Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftung des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 AO 1977
Leitsatz (NV)
1. Ist ein mit der Divergenzbeschwerde angegriffener Rechtssatz der Vorinstanz ausdrücklich auf den angeblich divergierenden Rechtssatz einer BFH-Entscheidung gestützt, so enthält die Behauptung der Divergenz dem Sinne nach lediglich den Einwand, das FG habe den genannten Rechtssatz falsch ausgelegt oder angewendet, mit der Folge, daß, wenn dies zutrifft, lediglich ein im Zulassungsverfahren unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler (Subsumtionsfehler) vorliegt.
2. Entspricht die Vorentscheidung ersichtlich der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 74 AO 1977, wonach der Haftungsgegenstand dem Unternehmen, wenn auch unter Mitbenutzung anderer, im Haftungszeitraum gedient haben, von diesem also für betriebliche Zwecke verwendet worden sein muß, und werden hierzu bestimmte Tatsachenfeststellungen getroffen, so handelt es sich dabei um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall, deren Ergebnis nicht mit Erfolg zum Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemacht werden kann.
Normenkette
AO 1977 § 74; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zu 35/100 als Kommanditist an der X-GmbH und Co. KG (KG) beteiligt. Die übrigen Kommanditistenanteile hielten sein Bruder zu 35/100 und seine Mutter zu 30/100. Die Einlagen waren einbezahlt. Im Juli 1992 wurde die Auflösung der KG im Handelsregister eingetragen, nachdem zuvor die Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt worden war.
Die Kommanditisten sind ferner im gleichen Verhältnis an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt. Dieser gehört u. a. ein 2/3 Miteigentumsanteil an dem Grundstück A-Straße in B. Das damit verbundene Sondereigentum, als dessen Inhalt eine Nutzung als Büro festgelegt war, umfaßt das Erdgeschoß und teilweise das Kellergeschoß. Der übrige Miteigentumsanteil von 1/3 ist mit dem Sondereigentum an dem als Wohnung genutzten 1. Obergeschoß und an den restlichen Räumen im Kellergeschoß verbunden.
Mit Mietvertrag vom ... vermietete die Grundstücksgemeinschaft ihr gesamtes Teileigentum an dem Anwesen A-Straße an die KG. Zugleich vermietete sie, und zwar unter Zuweisung von vier Arbeitsplätzen in dem im Erdgeschoß befindlichen Großraumbüro, einen Teil der Büroräume zur gemeinsamen Benutzung mit der KG an zwei weitere Gesellschaften, deren bestimmende Gesellschafter an der Grundstücksgemeinschaft beteiligt waren. Für den Unterhalt wurden keine Kosten berechnet; die Miete wurde über die Büropauschale der KG verrechnet.
Mit Haftungsbescheid vom ... i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom ... wurde der Kläger vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) wegen Umsatzsteuerrückständen der KG in Höhe von insgesamt ... DM in Anspruch genommen. Dabei wurde die Haftung gemäß § 74 der Abgabenordnung (AO 1977) gegenständlich auf den Anteil des Klägers am 2/3 Miteigentumsanteil am Grundstück A-Straße beschränkt. Auch die beiden anderen Miteigentümer wurden in Haftung genommen.
Die hiergegen gerichtete Klage des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den Haftungstatbestand des § 74 AO 1977 für erfüllt. Der mit 35/100 wesentlich an der KG beteiligte Kläger habe den ebenfalls zu 35/100 ihm gehörenden Miteigentumsanteil von 2/3 an dem Grundstück durch Vermietung der KG zur Verfügung gestellt. Dieses Teileigentum habe dem Betrieb der KG gedient. Obschon nicht alle Räume für betriebliche Zwecke verwendet worden seien, sei keine die Haftung einschränkende Nutzung des Haftungsgegenstandes anzunehmen. Dieser sei vielmehr zur Gänze Gegenstand des Mietvertrags gewesen. Außerdem hätten die Gesellschafter das gesamte Teileigentum an dem Grundstück dem Werte nach (quoad sortem) in die KG eingelegt, so daß es in den Bilanzen als Betriebsvermögen der KG behandelt und wie Gesellschaftsvermögen abgeschrieben worden sei. Berücksichtige man weiter, daß in den vermieteten Räumen das Büro des Geschäftsführers und die Buchhaltung der KG untergebracht worden seien, müsse das Teileigentum auch als wesentlich für die Führung des Betriebs der KG angesehen werden. Die Mitnutzung der Büroflächen durch die beiden anderen Gesellschaften sei demgegenüber unschädlich.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz des FG-Urteils zu mehreren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet; es liegt weder die vom Kläger behauptete Divergenz der Vorentscheidung zu den im einzelnen angeführten BFH-Entscheidungen vor, noch kommt den vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
