Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsbescheid gegen den Erben; zuverlässige Kenntnis von der Erbenstellung; Übergehen eines als untauglich gewerteten Beweisantrags
Leitsatz (NV)
1. Die Nichterhebung des Zeugenbeweises wegen Untauglichkeit dieses Beweismittels und das Unterlassen eines Hinweises darauf stellen keine Verfahrensfehler dar. Die Rüge, das FG habe den Beweisantrag verfahrensfehlerhaft übergangen, richtet sich im Grunde gegen die zur Untauglichkeit des angebotenen Zeugenbeweises führende Rechtsauffassung des FG. Bei der Prüfung eines Verfahrensfehlers ist die Rechtsauffassung des FG zugrunde zu legen, auf deren materiell-rechtliche Richtigkeit es in diesem Zusammenhang nicht ankommt.
2. Im Streit um den Haftungsbescheid gegen den Erben kann die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses gemäß § 1990 Abs. 1 BGB nicht berücksichtigt werden. Sie entfaltet ihre Rechtswirkung (Beschränkung der Erbenhaftung auf die Gegenstände des dürftigen Nachlasses) erst im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3; BGB § 1944 Abs. 2, §§ 1990, 2365
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 12.06.2007; Aktenzeichen II 367/2004) |
Tatbestand
I. Wegen rückständiger Abgaben der X. und Y. GbR nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) in Haftung. Die Klägerin, Schwester des Gesellschafters X., ist laut Erbschein des Nachlassgerichts Erbin dieses Gesellschafters. Im Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich die Klägerin gegen ihre Heranziehung, weil nicht sie, sondern die minderjährige Tochter des X. aus geschiedener Ehe Erbin geworden sei. Der Erbschein weise sie zu Unrecht als Erbin aus, da die Tochter die Erbschaft zwar ausgeschlagen habe, die Ausschlagungserklärung aber formell unwirksam und verspätet erfolgt sei. Die Ausschlagungsfrist habe spätestens an dem Tag begonnen, an dem der als Zeuge benannte Rechtsanwalt Y. im Auftrag der Mutter des Verstorbenen der Mutter des Kindes (Mutter) telefonisch mitgeteilt habe, dass ihre Tochter Alleinerbin nach X. sei. Ausgehend von diesem Fristbeginn sei die 6-wöchige Ausschlagungsfrist bei Abgabe der Ausschlagungserklärung abgelaufen gewesen. Im Übrigen sei die Haftung auf den --überschuldeten-- Nachlass zu beschränken; dies sei nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu beachten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Dem Einwand der Klägerin, sie sei nicht Erbin geworden, stehe der auf ihren Namen zutreffend ausgestellte Erbschein entgegen. Die Richtigkeitsvermutung des Erbscheins nach § 2365 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die auch im Steuerrecht gelte, sei nach Aktenlage und dem Vorbringen der Klägerin nicht erschüttert. Insbesondere könne dem Vortrag der Klägerin, die Erbausschlagung der Tochter sei verfristet gewesen, weil deren Mutter von der Alleinerbenstellung ihrer Tochter bereits durch das Telefonat mit Rechtsanwalt Y. zuverlässig erfahren habe, nicht gefolgt werden. Die nicht sogleich nachprüfbare Mitteilung eines fremden Rechtsanwalts, der die Interessen Dritter vertrete, genüge regelmäßig nicht, um einem möglichen Erben die nach § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderliche zuverlässige Kenntnis über dessen Erbenstellung zu verschaffen. Die Vernehmung des Rechtsanwalts Y. zum Inhalt des Telefongesprächs mit der Mutter sei deshalb verzichtbar gewesen. Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses gemäß § 1990 Abs. 1 BGB entfalte ihre Rechtswirkung (Beschränkung der Erbenhaftung auf die Gegenstände des dürftigen Nachlasses) erst im Zwangsvollstreckungsverfahren und sei daher im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen (Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. August 1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705; vom 24. Juni 1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II 1981, 729).
Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde, die Revision zuzulassen, weil Verfahrensfehler vorlägen, auf denen das Urteil beruhe, und die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung habe. Indem das FG den Rechtsanwalt Y. nicht als Zeugen vernommen habe, sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Denn als Rechtsanwalt sei dieser sehr wohl in der Lage gewesen, der Mutter über den Anfall der Erbschaft und die Berufung ihrer Tochter als Alleinerbin solche Kenntnis zu verschaffen, dass die Ausschlagungsfrist zu laufen begonnen habe. Auch habe das FG die Aufklärungspflicht verletzt. Wenn nämlich das FG sie darauf hingewiesen hätte, dass es das Zeugnis des Rechtsanwalts Y. für untauglich halte, hätte sie Zeugen dafür benannt, dass die Mutter bereits vor der Beerdigung im Haushalt des Verstorbenen angerufen und sich danach erkundigt habe, was ihre Tochter erben würde. Das Verfahren habe insoweit grundsätzliche Bedeutung, als die Dürftigkeit des Nachlasses nicht erst im Vollstreckungs-, sondern bereits im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigten sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die behaupteten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
1. Das FG hat mit der Nichterhebung des Zeugenbeweises und dem Unterlassen eines Hinweises auf die Untauglichkeit dieses Beweismittels keinen Verfahrensfehler begangen. Denn nach der bei der Prüfung eines Verfahrensfehlers allein maßgeblichen Rechtsauffassung des FG, auf deren materiell-rechtliche Richtigkeit es in diesem Zusammenhang nicht ankommt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Februar 2007 X B 89/06, BFH/NV 2007, 958), konnte der von Rechtsanwalt Y. zu bezeugende Inhalt des Telefongesprächs der Mutter nicht die für den Beginn der Ausschlagungsfrist erforderliche zuverlässige Kenntnis von der Erbenstellung ihrer Tochter verschaffen, weil sie nach Auffassung des FG die Angaben zu diesem Zeitpunkt nicht hätte überprüfen können. Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihren Beweisantrag verfahrensfehlerhaft übergangen, richtet sich im Grunde gegen diese zur Untauglichkeit des angebotenen Zeugenbeweises führende Rechtsauffassung des FG. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im Einzelfall rechtfertigen aber grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision. Der Sonderfall, dass die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, m.w.N.), liegt im Streitfall offensichtlich nicht vor; die Entscheidung ist vielmehr plausibel und nachvollziehbar begründet.
Da sich die nach der Rechtsauffassung des FG erforderliche zuverlässige Kenntnis der Mutter von der Erbenstellung ihrer Tochter auch nicht mit deren in der Beschwerde unter Beweis gestellten telefonischen Nachfrage im Haushalt des Verstorbenen, was ihre Tochter erben würde, belegen lässt, geht auch die diesbezügliche Aufklärungsrüge fehl; auch dieser Zeugenbeweis wäre somit verzichtbar gewesen, die Vernehmung hätte zu keiner anderen Entscheidung des FG führen können (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 25. Februar 2005 III B 90/04, BFH/NV 2005, 1329).
2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Sie hat sich in keiner Weise zum Klärungsbedarf der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage geäußert, ob die auf den Nachlass beschränkte Haftung des Erben im Streit um den Haftungsbescheid zu berücksichtigen ist, obwohl das FG seine Rechtsauffassung, sie könne nur im Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung finden, mit --zutreffenden-- Rechtsprechungsnachweisen belegt hat. Erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1979124 |
FamRZ 2008, 1621 |