Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung bei Versäumung der Rechtsmittelfrist wegen Mittellosigkeit zur Beauf tragung eines Prozeßbevollmächtigten; Gründe für die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren
Leitsatz (NV)
1. Ist ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage, rechtzeitig ein Rechtsmittel durch einen Prozeßbevollmächtigten einlegen zu lassen, so kann eine Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist ein ordnungsgemäßes Prozeßkostenhilfegesuch einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht worden ist.
2. Zeigen die Schriftsätze des Klägers, daß er die Verfahrensarten in verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit nicht auseinanderhalten und den Zweck finanzgerichtlicher Verfahren nicht erkennen kann, so ist die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren berechtigt.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1 S. 2, § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2-4; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) erhob Klage vor dem Finanzgericht (FG) auf Zahlung von Berlinzulage. Soweit ersichtlich ist, geht es dem seit 1989 geschiedenen Kläger darum, daß ihm und seinen beiden Kindern durch die Übertragung der elterlichen Sorge auf seine geschiedene Frau Unrecht geschehen und die Kinder daher steuerlich ihm zuzurechnen seien. Der Kläger erhob neben der Klage auf Zahlung von Berlinzulage auch Klage auf Änderung der Lohnsteuerkarte und auf Erstattung von einbehaltener zu hoher Lohnsteuer wegen der Nichtberücksichtigung der Kinder.
Das FG gab dem Kläger in dem Verfahren wegen Berlinzulage ebenso wie vorher in dem Verfahren wegen Lohnsteuer durch Beschluß vom 30. Januar 1995 auf, einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Es begründete seinen Beschluß damit, daß der Kläger geistig nicht in der Lage sei, die entscheidungserheblichen Umstände zu erkennen und die nach Lage des Falles gebotenen Prozeßhandlungen vor zunehmen. Dies ergebe sich schon aus dem Inhalt der Klageschrift, die ein derartiges Ausmaß an weitschweifigen, zusammenhanglosen und unsachlichen Ausführungen sowie unsinnigen Anträgen enthalte, daß im Interesse eines sachgerechten und beschleunigten Fortgangs des Verfahrens und auch im wohlverstandenen Interesse des Klägers die Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten geboten sei.
Gegen diesen Beschluß erhob der Kläger durch ein von ihm persönlich unterzeichnetes Schreiben Beschwerde. Er begründete diese Beschwerde damit, daß er es als Unrecht empfinde, sich selbst einen Prozeßbevollmächtigten zu suchen, "bevor die Klagebeteiligten angerufen" seien. Es handele sich bei dem Klageverfahren nämlich nur um ein Anspruchsberechnungsverfahren. Ziel der Klage sei vordringlich "die Anschriftfestlegung der Bundesbehörde und des Zahlungsträgers der Zuständigkeit über Auszahlungen und der Berechnung zur beanspruchten Berlinzulage". Diese Angaben und Berechnungen benötige er für seine Prozeßkostenhilfeanträge in dem Verfahren wegen Änderung der Lohnsteuerkarte und Lohnsteuererstattungen sowie für im Hinblick auf das ihm geschehene Unrecht in anderen Gerichtszweigen angestrengte Verfahren.
Mit Schreiben vom 8. Juli 1995 an den Bundesfinanzhof (BFH) bat der Kläger dann um die Übersendung der benötigten Vordrucke zur Stellung eines Antrags auf Prozeßkostenhilfe (PKH). Er fügte diesem Schreiben bereits eine Ablichtung eines ausgefüllten Vordrucks der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum PKH- Antrag bei und wies darauf hin, daß das Original dieser Erklärung dem ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) vorliege.
Entscheidungsgründe
Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats behandelte das Schreiben des Klägers vom 8. Juli 1995 als Antrag auf Gewährung von PKH für das Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten (Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens III B ... ). Dem Kläger wurde deshalb das vorliegende Aktenzeichen III S 5/95 für das PKH-Verfahren zugeteilt.
Daraufhin richtete der Kläger unter dem Datum des 6. Oktober 1995 erneut ein Schreiben an den BFH, in dem er wörtlich ausführte: "Hiermit stelle ich ... den Antrag auf Prozeßkostenhilfe zur Betreibung des genannten Verfahrens in III S 5/95 und III B ... ". Diesem Schreiben fügte der Kläger das Original eines ausgefüllten Vordrucks der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Antrag auf Bewilligung von PKH bei. Inhaltlich erhob der Kläger in dem Schreiben vom 6. Oktober 1995 Vorwürfe gegen Behörden und Justizorgane und gegen zwei Strafsenate des BGH. Sinngemäß bat der Kläger darum, "unbedingt" auf die Verfahren vor den beiden Strafsenaten des BGH "zu achten" und "gegebenenfalls einen Bundesdisziplinaranwalt einzusetzen, der die Akten vergleichen kann".
