Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler; Einholung eines weiteren Gutachtens
Leitsatz (NV)
- Liegen sich widersprechende Gutachten vor, muss das Finanzgericht nicht notwendigerweise ein weiteres Gutachten einholen; das Finanzgericht kann im Einzelfall davon ausgehen, dass ein weiteres Gutachten keine besseren Erkenntnisse bringen würde.
- In dem Unterlassen der Heranziehung eines (weiteren) Gutachers liegt ein verzichtbarer Mangel i.S. von § 295 Abs. 1 ZPO. Die Beteiligten müssen deshalb ‐ um ihr dahin gehendes Rügerecht nicht zu verlieren ‐ das Unterlassen einer ihrer Ansicht nach gebotenen weiteren Beweiserhebung grundsätzlich spätestens in der auf die Beweisaufnahme folgenden mündlichen Verhandlung rügen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3; ZPO § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.09.2002; Aktenzeichen 6 K 2279/00) |
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert. Dieses (neue) gesetzliche Tatbestandsmerkmal erfasst die sog. Divergenzrevision nach altem Recht, aber auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der Finanzgerichte ―FG― (BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt; das FG hat seiner Entscheidung nicht einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Entscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt.
2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben, unter gleichzeitigem schlüssigen Vortrag, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Zur ordnungsgemäßen Rüge der unterlassenen Beweiserhebung ist vorzutragen, warum dies nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt wurde bzw. aus welchem Grund dies nicht möglich oder zumutbar war (BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2001 XI B 134/99, BFH/NV 2001, 1440, und vom 29. August 2001 XI B 101/00, BFH/NV 2002, 201).
a) Im Streitfall ist ein Verfahrensmangel nicht gegeben. Liegen sich widersprechende Gutachten vor, muss das FG nicht notwendigerweise ein weiteres Gutachten einholen; das FG kann im Einzelfall davon ausgehen, dass ein weiteres Gutachten keine besseren Erkenntnisse bringen würde (BFH-Urteile vom 14. August 1980 IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21, und vom 11. Juli 1991 IV R 15/90, BFHE 165, 216, BStBl II 1991, 889).
b) Im Übrigen hat der Kläger auf die Heranziehung eines weiteren Gutachters verzichtet. Er hat in dem Schriftsatz vom 4. September 2002 selbst vorgeschlagen, die bereits vorliegenden Gutachten zu würdigen.
c) Davon abgesehen liegt in dem Unterlassen der Heranziehung eines (weiteren) Gutachters ein verzichtbarer Mangel i.S. von § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Beteiligten müssen deshalb ―um ihr dahin gehendes Rügerecht nicht zu verlieren― das Unterlassen einer ihrer Ansicht nach gebotenen weiteren, ggf. unmittelbaren Beweiserhebung grundsätzlich spätestens in der auf die Beweisaufnahme folgenden mündlichen Verhandlung rügen. § 295 Abs. 1 ZPO gilt auch im FG-Prozess mit der Folge, dass der ungerügt gebliebene Verfahrensmangel nach § 155 FGO grundsätzlich weder mit der Revision noch ―wie hier― mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (BFH-Beschluss vom 30. Juli 2002 X B 40/02, BFH/NV 2003, 56, m.w.N.).
Dementsprechend wäre für die schlüssige Rüge des in Rede stehenden Verfahrensmangels der substantiierte Vortrag des Klägers erforderlich gewesen, dass er den (angeblichen) Verfahrensverstoß in der Vorinstanz gerügt habe oder weshalb ihm eine derartige Rüge nicht möglich gewesen sei. Das ist nicht geschehen.
d) Die Erfüllung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gebietet keine Erörterung, die auf Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Urteil hinausläuft (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 96 Rz. 32 a.E.).
Nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragene Zulassungsgründe müssen unberücksichtigt bleiben (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 22).
3. Die Entscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.
Fundstellen