücksichtigt bleiben.
Das Finanzgericht (FG) hat mit Beschluss vom 21. August 2001 die übrigen, in der Zeit ab 1. Januar 1994 aus der V-KG ausgeschiedenen Gesellschafter beigeladen (Beigeladene zu 1 bis 8), da auch ihnen gegenüber die Entscheidung, ob es sich bei der V-KG ―wie von den Klägern geltend gemacht― "lediglich um eine Schein-KG" gehandelt habe, nur einheitlich ergehen könne (§ 60 Abs. 3 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Mit ihrer Beschwerde beantragen die Kläger, den Beiladungsbeschluss der Vorinstanz aufzuheben, da die Festsetzungsverjährungsfrist für die Beigeladenen spätestens am 31. Dezember 2000 abgelaufen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die aus der V-KG ausgeschiedenen Gesellschafter (notwendig) beizuladen waren (§ 60 Abs. 3 FGO).
1. Entsprechend der Verweisung des § 60 Abs. 3 FGO auf die Regelungen des § 48 FGO ist bei einer Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid der Kreis der (notwendig) Beizuladenden nach deren Klagebefugnis und damit nach dem Streitgegenstand zu bestimmen.
2. Die hierfür erforderliche Auslegung des Klageantrags ist für das anhängige Verfahren mit Folgerungen zweier Art verbunden:
a) Zum einen ist die Klage ―unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze zur Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO)― entgegen ihrem Wortlaut nicht darauf gerichtet, die Feststellung der Veräußerungsgewinne gegenüber allen im Streitjahr (1994) ausgeschiedenen Gesellschaftern aufzuheben; Gegenstand des Klageverfahrens sind vielmehr die von den Klägern erzielten Gewinne aus der Veräußerung ihrer Mitunternehmeranteile.
b) Zum anderen handelt es sich hierbei zwar um Feststellungen, die die Kläger i.S. von § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO "persönlich angeh(en)" (vgl. hierzu Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler ―HHSp―, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 48 FGO Rz. 257) und damit nach ständiger Rechtsprechung selbständig Gegenstand eines Klageverfahrens sein können (BFH-Entscheidungen vom 21. August 2002 VIII B 116/01, BFH/NV 2002, 1609; vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544, jeweils m.w.N.). Im Streitfall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen einer solchen isolierten Anfechtung (der Veräußerungsgewinne) nicht gegeben sind.
aa) Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 6. Dezember 2000 VIII R 21/00 (BFHE 194, 97, zu Abschn. II. 2. d der Gründe) dargelegt hat, entfaltet die einzelne Regelung eines Gewinnfeststellungsbescheids jedenfalls dann Bindungswirkung für die weiteren Regelungen dieses Bescheids, wenn die Aussagen in einem rechtlichen Stufenverhältnis zueinander stehen, d.h. als Vor- und Folgefrage zu qualifizieren sind. Deshalb ist es beispielsweise ausgeschlossen, die Regelung zum Veräußerungsgewinn eines Mitunternehmers (Folgefrage) mit der Begründung anzufechten, die Mitunternehmerschaft habe keine gewerblichen Einkünfte erzielt, wenn Letzteres (Vorfrage) für das Streitjahr bestandskräftig festgestellt wurde.
bb) Hieraus ergibt sich weiterhin, dass eine Klage, mit der sich die (ehemaligen) Mitunternehmer gegen die ihnen zugerechneten Veräußerungsgewinne aufgrund von Erwägungen wenden, die zugleich die mitunternehmerschaftliche Verbindung der Gesellschafter und damit die gemeinschaftliche Erzielung gewerblicher Einkünfte in Abrede stellen, dahin auszulegen ist, dass auch die (vorrangige) Feststellung betreffend das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft zum Gegenstand des Rechtsstreits wird.
cc) Nichts anderes gilt für das anhängige Verfahren, da sowohl der Bezugnahme der Klageschrift auf die Einspruchsentscheidung als auch der Klagebegründung zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass das Klagebegehren auch die zwischen den Beteiligten umstrittene Anwendbarkeit der Geprägegrundsätze (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) und demnach die Art der von der V-KG erzielten Einkünfte erfasst (zur Unterscheidung von Klageantrag und Streitgegenstand vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 65 Rz. 30 ff.).