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob bereits in dem Schreiben des Klägers vom 8. Juli 1995 ein Antrag auf PKH für das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahren III B ... zu sehen ist. Jedenfalls ist das Schreiben des Klägers vom 6. Oktober 1995 als ein solcher PKH-Antrag zu werten.
Der Antrag auf PKH kann jedoch keinen Erfolg haben.
1. Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH erhalten, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Im Streitfall hat die Beschwerde gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren wegen Zahlung von Berlinzulage 1991 bis 1994 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Die vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Sie muß daher kostenpflichtig als unzulässig verworfen werden, wenn sie nicht noch zurückgenommen wird.
Nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) muß sich vor dem BFH nämlich jeder Beteiligte -- ausgenommen juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden -- durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Da der Kläger nicht zum Kreis der Personen gehört, die eine (zulässige) Beschwerde beim BFH einlegen können, ist sein Rechtsbehelf unzulässig.
b) Die Beschwerde könnte nunmehr auch nicht mehr von einem vor dem BFH vertretungsbefugten Prozeßbevollmächtigten wiederholt und damit zu einem zulässigen Rechtsmittel gemacht oder neu eingelegt werden. Nach § 129 Abs. 1 FGO ist eine Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung einzulegen. Da die Beschwerdefrist durch die Zustellung des angegriffenen Beschlusses am 31. Januar 1995 in Lauf gesetzt worden ist, ist sie nunmehr längst abgelaufen.
Zwar kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, wenn ein Beteiligter wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, das Rechtsmittel durch einen Bevollmächtigten i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG einlegen zu lassen. In einem solchen Fall muß aber der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und ihm Zumutbare getan haben, um seinerseits das der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels entgegenstehende Hindernis zu beheben. Er muß daher bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein ordnungsgemäßes Gesuch um PKH gestellt haben. Dazu gehört, daß der Antragsteller innerhalb dieser Frist das Gesuch um PKH und auch die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs. 2 bis 4 ZPO) eingereicht hat, sofern er nicht auch hieran wiederum ohne sein Verschulden gehindert war (BFH-Beschluß vom 11. Dezember 1985 I B 44/85, BFH/NV 1986, 557). Im Streitfall hat der Kläger innerhalb der Beschwerdefrist nur die von ihm persönlich unterzeichnete Beschwerde gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten eingelegt. Er hat in dieser Zeit weder ein Gesuch um PKH für das Beschwerdeverfahren noch eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Der vorliegende Antrag auf Gewährung von PKH ist erst weit außerhalb der Beschwerdefrist gestellt worden, so daß dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden könnte.
c) Unabhängig davon, daß die Beschwerde gegen die Anordnung der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten schon aus den genannten formellen Gründen aussichtslos ist, hätte sie aber auch inhaltlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die vom Kläger gegebene Begründung für seinen PKH-Antrag zeigt, daß der Kläger die Verfahrensarten in den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit nicht auseinanderhalten kann. Sie macht zudem ebenso wie die Schriftsätze des Klägers in dem zugrundeliegenden Klageverfahren deutlich, daß der Kläger nicht in der Lage ist, den Zweck finanzgerichtlicher Verfahren zu erkennen. Dieser Eindruck wird erhärtet durch ein anderes beim erkennenden Senat anhängiges Beschwerdeverfahren des Klägers, in dem es ebenfalls um die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten geht. Dabei handelt es sich um das oben genannte Verfahren wegen Änderung der Lohnsteuerkarte und Erstattung von Lohnsteuer. In diesem anderen Beschwerdeverfahren läßt sich aus den verworrenen Schriftsätzen des Klägers nicht einmal mit hinreichender Klarheit entnehmen, ob nur eine Beschwerde gegen die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten oder auch noch gegen einen anderen Beschluß des FG eingelegt werden sollte. Der Senat hat daher mit Beschluß vom heutigen Tage auch die Bewilligung von PKH für dieses andere Beschwerdeverfahren abgelehnt.
Die im PKH-Verfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt deshalb, daß im Streitfall die Anordnung zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten durch das FG gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO berechtigt war.
Fundstellen
Haufe-Index 421114 |
BFH/NV 1996, 498 |