1. Zur hinreichenden Bezeichnung der Divergenz nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO muß der Beschwerdeführer dartun, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung u. a. des BFH nicht übereinstimmt. In der Beschwerdebegründung müssen die einander gegenübergestellten abstrakten Rechtssätze im Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 63 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Dem Darlegungserfordernis hinsichtlich der Gegenüberstellung zweier abstrakter Rechtssätze ist der Kläger allenfalls im Hinblick auf das Senatsurteil vom 23. Februar 1988 VII R 99/85 (BFH/NV 1988, 617) gerecht worden. In dem vom Kläger angeführten "Rechtssatz" des FG-Urteils ("Die streitgegenständlichen Räumlichkeiten sind in vollem Umfang und ohne Einschränkung an die KG vermietet worden") wird jedoch eine Abweichung zu dem zitierten Rechtssatz aus dem BFH-Urteil ("Es genügt, wenn das in Frage stehende Objekt dem Unternehmen, wenn auch unter Mitbenutzung anderer, im Haftungszeitraum gedient hat, von diesem also für betriebliche Zwecke verwendet worden ist, ... ") nicht erkennbar. Vielmehr hat sich das FG gerade ausdrücklich auf den genannten Rechtssatz des BFH-Urteils gestützt und dazu ausgeführt, daß auch im Streitfall -- entgegen dem Vorbringen des Klägers -- eine solche Mitbenutzung vorliege, weil die KG die Mietrechte bezüglich der gesamten Räumlichkeiten ohne Einschränkung innegehabt habe und den beiden anderen Gesellschaften die konkret genannten Arbeitsplätze im Großraumbüro nur zur gemeinsamen Benutzung mit der KG vermietet gewesen seien. Damit wollte das FG nur ausführen, daß es im Ergebnis keine getrennte Vermietung von Räumlichkeiten gegeben habe.
Im Grunde geht der Vorhalt des Klägers dahin, das FG habe den genannten Rechtssatz des BFH falsch ausgelegt oder angewendet, indem es das Erfordernis der (tatsächlichen) Verwendung des Gegenstands für betriebliche Zwecke allein auf die zivilrechtliche Vertragsgestaltung (bloße Einräumung der Rechtsposition eines Mieters bezüglich der gesamten Räumlichkeiten) beschränkt habe. Selbst wenn dies zuträfe und die Kritik des Klägers berechtigt wäre, läge darin keine mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbare Divergenz, sondern ein im Zulassungsverfahren unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler -- Subsumtionsfehler -- (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 17 m. w. N.). Indessen ergibt sich aus der Begründung des FG im übrigen hinreichend deutlich, daß das FG jedenfalls im wesentlichen auf die tatsächliche Verwendung der Räumlichkeiten für betriebliche Zwecke der KG abgestellt hat (Büro des Geschäftsführers, Sitz der Buchhaltung, Ausweis als Betriebsvermögen). Im Gegensatz zum Vortrag des Klägers sieht das FG das Tatbestandsmerkmal des "Dienens" in § 74 AO 1977 also "nicht allein bereits durch die zivilvertragliche Gestaltung als erfüllt an".
Soweit der Kläger Divergenz zu anderen Entscheidungen des BFH rügt, fehlt es bereits an der Gegenüberstellung voneinander abweichender abstrakter Rechtssätze. Soweit der Kläger solche Rechtssätze nach Ablauf der Begründungsfrist nachgereicht hat, müssen sie bei der Beurteilung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Senat außer Betracht bleiben (vgl. z. B. BFH- Beschluß vom 16. Dezember 1992 V B 138/92, BFH/NV 1994, 106).
Hinter der geltend gemachten Abweichung vom BFH-Urteil vom 10. November 1983 V R 18/79 (BFHE 139, 242, BStBl II 1984, 127) und damit gleichzeitig von dem darin in Bezug genommenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65 (BStBl III 1967, 166) steht in Wirklichkeit, wie der Kläger selbst ausdrücklich vorträgt, lediglich die Behauptung, das FG habe bei seinem Urteil "den Begriff der Wesentlichkeit im Sinne des § 74 AO" verkannt. Auch dies wäre, da das FG von der vorgenannten Rechtsprechung des BFH und des BVerfG ausgeht, lediglich wiederum ein im Zulassungsverfahren wegen Divergenz unbeachtlicher Rechtsanwendungsfehler. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die vom Kläger in Anspruch genommene angebliche Divergenzentscheidung des BFH vom 27. Juni 1957 V 298/56 U (BFHE 65, 122, BStBl III 1957, 279).
