Entscheidungsstichwort (Thema)
Rügeverzicht bei Übergehen eines Beweisantrags
Leitsatz (NV)
Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Vorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i. V. m. § 295 ZPO). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages, wie z. B. eines Antrags auf Beweis durch Sachverständige (§ 403 ZPO). Bei solchen Verfahrensfehlern geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 295
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) unterhielt in den Streitjahren (1977 bis 1984) einen Taxibetrieb mit mehreren Taxen. Für die Jahre 1977 bis 1982 wurde die Umsatzsteuer -- entsprechend den Erklärungen des Klägers -- unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt.
Im Rahmen eines ab 1984 durchgeführten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens beschlagnahmte die Steuerfahndungsstelle (Steufa) ein Anschreibebuch des Klägers, in dem die im Jahre 1984 bis zum ... wöchentlich erzielten Bareinnahmen aus Personenbeförderung eingetragen sind. Außerdem befinden sich auf der hinteren Innenseite des Hefteinbandes des Anschreibebuches links zwei Zahlenkolonnen, von denen die linke aus den Jahreszahlen von 1977 bis 1983 und die rechte aus DM-Beträgen besteht. Die Steufa sah in diesem Zahlenwerk eine Aufstellung des Klägers über die von ihm in den Jahren 1977 bis 1983 tatsächlich erzielten Einnahmen. Zur Überprüfung dieser Annahme erstellte der Steuerfahnder eine Nachkalkulation. Er ermittelte anhand der für die ersten Monate des Jahres 1984 eingetragenen Zahlen den Bruttoumsatz je gefahrenen Kilometer. Auf der Grundlage dessen errechnete er anhand teils geschätzter Kilometerleistungen die Fahreinnahmen der übrigen Streitjahre.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ aufgrund der Feststellungen der Steufa Umsatzsteueränderungsbescheide für 1977 bis 1982 und erstmalige Umsatzsteuerbescheide für 1983 und 1984. Die Einsprüche des Klägers blieben erfolglos.
Nach Klageerhebung erließ das Finanzgericht (FG) am 30. Dezember 1991 einen Beweisbeschluß, wonach bei der für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft zuständigen Behörde sowie bei der Handelskammer jeweils ein Gutachten eingeholt werden sollte zu folgenden die Streitjahre betreffenden Fragen:
-- durchschnittliche Fahrleistungen pro Taxe in Kilometern,
-- Kilometerzahl der berechneten Fahrstrecken bzw. der Leerstrecken im Durchschnitt,
-- Umsatz pro Kilometer der berechneten Fahrstrecken.
Die Erledigung des Beweisbeschlusses durch die Behörde erfolgte Anfang des Jahres 1992.
In dem mit Urteil vom ... Mai 1994 abgeschlossenen Strafverfahren räumte der Kläger in der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht ein, die im Anschreibebuch auf der hinteren Innenseite des Hefteinbandes niedergeschriebenen Zahlen stellten die tatsächlich erzielten Bruttoeinnahmen seines Betriebes dar. Er gestand, Umsatzsteuer in der von der Steufa ermittelten Höhe hinterzogen zu haben. Auf der Grundlage dieses Geständnisses wurde der Kläger wegen einer in den Jahren 1980 bis 1984 begangenen Steuerhinterziehung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Kläger machte nunmehr vor dem FG geltend, er habe das Geständnis, soweit es die Höhe der Bruttoeinnahmen aus Personenbeförderung betraf, nur abgegeben, weil ihm dafür die Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt worden sei. Er habe jedoch in Wahrheit keine Einnahmen in dieser Höhe erzielt. Hierzu machte er umfangreiche Ausführungen.
Am 21. Oktober 1994 ging die Äußerung der Handelskammer beim FG ein.
Das FG wies durch ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre ab, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 681 veröffentlicht.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt der Kläger Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger rügt Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG. Nach seiner Auffassung hätte das FG antragsgemäß das Gutachten eines privaten Sachverständigen einholen müssen.
a) Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO ist, wenn die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gestützt wird, der Verfahrensmangel zu bezeichnen. Die Tatsachen, die den Mangel ergeben, sind so vollständig anzugeben, daß es dem Revisionsgericht möglich ist, allein anhand der Beschwerdeschrift zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die Behauptungen zutreffen.
