Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verfassungswidrigkeit des Familienlastenausgleichs in den Jahren 1995 und 1996
Leitsatz (NV)
1. Die Verfassungsmäßigkeit des erhöhten Kinderfreibetrages für 1995 (§ 53 EStG) ist nicht mehr klärungsbedürftig.
2. Ob der Kinderfreibetrag für 1996 verfassungskonform war, ist jedenfalls dann nicht klärungsbedürftig, wenn das vereinnahmte Kindergeld der Einkommensteuerminderung eines Kinderfreibetrages von 7 500 DM je Kind entspricht.
3. Weder Kindergeld noch Steuerminderungen in Höhe des Existenzminimums des Kindes sind verfassungsrechtlich geboten.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 5, §§ 32, 53, 62; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 17.12.2004; Aktenzeichen 3 K 1829/03) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben zwei Kinder und werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die Klägerin ist Hausfrau. Mit ihrer gegen die Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996 gerichteten Klage machten sie verfassungsrechtliche Mängel des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde berufen sich die Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Für klärungsbedürftig halten sie die Vereinbarkeit verschiedener Regelungen des EStG mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Das FG sei auf wesentlichen Sachvortrag nicht eingegangen und habe dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
a) Die von den Klägern aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 53 EStG i.V.m. § 2 Abs. 5 EStG im Jahre 1995 ist nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. zu diesem Erfordernis: Gräber/Ruban, Finanzgerichtordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 27, m.w.N.). Die in § 53 Satz 1 EStG aufgeführten Beträge zu den jeweiligen Existenzminima sind nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ermittelt worden (Beschlüsse des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193, sowie 2 BvR 1852/97 u.a., BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194) und dementsprechend verfassungsgemäß (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Februar 2001 VI R 115/96, BFH/NV 2001, 1110; BFH-Beschluss vom 5. Februar 2002 VI B 165/99, BFH/NV 2002, 781). Verfassungsbeschwerden gegen die diese Rechtsprechung bestätigenden BFH-Beschlüsse vom 19. März 2001 VI B 37/01 (BFH/NV 2001, 1239) und vom 9. September 2003 VI B 114, 115/02 (BFH/NV 2004, 180) hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschlüsse vom 9. Januar 2003 2 BvR 1085/01 und vom 29. Juli 2004 2 BvR 2075/03, juris).
b) Auch die Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages und Kindergeldes für 1996 ist nicht klärungsbedürftig.
In der Literatur sind gegen die Höhe des Kinderfreibetrages für 1996 zwar Bedenken geäußert worden: Der Gesetzgeber habe keinen Gestaltungsspielraum und müsse deshalb einen Freibetrag mindestens in Höhe des sozialhilferechtlichen Kinderexistenzminimums gewähren, das die Bundesregierung mit 6 288 DM festgestellt habe; auch eine geringfügige Abweichung sei jedenfalls bei bewusstem Ausnutzen des verfassungsrechtlichen Spielraums zu beanstanden (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Anm. 169; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 Rz 110). Ob der Kinderfreibetrag deshalb mindestens 6 288 DM oder sogar --entsprechend dem vom BVerfG im Beschluss vom 24. November 1998 2 BvL 26/91 u.a. (BVerfGE 99, 300, betreffend Alimentation von Beamten) ermittelten Gesamtbedarf eines Kindes für das Jahr 1996-- 6 625,32 DM betragen muss (vgl. auch BFH-Beschluss vom 11. Februar 2002 VIII B 139/01, BFH/NV 2002, 908), ist im Streitfall aber nicht entscheidungserheblich und deshalb nicht klärungsbedürftig. Denn die Kläger haben 4 800 DM Kindergeld erhalten; eine Verminderung ihres zu versteuernden Einkommens von 102 597 DM um zwei Kinderfreibeträge von je 6 625 DM auf 89 347 DM würde die Einkommensteuer von bisher 22 970 DM auf 18 738 DM reduzieren. Die sich daraus ergebende Steuerminderung von 4 232 DM ist niedriger als das von ihnen vereinnahmte Kindergeld in Höhe von 4 800 DM; die Umrechnung des Kindergeldes nach Maßgabe ihrer steuerlichen Verhältnisse entspräche mithin einem unzweifelhaft verfassungsgemäßen Kinderfreibetrag für beide Kinder von ca. 15 000 DM.
Der BFH hat ebenfalls bereits entschieden, dass § 66 Abs. 1 EStG in der für das Kalenderjahr 1996 gültigen Fassung, wonach das Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils 200 DM beträgt, verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 VIII R 92/98, BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 908, und vom 13. August 2002 VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456; die Verfassungsbeschwerden gegen beide Beschlüsse hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. Beschlüsse vom 6. November 2003 2 BvR 1568/02, und vom 4. August 2003 2 BvR 1537/02, juris).
2. Verfassungsrechtlich geboten ist lediglich die Steuerfreistellung des Existenzminimums der Kinder, nicht aber die Gewährung von Steuerminderungen oder Kindergeld in Höhe des Existenzminimums oder der Ausgleich jeglicher die Familie treffenden Belastungen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596). Die Rüge der Kläger, das FG sei auf ihren diesbezüglichen Sachvortrag nicht eingegangen und habe dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist angesichts der Ausführungen des FG-Urteils zu dieser Frage (S. 13 der Urteilsgründe) für den Senat nicht verständlich.
3. Soweit die Kläger im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot und u.a. unter Berufung auf den Beschluss des BVerfG vom 9. April 2003 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 (BVerfGE 108, 52, betreffend § 1612b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches) rügen, die den Familienlastenausgleich betreffenden Normen seien kompliziert und unverständlich, auch sei nicht erkennbar, welcher Teil des Kindergeldes steuerliche Ausgleichsleistung und welcher staatliche Familienförderung sei, ist angesichts der verfassungsgemäßen Höhe von Kinderfreibetrag und Kindergeld für den Senat nicht ersichtlich, dass diese Bedenken in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich und damit klärungsbedürftig sein können.
Fundstellen
Haufe-Index 1747328 |
BFH/NV 2007, 1296 |