3. Zu diesem Rechtsstreit ist zwar, entgegen der Ansicht des FG, nicht die V-GmbH als Geschäftsführerin der V-KG, sondern ―was die Vorinstanz vor einer Sachentscheidung nachzuholen haben wird― die V-KG selbst beizuladen (vgl. ―auch zu § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO n.F.― BFH-Entscheidungen vom 5. Dezember 1995 VIII R 67/94, BFH/NV 1996, 485; vom 3. März 1998 VIII B 62/97, BFHE 185, 131, BStBl II 1998, 401; Steinhauff in HHSp, a.a.O., § 48 FGO Rz. 61, m.w.N.). Zutreffend ist das FG hingegen davon ausgegangen, dass zu dem die Qualifikation der Einkünfte einer Personengesellschaft betreffenden Klageverfahren eine Beiladung der Gesellschafter, deren Beteiligung und Anteilsquote außer Streit stehen, grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil sie durch die am finanzgerichtlichen Rechtsstreit zu beteiligende Personengesellschaft (Prozessstandschaft) repräsentiert werden (BFH-Entscheidungen vom 22. November 1994 VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93; vom 2. Juni 1998 VIII B 58/97, BFH/NV 1999, 31). Demgemäß hat die Vorinstanz ―abgesehen von der bisher unterbliebenen Beiladung der V-KG― den Kreis der Verfahrensbeteiligten zu Recht auf die ab dem 1. Januar 1994 aus der V-KG ausgeschiedenen Gesellschafter beschränkt (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO).
4. Eine Beiladung der ausgeschiedenen Gesellschafter entfällt nach ständiger Rechtsprechung nur dann, wenn sie vom Ausgang des Klageverfahrens unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind (BFH-Urteil vom 14. Juni 1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318; Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 65 "Nichtbetroffensein", jeweils m.w.N.).
a) Hierdurch wird jedoch weder die notwendige Verfahrensbeteiligung der Beigeladenen zu 3 bis 8 ausgeschlossen, denen Anteile an den für das Streitjahr (1994) festgestellten laufenden Einkünften zugerechnet wurden, weil sie ihre Mitunternehmeranteile zum 31. Dezember 1994 (Beigeladene zu 3 und 4) sowie in den folgenden Jahren (bis einschließlich 1998) veräußert haben, noch steht dieses Erfordernis der Beiladung derjenigen Gesellschafter (Beigeladene zu 1 und 2) entgegen, die ―ebenso wie die Kläger― ihre Mitunternehmeranteile zum 1. Januar 1994 veräußert haben und für die deshalb lediglich Veräußerungsgewinne sowie Anteile am laufenden Gewinn der V-KG in Höhe von jeweils 0 DM festgestellt wurden. Zwar wäre das FG bei Stattgabe der Klage nicht befugt, über den Hauptantrag (keine Erzielung gewerblicher Einkünfte; s. vorstehend Abschn. II. 1. und 2. der Gründe) hinauszugehen und die Feststellungen zu den laufenden Einkünften sowie zu den von den Beigeladenen zu 1 und 2 erzielten Veräußerungsgewinnen aufzuheben. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass sämtliche Beigeladene vom Ausgang des Klageverfahrens betroffen sind. Dabei kann offen bleiben, ob sie allein durch die angefochtene Feststellung zur Qualifikation der von der V-KG erzielten Einkünfte beschwert sind (hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 318; Steinhauff in HHSp, a.a.O., § 48 FGO Rz. 235). Die steuerrechtlichen Interessen der Beigeladenen sind jedenfalls deshalb betroffen, weil bei Erfolg des Hauptantrags die Feststellung dazu, dass die V-KG überhaupt gewerbliche Einkünfte erzielt hat, entfiele und damit das FA der Frage nachzugehen hätte, ob aufgrund des dargelegten rechtlichen Stufenverhältnisses und der hiermit einhergehenden Bindungswirkung (vgl. vorstehend Abschn. II. 2. der Gründe) die Aufhebung des Gewinnfeststellungsbescheids auch mit Rücksicht auf die rechtlich nachrangigen Feststellungen zur Höhe und Verteilung des laufenden Gewinns sowie zu den im Streitjahr erzielten Veräußerungsgewinnen geboten ist. Dies könnte sich ―worüber der erkennende Senat im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens allerdings nicht zu entscheiden hat― aus der (ggf. entsprechenden) Anwendung der Regelungen in den §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO 1977 (s. hierzu nachfolgend Abschn. b) sowie in § 174 Abs. 4 AO 1977 ergeben (vgl. zu Letzterem BFH-Entscheidungen vom 27. März 1997 VIII B 8/97, BFH/NV 1997, 639; vom 8. Juni 2000 IV R 65/99, BFHE 192, 207, BStBl II 2001, 89; zur Irrelevanz der konkreten Folgen einer geänderten Einkunftsqualifikation für die Veranlagung der einzelnen Gesellschafter zur Einkommensteuer vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1995, 318).