Wird als Verfahrensmangel unzureichende Sachaufklärung wegen Nichterhebung angebotener Beweise geltend gemacht, so sind darzulegen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Dezember 1993 V B 82/92, BFH/NV 1995, 398, m. w. N.):
-- die ermittlungsbedürftigen Tatsachen,
-- die angebotenen Beweismittel und die dazu angegebenen Beweisthemen,
-- die genauen Fundstellen (Schriftsatz mit Datum und Seitenzahl, Terminprotokolle), in denen die Beweismittel und die Beweisthemen angeführt sind,
-- das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme,
-- inwiefern das Urteil des FG auf Grund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann,
-- daß die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder auf Grund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte.
b) Der Kläger trägt vor, die um Begutachtung ersuchte Behörde habe lediglich das bereits früher aus anderem Anlaß erstellte Gutachten eines Beratungsunternehmens vorgelegt. Dieses Gutachten beziehe sich nur auf das Jahr 1982 und enthalte zum Teil Zufallsergebnisse. Er -- der Kläger -- habe deshalb mit Schriftsatz vom 16. November 1993 beantragt, das Gutachten eines privaten Sachverständigen einzuholen. Nachdem sich anschließend auch das Gutachten der Handelskammer als unzulänglich erwiesen habe, hätte das FG seinem Antrag stattgeben müssen. Ein privater Sachverständiger hätte ein individuelles, auf den Betrieb des Klägers und dessen Besonderheiten eingehendes Gutachten fertigen können, das eine ungleich größere Aussagekraft gehabt hätte als die zuvor erstatteten Gutachten.
c) Der Senat läßt dahinstehen, ob den Begründungsanforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt ist; denn jedenfalls hat der Kläger das Recht verloren zu rügen, das FG hätte Beweis durch Sachverständige (§ 82 FGO, §§ 402 ff. der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) erheben müssen.
aa) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Vorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i. V. m. § 295 ZPO). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrags, wie z. B. eines Antrags auf Beweis durch Sachverständige (§ 403 ZPO). Bei solchen Verfahrensfehlern geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich.
bb) Der Kläger hat zumindest konkludent auf die Beweiserhebung durch Sachverständige verzichtet. Dies ergibt sich aus folgender Prozeßgeschichte:
Auf den Beweisbeschluß des FG vom 30. Dezember 1991 hatte Anfang des Jahres 1992 die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft das Gutachten einer Beratungsfirma dem FG eingereicht. Hierbei handelte es sich nicht um ein Sachverständigengutachten i. S. der §§ 402 ff. ZPO, sondern allenfalls um eine amtliche Auskunft (vgl. § 86 Abs. 1 FGO; ferner Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 81 Rz. 18). Der nachfolgende Antrag des Klägers vom 16. November 1993 auf Beweiserhebung durch Sachverständige wurde auf von ihm behauptete Unzulänglichkeit des Gutachtens der Beratungsfirma gestützt. Es folgten dem Antrag in zeitlicher Hinsicht das Strafurteil vom 24. Mai 1994, der Eingang (21. Oktober 1994) der amtlichen Auskunft der Handwerkskammer (ebenfalls kein Sachverständigengutachten) und ein Erörterungstermin vor dem FG am 5. Dezember 1994. Laut einem Vermerk des Einzelrichters vom 5. Januar 1995 kündigte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in einem Telefongespräch eine abschließende schriftliche Äußerung an. Der Einzelrichter entnahm diesem Telefonat offenbar auch sogar den Verzicht des Klägers auf mündliche Verhandlung.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 1995 stellte der Kläger neue Sachanträge bezüglich aller Streitjahre und beantragte nunmehr anstelle der Aufhebung der angefochtenen Bescheide nur noch die Herabsetzung der festgesetzten Umsatzsteuer. Er räumte zwar dem Grunde nach ein, Umsatzsteuer hinterzogen zu haben, bestritt diesbezüglich jedoch die Höhe der vom Landgericht festgestellten Beträge unter Hinweis auf eine von ihm aufgestellte Nachkalkulation. Der Kläger stellte in diesem Schriftsatz mehrere Beweisanträge, darunter jedoch keinen Antrag auf Beweis durch Sachverständige. Mit Schreiben vom 2. Februar 1995 teilte das FG dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit, es werde keinen weiteren Erörterungstermin durchführen, sondern habe den Rechtsstreit "zur Entscheidung genommen".
Im Verlauf vorstehend aufgezeigter Prozeßgeschichte erwähnte bzw. wiederholte der Kläger seinen Antrag auf Beweis durch Sachverständige nicht. Wenn nicht schon aus seinem vorhergehenden Verhalten so wird jedoch spätestens aus seinem Schriftsatz vom 12. Januar 1995 deutlich, daß er seinen Beweisantrag nicht aufrecht erhalten wollte. Zumindest aber liegt in seinem Verhalten konkludent der Verzicht auf die Rüge unterlassener Beweiserhebung.
2. Bezüglich der übrigen Verfahrensrügen des Klägers ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Angabe von Gründen.
Fundstellen