Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessunfähigkeit; Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB; kein gewillkürter Beteiligtenwechsel im Rechtsmittelverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Prozessfähigkeit ist sowohl Sachentscheidungs- als auch Prozesshandlungsvoraussetzung. Fehlt sie, so ist die Einlegung eines Rechtsmittels unwirksam und dieses als unzulässig zu verwerfen.
2. Eine Genossenschaft wird durch ihren Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Der nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB von einer Gemeinde zum gesetzlichen Vertreter für einen unbekannten Grundstückseigentümer Bestellte handelt weder als Vorstand noch als Abwickler für die als Eigentümerin im Grundbuch eingetragene Genossenschaft.
3. Die ‐ zulässige ‐ Auslegung von Erklärungen rechtskundiger Personen darf nicht zu einem Erklärungsinhalt führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen und der sogar dem verlautbarten gegenteiligen Verständnis des fachkundigen Vertreters widerspräche.
4. Ein gewillkürter Beteiligtenwechsel ist im Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen. Am Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann beteiligt sein, wer auch schon am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt war. Mit dem Rechtsmittel soll eine zwischen bestimmten Beteiligten ergangene Entscheidung der Vorinstanz nachgeprüft werden.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, § 79 Abs. 1 Nr. 3; BGB § 1915 Abs. 1; EGBGB Art. 233 § 2 Abs. 3; FGO § 58 Abs. 2 S. 1; GenG § 24 Abs. 1-2; VwVfG § 16 Abs. 4
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 28.07.2003; Aktenzeichen 3 K 1808/01) |
Nachgehend
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unzulässig und gemäß § 132 FGO durch Beschluss zu verwerfen.
1. Die namens der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhobene Beschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil die Klägerin prozessunfähig ist.
Handlungen eines Prozessunfähigen sind unwirksam. Die Prozessfähigkeit ist sowohl Sachentscheidungsvoraussetzung als auch Prozesshandlungsvoraussetzung. Fehlt sie, so ist die Einlegung des Rechtsmittels unwirksam und dieses als unzulässig zu verwerfen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Dezember 1999 XI R 75/97, BFH/NV 2000, 1067, und vom 11. Dezember 2001 VI R 19/01, BFH/NV 2002, 651, unter II. 3. a, jeweils m.w.N.).
Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 FGO handeln für juristische Personen, die als solche der Besteuerung unterliegen, die nach dem bürgerlichen Recht dazu befugten Personen.
Prozessunfähige wie eine juristische Person können daher nur durch ihre gesetzlichen Vertreter wirksam Prozesshandlungen vornehmen lassen (vgl. auch § 79 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung --AO 1977-- i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977).
Eine Genossenschaft wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 24 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes --GenG--). Unbeschadet der Regelung in § 24 Abs. 2 Satz 1 GenG war durch Ableben des einzigen verbliebenen Vorstandsmitgliedes, Herrn X, im Jahr 1996 kein gewähltes, zur Vertretung befugtes Organ der Genossenschaft mehr vorhanden.
Der zum gesetzlichen Vertreter gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) durch Bescheid der Stadt Y vom 1. Dezember 1997 bestellte Prozessvertreter ist weder Vorstand noch Abwickler der Genossenschaft. Seine Vertretungsmacht beruht nicht auf genossenschaftsrechtlicher Grundlage. Der Umfang der Vertretungsmacht des nach Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 1 EGBGB bestellten Vertreters wird vielmehr allein von Art. 233 § 2 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EGBGB, § 16 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und den nach § 1915 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwendenden Vorschriften des Vormundschaftsrechts bestimmt. Zweck des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB ist es, die Handlungsfähigkeit in Bezug auf ein bestimmtes Grundstück herzustellen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 25. Oktober 2002 V ZR 243/01, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2003, 324).
Der gesetzliche Vertreter handelt nicht im eigenen Namen, sondern im Namen eines Grundstückseigentümers, der nicht bekannt ist, oder dessen Aufenthaltsort nicht festgestellt werden kann (Beschluss des BGH vom 16. Juni 2000 LwZR 15/99, MDR 2000, 1183).