b) Schließlich kann sich der Senat auch nicht dem Vortrag der Kläger anschließen, eine Verfahrensbeteiligung der ausgeschiedenen Gesellschafter komme deshalb nicht in Betracht, weil die Frist zur Festsetzung der Einkommensteuer gegenüber sämtlichen Beigeladenen nach § 169 Abs. 2 AO 1977 spätestens am 31. Dezember 2000 und damit vor Ergehen des Beiladungsbeschlusses abgelaufen sei. Der Einwand verkennt, dass angesichts des Erfordernisses einer (materiell) einheitlichen Entscheidung gegenüber allen Feststellungsbeteiligten (vgl. §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977) auch die Gesellschafter, denen gegenüber der Gewinnfeststellungsbescheid bereits in Bestandskraft erwachsen ist, gemäß § 60 Abs. 3 FGO (notwendig) beizuladen sind und hierdurch die Möglichkeit eröffnet wird, sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten dieser Beteiligten die Folgeänderungen innerhalb der Grenzen des § 171 Abs. 10 AO 1977 vorzunehmen (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3; Steinhauff in HHSp, a.a.O., § 48 FGO Rz. 287, m.w.N.). Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist (vgl. § 169 AO 1977) für einen sog. Folgebescheid (hier: Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter der V-KG) nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des bindenden Grundlagenbescheides (hier: Gewinnfeststellungsbescheid 1994; vgl. zur Zwei-Jahres-Frist Art. 20 Abs. 4 i.V.m. Art. 32 des Jahressteuergesetzes 1997, BGBl I 1996, 2049). Die Regelung ergreift somit auch die Änderung oder Aufhebung eines Feststellungsbescheids vor Ablauf der Feststellungsverjährungsfrist (vgl. Ruban in HHSp, a.a.O., § 171 AO 1977 Rz. 119; BFH-Beschluss vom 12. Februar 1998 III B 82/97, BFH/NV 1998, 937, m.w.N.) mit der weiteren Folge, dass dann, wenn der ergangene Grundlagenbescheid durch das Gericht im Rahmen einer Anfechtungsklage aufgehoben oder geändert wird (§ 100 FGO; zur Feststellungsverjährungsfrist vgl. § 181 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 171 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AO 1977 a.F., § 171 Abs. 3a AO 1977 n.F.), die Zwei-Jahres-Frist ―auch gegenüber den zum Klageverfahren (notwendig) Beigeladenen― erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über den Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) zu laufen beginnt (allg. Meinung; Ruban in HHSp, a.a.O., § 171 AO 1977 Rz. 119; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze, 17. Aufl., § 171 AO 1977 Anm. II 10 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Tz. 98, m.w.N.; Baum, Deutsche Steuer-Zeitung 1992, 337).
Fundstellen
Haufe-Index 892331 |
BFH/NV 2003, 535 |
BStBl II 2003, 335 |
BFHE 2003, 6 |
BFHE 201, 6 |
BB 2003, 514 |
DB 2003, 536 |
DStR 2003, 547 |
DStRE 2003, 576 |
HFR 2003, 449 |