Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsache
Leitsatz (NV)
- Die Frage nach der Änderungsbefugnis wegen neuer Tatsachen bei beiderseitigen Pflichtverletzungen ist durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt. Danach ist die Änderung eines Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur dann nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben.
- Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteile vom 10. April 1997 IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 und vom 15. Oktober 1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286).
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Gründe
Von einer Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) begehren, ist sie jedenfalls unbegründet.
a) Die Kläger sehen es als unzulässig an, dass das Bekanntwerden einer Zahlung als solche die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) erfülle; auch die steuererhöhende Auswirkung dieser Tatsache müsse bekannt werden.
Bei diesem Vortrag kann offen bleiben, ob die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in einer den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt haben, denn die Kläger haben weder vorgetragen, ob und in welchem Umfang die von ihnen angesprochene Rechtsfrage umstritten ist (s. etwa Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozess, Rdnr. 153), noch haben sie das allgemeine Interesse an der Klärung dieser Frage über den entschiedenen Einzelfall hinaus dargelegt (dazu etwa Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, und zuletzt Senatsbeschluss vom 6. Juli 1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587). Den Zweifeln an der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache braucht der Senat indessen nicht weiter nachzugehen, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344).
Ein im allgemeinen Interesse liegendes Bedürfnis nach Klärung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage noch nicht vorliegt und hinsichtlich ihrer Beantwortung eine Unsicherheit besteht (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Anm. 9). Die von den Klägern als von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfene Frage wird unmittelbar durch das Gesetz geklärt. Dass die bekannt gewordene Tatsache zu einer höheren Steuer führen muss, ist Tatbestandsvoraussetzung für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Bei der vom Kläger vorgelegten Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Betriebseinnahmen aber grundsätzlich gewinnerhöhend anzusetzen und führen daher zu einer höheren Einkommensteuer, sofern nicht eine sachliche Steuerbefreiung Anwendung findet.
b) Die Kläger machen ferner geltend, solange der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) nicht den Nachweis der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erbracht habe, treffe den Steuerpflichtigen keine Mitwirkungspflicht; es sei unzulässig, eine Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen davon abhängig zu machen, dass ihn kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden einer Tatsache treffe, während eine Änderung zu seinen Lasten bereits dann möglich sei, wenn lediglich eine Zahlung bekannt werde und der Steuerpflichtige nicht in der Lage sei, die Versteuerung nachzuweisen. Unterstellt man zu Gunsten der Kläger, dass dem FA im Streitfall ein Ermittlungsfehler unterlief, während der Kläger seine Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten nicht erfüllt hat oder erfüllen konnte, so ist auch diese Frage nach der Änderungsbefugnis gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bei beiderseitigen Pflichtverletzungen durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt. Danach ist die Änderung eines Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur dann nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (Senatsurteile vom 10. April 1997 IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757, und vom 15. Oktober 1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286). Dass die Änderungsbefugnis zum Nachteil des Steuerpflichtigen gerade nicht von einem groben Verschulden des Steuerpflichtigen abhängt, ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz.
2. Die Rüge einer Abweichung des Urteils des Finanzgerichts (FG) von Entscheidungen des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) ist nicht in zulässiger Weise erhoben. Insoweit tragen die Kläger vor, das FG habe dem FA die Beweislast zugewiesen, gleichwohl aber unter Hinweis auf das Gesamtergebnis des Verfahrens gegenteilig entschieden. Damit weiche die angefochtene Entscheidung "von allen bekannten Urteilen des BFH" ab, "die sich mit Beweiswürdigung befaßt" hätten. Dieser Hinweis auf eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des BFH genügt nicht den Anforderungen, die nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Bezeichnung der Divergenz zu stellen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Soweit die Kläger drei Urteile des BFH bezeichnet haben, fehlt es an einer ordnungsgemäßen Divergenzrüge. Mit dem bloßen Hinweis auf die Urteile des BFH vom 29. August 1996 VIII R 15/93 (BFHE 182, 21, BStBl II 1997, 317), vom 21. August 1996 I R 80/95 (BFHE 181, 415, BStBl II 1997, 134) und vom 26. November 1996 VII R 64/96 (BFHE 181, 529, BStBl II 1997, 185) haben die Kläger der angefochtenen Entscheidung keine abstrakten Rechtssätze aus divergenzfähigen Entscheidungen so gegenübergestellt, dass eine Abweichung erkennbar wird (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 17. Februar 1999 IV B 53/98, BFH/NV 1999, 1078, m.w.N.). Dieser Darlegungspflicht sind die Kläger nicht nachgekommen.