Nicht erkennbar ist die vom Kläger vorgetragene Abweichung zum BFH-Urteil vom 2. Februar 1961 IV 395/58 U (BFHE 72, 582, BStBl III 1961, 216). Dort wird -- entschieden zur Vorgängervorschrift § 115 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) -- eine Haftung von Teilflächen nur zugelassen, wenn sie grundbuchmäßig abgetrennt sind. Das ist aber im Streitfall bei dem 2/3- Miteigentumsanteil in Verbindung mit dem Sondereigentum unstreitig der Fall.
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn in dem zuzulassenden Revisionsverfahren eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605), die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Hinweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 8 ff.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muß in der Beschwerdeschrift schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Hieran fehlt es im Streitfall.
Zwar hat der Kläger in der Beschwerdeschrift zwei Rechtsfragen zum Haftungstatbestand des § 74 AO 1977 aufgeworfen, die er für grundsätzlich hält. Einmal sei zu klären, von welchem Ausmaß und von welcher Intensität die Nutzung eines Grundstücks sein müsse, damit es als von wesentlicher Bedeutung für das Unternehmen angesehen werden könne, und zum anderen, ob und wann die Zuhilfenahme einer einzigen nicht dem Unternehmen gehörigen Sache für so wesentlich anzusehen sei, daß der Begriff des "Dienens" ausgefüllt werde. Der Kläger hat jedoch schon nicht ausreichend dargelegt, weshalb die Beantwortung dieser Fragen im Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und der Handhabung des Rechts liegt. Daß § 74 AO 1977 nach der nicht näher belegten Ansicht des Klägers wegen der "erheblich zahlreicheren Konkurse der letzten Zeit" oder auch der Zunahme der zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsaufspaltungen in vielen ähnlich gelagerten Fällen Aktualität gewinnen dürfte, begründet noch nicht das erforderliche Interesse der Allgemeinheit, ganz abgesehen davon, daß dem Senat keine weiteren bei ihm anhängigen Rechtssachen zu § 74 AO 1977 bekannt sind. Es kommt vielmehr darauf an, ob die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebenden Rechtsfragen das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren (BFH- Beschluß vom 20. August 1992 IX B 46/92, BFH/NV 1993, 371). Dies hat der Kläger nicht dargelegt.
Den aufgeworfenen Rechtsfragen kommt grundsätzliche Bedeutung aber auch nicht zu, weil davon auszugehen ist, daß sie angesichts der vielfältig möglichen Situationen bei der Zurverfügungstellung eines Grundstücks an ein Unternehmen durch eine daran wesentlich beteiligte Person nicht generell und einheitlich, sondern grundsätzlich nur einzelfallbezogen unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles beantwortet werden können. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern im Streitfall in einem möglichen Revisionsverfahren die Überprüfung der aufgeworfenen Fragen das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren könnte.
Letztlich geht es im Streitfall nämlich lediglich um die Anwendung fester Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall. Die Vorentscheidung steht entgegen der Ansicht des Klägers ersichtlich auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 74 AO 1977, wonach der Haftungsgegenstand dem Unternehmen, wenn auch unter Mitbenutzung anderer, im Haftungszeitraum gedient haben, von diesem also für betriebliche Zwecke verwendet worden sein muß (BFH/NV 1988, 617). Das hat das FG, abgesehen von der Vermietung des Haftungsgegenstandes als Ganzem an die KG, insbesondere den Tatsachen entnommen, daß das gesamte hier maßgebliche Sondereigentum in der Bilanz der KG als Betriebsvermögen behandelt und abgeschrieben worden ist und daß sich in den vermieteten Räumen sowohl das Büro des Geschäftsführers als auch die Buchhaltung der KG befunden haben. Wenn das FG unter diesen Umständen den Haftungsgegenstand als wesentlichen Beitrag für die Weiterführung des Gewerbebetriebes und für die Erzielung steuerbarer Umsätze der KG angesehen (BFHE 139, 242) und es dabei als unschädlich erachtet hat, daß ein Teil der an die KG vermieteten Räume im Kellergeschoß leer stand, so handelt es sich bei dieser Beurteilung um die Anwendung feststehender Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall, wobei das Ergebnis dieser Rechtsanwendung, selbst wenn es falsch sein sollte, über den Einzelfall hinaus keine grundsätzliche Bedeutung für die Allgemeinheit hat. Es kann daher auch nicht mit Erfolg zum Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemacht werden.
Fundstellen
Haufe-Index 420019 |
BFH/NV 1995, 89 |