Die namens der Baugenossenschaft Y e.G.mbH ausdrücklich vom Prozessvertreter als deren gesetzlichen Vertreter erhobene Beschwerde kann auch nicht als eine solche des gesetzlichen Vertreters für den oder die unbekannten Eigentümer der Grundstücke erhobene Beschwerde ausgelegt werden.
Zwar sind auch auslegungsbedürftige Prozesserklärungen rechtskundiger Personen nach den allgemein für die Auslegung von Prozesserklärungen geltenden Grundsätzen auszulegen, um den wirklichen Willen des Erklärenden zu ermitteln. Indes darf die Auslegung nicht zur Annahme eines Erklärungsinhaltes führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen und der sogar dem verlautbarten gegenteiligen Verständnis des fachkundigen Vertreters widerspräche (vgl. BFH-Urteile vom 18. März 1998 II R 41/97, BFH/NV 1998, 1235; vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 16. August 2001 V B 51/01, BFHE 196, 16, BStBl II 2001, 767; vom 29. November 1995 X B 328/94, BFHE 179, 222, BStBl II 1996, 322).
Der Prozessvertreter ist vom Verwaltungsverfahren an stets ausdrücklich als gesetzlicher Vertreter der von ihm als fortbestehend und damit als beteiligtenfähig angesehenen Baugenossenschaft Y e.G.mbH aufgetreten. In gleicher Weise hat er die Klage erhoben (vgl. Klageschrift vom 26. September 2001) und auch seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision begründet. Auch das Beschwerdevorbringen, der Prozessvertreter sei als gesetzlicher Vertreter der Klägerin von der Stadt Y bestellt worden, bestätigt das Auslegungsergebnis. Der Prozessvertreter hat sich hingegen selbst nicht als gesetzlicher Vertreter für den unbekannten Eigentümer verstanden.
Soweit der Prozessvertreter erstmals im Schriftsatz vom 14. August 2003, mit dem er die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, im Rubrum angibt, Beschwerdeführerin sei die Baugenossenschaft, vertreten durch Rechtsanwalt Z als gesetzlichem Vertreter des Eigentümers der im Einzelnen mit Flurstücknummern bezeichneten Grundstücke, könnte dies isoliert betrachtet zwar ein Anhaltspunkt für eine Rechtsschutz gewährende Auslegung in dem Sinne bieten, dass eine Beschwerde tatsächlich beschränkt auf die Eigentümerstellung erhoben werden sollte.
Indes ist ein gewillkürter Beteiligtenwechsel im Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen. Beteiligt sein kann am Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur, wer auch schon am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt war; denn mit dem Rechtsmittel soll eine zwischen bestimmten Beteiligten ergangene Entscheidung der Vorinstanz nachgeprüft werden (BFH-Beschluss vom 24. Juli 1996 VIII R 41/96, BFH/NV 1997, 128; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 6).
Wer am erstinstanzlichen Verfahren tatsächlich beteiligt war, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln (BFH-Beschluss vom 30. September 1999 I R 9/98, BFH/NV 2000, 572).
Ausweislich des Rubrums des angefochtenen Urteils ist dieses gegen die Baugenossenschaft Y e.G.mbH als Klägerin ergangen. Wesentlicher Gegenstand des Klageverfahrens war deren Beteiligtenfähigkeit, deren Anerkennung der Prozessvertreter gerade durchsetzen wollte und will. Eine abweichende Auslegung hinsichtlich der klagenden Partei kommt angesichts der gesamten Umstände des Verfahrens nicht in Betracht.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind dem vollmachtlosen Prozessvertreter gemäß § 135 Abs. 2 FGO aufzuerlegen, der das erfolglose Beschwerdeverfahren veranlasst hat.
Eine wirksame Vollmacht der Baugenossenschaft, deren gesetzlicher Vertreter der Prozessvertreter --wie ausgeführt-- nicht ist, hat er nicht vorgelegt (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 572).
Fundstellen
BFH/NV 2005, 713 |
DStRE 2005, 599 |
HFR 2005, 391 |