3. Die von den Klägern gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) greifen ebenfalls nicht durch. Nach dieser Vorschrift muss bei einer auf einen Verfahrensmangel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde in der Beschwerdeschrift der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Hierzu sind die Tatsachen einzeln, genau und bestimmt anzuführen, die den Mangel ergeben sollen. Weiter ist darzutun, dass das finanzgerichtliche Verfahren auf diesen Mängeln beruht, d.h. aufzuzeigen, dass das FG ohne den Verfahrensmangel anders entschieden hätte. Hierbei ist von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (BFH-Beschluss vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562).
a) Die Kläger haben den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO; Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) nicht schlüssig gerügt. Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Inwieweit diese Gelegenheit wahrgenommen wird, ist Sache der Beteiligten (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Anm. 33, sowie Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 112, jeweils m.w.N.). Das Recht auf Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse. Doch folgt aus § 93 Abs. 1 FGO, wonach der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung die Streitsache tatsächlich und rechtlich zu erörtern hat, dass die Beteiligten auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen bewahrt werden sollen (Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Anm. 32). Können die Beteiligten indessen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Beweismittel benennen, ist das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, seine vorläufige Beweiswürdigung während des Verfahrens offen zu legen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 2305). Regelmäßig besteht somit weder eine umfassende Aufklärungs- oder Hinweispflicht noch eine Pflicht zum allgemeinen Rechtsgespräch. Vielmehr genügt es, dass die Beteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 82/94, BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518, m.w.N.).
Im Streitfall hatten die Kläger ausreichend Gelegenheit, sich zu der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Sie konnten zu den dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen Stellung nehmen und sich auf die möglichen rechtlichen Folgerungen durch das Gericht einstellen. Der Kläger selbst hat den Gesichtspunkt, die Vorschusszahlungen seien ihm als Darlehen gewährt worden, in das Verfahren eingeführt. Da das Verfahren aber allein die Frage der Versteuerung des Honorars von 30 000 DM und mithin auch des vom Kläger als Darlehen deklarierten Teilbetrags von 9 303,24 DM zum Gegenstand hatte, konnte er in der mündlichen Verhandlung kaum davon überrascht werden, dass das Gericht Zweifel an der Darlehensvereinbarung äußerte. Nach seinem eigenen Vortrag handelte es sich bei diesem Teilbetrag um einen Vorschuss für weitere Angelegenheiten, die er für die Fa. X bearbeitet hatte. Der weitere Vortrag, wonach diese Zahlung als Darlehen gewährt worden und durch weitere hinzukommende Rechnungen abgebaut worden sei, ist derart widersprüchlich, dass der Kläger davon ausgehen musste, weitere Beweismittel seien vorzulegen. Dies gilt in gleicher Weise für die Beträge von 2 930,48 DM und 825,44 DM, die vom Kläger als Kosten fremder Rechtsanwälte und sonstige Auslagen bezeichnet wurden.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist damit nicht schlüssig gerügt. Hierzu hätte der Kläger mit der Beschwerde vortragen müssen, warum die angebliche Verletzung nicht bereits in der mündlichen Verhandlung beanstandet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 247/78, BFHE 129, 524, BStBl II 1980, 299, sowie Beschluss vom 9. Juli 1996 VII S 16/95, BFH/NV 1997, 143). Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26. November 1998 wurde dies jedoch klägerseits unterlassen.
b) Im Übrigen greifen die Kläger nur die Beweiswürdigung des FG und damit die Richtigkeit der Vorentscheidung (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 1995 V B 51/94, BFH/NV 1995, 892) an. Dies rechtfertigt aber ebenso wenig eine Zulassung der Revision wie der Hinweis, der Betrag von 9 303,24 DM sei im Folgejahr versteuert worden; insoweit kann sich allenfalls eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 nach § 174 AO 1977 ergeben. Ihr Vorwurf, das Gericht habe seine Hinweispflichten verletzt, weshalb versäumt worden sei, weitere Unterlagen einzureichen, "so daß es jedenfalls so zu dem angegriffenen Urteil nicht gekommen wäre", ist unbegründet. Der Berichterstatter hat den Beteiligten mit Schreiben vom 28. April 1997 seine Rechtsauffassung dargelegt und den Kläger aufgefordert, bestimmte im Einzelnen bezeichnete Unterlagen einzureichen. Daraufhin lehnte der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf seine Entscheidung vom 13. Mai 1998 IV B 104/97 (BFH/NV 1999, 46), mit dem er die Beschwerde gegen den das Ablehnungsgesuch abweisenden Beschluss des FG zurückgewiesen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 508885 |
BFH/NV 2000, 1445 |