Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit einer auf § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO gestützten Revision
Leitsatz (NV)
Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO ist nicht gegeben, wenn erkennbar ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung des FG stützt. Das kann auch dann der Fall sein, wenn sich das FG nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Frage geäußert hat.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 120 Abs. 2 S. 2, §§ 124, 126 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und von Beruf Steuerberater bzw. Steuerbevollmächtigte. Sie hatten in den Streitjahren 1974 und 1975 keine i.S. des Einkommensteuergesetzes zu berücksichtigende Kinder. Dennoch berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre vom 9. und 23. August 1977 zwei Kinder. Die Bescheide wurden am 6. Februar 1981 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert. Dabei wurde auch die Berücksichtigung der Kinder rückgängig gemacht. Der Kläger erhob gegen diese Änderungsbescheide mit Schriftsatz vom 9. Februar 1981 Einspruch und machte geltend, daß gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 eine Korrektur der abzugsfähigen Sonderausgaben und der Kinderfreibeträge nicht zulässig sei. Der Einspruch blieb erfolglos. Der Beklagte vertrat in der an beide Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung vom 16. März 1981 die Auffassung, daß die Bescheide vom 9. und 23. August 1977 auch hinsichtlich der abzugsfähigen Sonderausgaben und der Kinderfreibeträge zu Recht berichtigt worden seien. Rechtsgrundlage sei insoweit § 129 AO 1977.
Die hiergegen von beiden Klägern erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß die angegriffenen Bescheide wirksam seien, obwohl sie hinsichtlich der rückgängig gemachten Berücksichtigung von Kindern weder die Angabe einer Änderungsgrundlage noch eine entsprechende Erläuterung enthielten. Es handelte sich insoweit um einen gemäß § 126 Abs. 1 Nr.2 AO 1977 unbeachtlichen Formfehler. Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vorgenommene Änderung sei § 129 AO 1977. Die Bescheide vom 9. und 23. August 1977 seien hinsichtlich der abzugsfähigen Sonderausgaben und der Kinderfreibeträge unrichtig gewesen, da die Kläger an den maßgeblichen Stichtagen keine einkommensteuerlich berücksichtigungsfähigen Kinder gehabt hätten. Es liege auch eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 vor. Diese könne in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens bestehen. Davon sei hier auszugehen. Die Aktenlage spreche gegen die konkrete Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung. Auch die Möglichkeit eines Fehlers bei der Rechtsanwendung scheide aus.
Die Klage der Klägerin sei unzulässig. Der Einspruch sei nur vom Kläger erhoben worden. Zwar richte sich die Einspruchsentscheidung auch an die Klägerin, so daß es ihr grundsätzlich nicht verwehrt werden könne, gegen die Einspruchsentscheidung Klage zu erheben. Dies setze jedoch eine Beschwer voraus. Davon sei nur auszugehen, wenn die Einspruchsentscheidung gegenüber dem ursprünglichen Bescheid eine zusätzliche selbständige Beschwer enthalte. Das sei hier nicht der Fall, da die angegriffene Einspruchsentscheidung keine Steuerfestsetzung und auch keine Kostenentscheidung enthalte.
Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision der Kläger, mit der diese einen Verstoß gegen § 116 Abs. 1 Nr.5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend machen. Nach ihrer Ansicht muß ein Urteil entsprechend § 105 Abs. 2 Nr.5 FGO erschöpfend begründet werden. Ein Verstoß gegen § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO sei nicht nur gegeben, wenn Gründe überhaupt fehlten. Ein Mangel liege auch dann vor, wenn Entscheidungsgründe unvollständig seien, weil, wie hier, ein im Klageverfahren vorgetragenes und auch im Urteil genanntes selbständiges Angriffsmittel (hier Hinweis auf Fristablauf) mit Stillschweigen übergangen werde oder sich die Begründung nur auf die schlichte Wiedergabe des Gesetzestextes beschränke. Wenn der Steuerpflichtige, wie hier, in tatsächlicher Hinsicht Einwendungen erhoben und ausgeführt habe, daß in seinem Fall besondere rechtliche Gesichtspunkte zu beachten seien, so müsse das FG in seinem Urteil darauf eingehen. Das angefochtene Urteil entspreche diesen Grundsätzen nicht.
Das FG gehe zu Unrecht davon aus, daß eine Korrektur nach § 129 AO 1977 jederzeit zulässig sei. Damit habe das FG zur Frage der Festsetzungsverjährung zwar Stellung genommen. Es habe aber diese Ansicht, die nicht mit dem Gesetz vereinbar sei, nicht begründet. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 sei allein wegen Fristablaufs zumindest für das Streitjahr 1974 nicht mehr zulässig. Im übrigen habe das FG die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 zu Unrecht angenommen.
Ein weiterer Mangel in der Begründung liege in der Feststellung des FG, daß der Einspruch nur vom Kläger erhoben worden sei. Das FG habe das Schreiben des Klägers vom 13. Februar 1981 an das FA übersehen. Darin sei die Frage, ob der Kläger den Einspruch auch für seine Ehefrau, die Klägerin, führe, bejaht worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Nach Art.1 Nr.5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat.
Ohne Zulassung durch das FG oder den BFH ist die Revision nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher wesentlicher Verfahrensmangel ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben. Daran fehlt es hier.
Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO liegt nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das ist z.B. der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt oder wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt bzw. auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt. Das ist nach dem Beschluß des BFH vom 9. Februar 1977 I R 136/76 (BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351) u.a. dann anzunehmen, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, das Urteil mithin bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen wurde (vgl. hierzu auch Urteile vom 11.Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492; vom 3. März 1970 VII R 43/68, BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494; vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638). Dagegen ist die Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO nicht schlüssig, wenn der angebliche Begründungsmangel nur ein Tatbestandsmerkmal einer Rechtsnorm berührt. Ein wesentlicher Verfahrensmangel in dem Sinn liegt ferner nicht vor, wenn den Ausführungen des FG nicht gefolgt werden kann oder wenn die Vorentscheidung Widersprüche enthält, sofern noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgebend waren. Es ist insoweit auch unbeachtlich, wenn die Begründung lückenhaft ist (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325, m.w.N.). Das FG braucht sich nicht mit jeder rechtlichen Erwägung, die ein Beteiligter vorbringt, in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen, um den Einwand zu vermeiden, die Entscheidung sei nicht im Sinn des Gesetzes mit Gründen versehen. Die Beteiligten müssen lediglich durch die Entscheidung Kenntnis davon erhalten, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen oder rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht.
Nach diesen Maßstäben ist das angefochtene Urteil i.S. von § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO mit Gründen versehen.
Die Kläger tragen nicht schlüssig vor, daß nicht erkennbar sei, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung des FG stütze, oder daß das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen habe.
a) Das FG hat sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob die bestandskräftigen Bescheide vom 9. und 23. August 1977 berichtigt werden durften. Es vertritt zunächst die Auffassung, daß der fehlende Hinweis in den angefochtenen Bescheiden auf die Berichtigungsvorschrift des § 129 AO 1977 nur ein unbeachtlicher Formfehler i.S. des § 126 Abs. 1 Nr.2 AO 1977 sei. Weiter führt das FG im einzelnen aus, daß nach seiner Ansicht die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 gegeben sind. Das hat bei Zugrundelegung der Auffassung des FG zur Folge, daß die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und die Klage abgewiesen werden mußte.
Die Urteilsbegründung läßt damit die rechtlichen Erwägungen, die das FG geleitet haben, und die tragenden Gesichtspunkte für die Klageabweisung in ausreichender Weise erkennen. Auf dieser Grundlage läßt sich das Urteil auf seine Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin überprüfen.
Zwar hat sich das FG in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich zu der von den Klägern in ihrem Schriftsatz vom 7. Juli 1982 aufgeworfenen Frage der Festsetzungsverjährung geäußert. Das war jedoch nicht unbedingt erforderlich (vgl. dazu das BFH-Urteil in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, und den BFH-Beschluß vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 609). Wie sich aus dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergibt, hat das FG das Vorbringen der Kläger berücksichtigt. Offensichtlich ist es davon ausgegangen, daß die von den Klägern angeführten Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung im Streitfall nicht anwendbar sind. Auf diese Rechtslage hatte bereits das FA im Klageverfahren (Schriftsatz vom 27. September 1982) hingewiesen, ohne daß die Kläger darauf eingegangen wären. Das FG konnte unter diesen Umständen von einer weiteren rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Verjährungseinwand der Kläger absehen, weil dieser Einwand eindeutig nicht stichhaltig war. Der Entscheidung liegt ersichtlich die richtige Rechtsauffassung zugrunde, daß die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Denn die Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung kommen hier nicht zur Anwendung. Sie gelten erstmals für die Festsetzung bzw. Aufhebung und Änderung der Festsetzung von Steuern, die nach dem 31. Dezember 1976 entstanden sind. Für vorher entstandene Ansprüche gelten die Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) über die Verjährung von Steuern weiter (Art.97 § 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung). Davon geht entgegen der Auffassung der Kläger auch das Urteil des erkennenden Senats vom 22.Februar 1991 III R 35/87 (BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 712) aus. Entsprechend den danach einschlägigen Vorschriften der §§ 144 Abs. 1, 145 Abs. 2 Nr.1 AO war die Festsetzungsfrist für die Streitjahre am 6. Februar 1981 noch nicht abgelaufen.
Im übrigen behaupten die Kläger selbst nicht, daß das FG ihr Vorbringen, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten, übergangen habe. Sie sind lediglich der Ansicht, daß das FG insoweit, ohne dies zu begründen, einen rechtswidrigen Standpunkt eingenommen habe. Damit machen sie jedoch nur geltend, daß die Begründung unzureichend bzw. fehlerhaft sei. Ein solcher Mangel fällt nicht unter § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO.
Aus diesem Grund kann es dahinstehen, ob der Einwand der Festsetzungsverjährung überhaupt ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel war, das in der Vorinstanz einen wesentlichen Streitpunkt eingenommen hat.
Soweit sich die Kläger im übrigen gegen die Rechtsansicht des FG wenden und geltend machen, daß die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 nicht vorgelegen hätten, rügen sie nicht das Fehlen der Entscheidungsgründe, sondern materielle Rechtsfehler bei der Entscheidungsfindung. Dies begründet keinen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO.
b) Dies gilt auch für den Einwand, daß das FG zu Unrecht die Unzulässigkeit der auch von der Klägerin erhobenen Klage angenommen habe. Auch insoweit wird nicht schlüssig ein Verfahrensfehler i.S. des § 116 Abs. 1 Nr.5 FGO geltend gemacht. Die Kläger bemängeln zwar, daß das FG die Schreiben vom 11. und 13. Februar 1981 übersehen habe. Sie tragen damit aber nicht schlüssig vor, daß die Entscheidung des FG insoweit nicht mit Gründen versehen bzw. ein selbständiger Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel übersehen worden sei. Die Kläger wenden sich vielmehr gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung.
Fundstellen
Haufe-Index 418416 |
BFH/NV 1993, 367 |