Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung eines Mitverschuldens des FA bei der Geschäftsführerhaftung
Leitsatz (NV)
Hat das FG die Nichtabführung der Lohnsteuer als eine vorsätzliche Pflichtverletzung des GmbH-Geschäftsführers gewertet, so ist angesichts dieses höchsten Verschuldensgrades ein Mitverschulden des FA von vornherein unbeachtlich. Ein etwaiges Mitverschulden des FA kann nur dann im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden, wenn es gegenüber dem Verschulden des Haftungsschuldners deutlich überwiegt.
Normenkette
AO §§ 34, 69; BGB § 254
Verfahrensgang
Tatbestand
I. In dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Klage gegen die Heranziehung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Haftungsschuldnerin für rückständige Lohnsteuern der von ihr vertretenen GmbH abgewiesen. Den Einwand, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) habe die Entstehung des Schadens mitverursacht, weil die Bank den zur Tilgung der Steuerschuld beim FA eingereichten Scheck auf einen telefonischen Hinweis des Sachbearbeiters des FA, die GmbH sei marode, gesperrt habe, hielt es nicht für erheblich, weil die Pflichtverletzung bereits in der trotz der Liquiditätskrise der GmbH ungekürzten Auszahlung der Löhne und Gehälter liege. Abgesehen davon habe die Klägerin ihre Lohnsteuerabführungspflicht vorsätzlich verletzt, da zur ungekürzten Lohnzahlung und zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs nach eigenen Angaben noch Gelder vorhanden gewesen seien. Bei diesem Verschuldensgrad komme die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des FA nicht in Betracht.
Mit ihrer Beschwerde wendet die Klägerin gegen das Urteil ein, das FG habe das unberechtigte und ruinöse Verhalten des Sachbearbeiters des FA, durch welches das bankseitig bereits akzeptierte Sanierungskonzept zusammengebrochen sei, zu Unrecht nicht berücksichtigt. Das Hinwegsetzen über einen diesbezüglichen Beweisantrag stelle eine den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechende Überraschungsentscheidung dar, das Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises --abgesehen davon, dass in der unterlassenen Beweisantragstellung in der mündlichen Verhandlung regelmäßig ein Rügeverzicht liegt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Oktober 2007 IV B 130, 131/06, BFH/NV 2008, 233)-- aber auch die Nichtberücksichtigung eines aktenkundigen Sachverhalts können einen Verfahrensfehler nur dann darstellen, wenn es nach der insoweit maßgebenden Rechtsauffassung des FG auf den vom Kläger angebotenen Beweis bzw. den jeweiligen Sachverhalt ankommen konnte (BFH-Urteil vom 2. November 2000 X R 17/00, BFH/NV 2001, 611, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
Das FG hat die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin entscheidend darauf gestützt, dass es die Nichtabführung der Lohnsteuer als eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Klägerin gewertet und angesichts dieses höchsten Verschuldensgrades ein Mitverschulden des FA von vornherein als unbeachtlich angesehen hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des BFH, wonach ein etwaiges Mitverschulden des FA nur dann im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden kann, wenn es gegenüber dem Verschulden des Haftungsschuldners deutlich überwiegt (BFH-Entscheidungen vom 19. März 1999 VII B 158/98, BFH/NV 1999, 1304, und vom 28. August 1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991, 290). War damit das Verhalten des Sachbearbeiters für den Verfahrensausgang unerheblich, bedurfte es insoweit auch keiner Aufklärung.
Auch eine den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Die dazu von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen, dass das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter selbst unter der Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (z.B. BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92, m.w.N.), sind angesichts der vom FG herangezogenen rechtlichen Grundlagen der Haftungsinanspruchnahme eines Geschäftsführers offensichtlich nicht erfüllt.
Mit ihrer Auffassung, das FG hätte ein Mitverschulden des FA berücksichtigen müssen, rügt die Klägerin eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung des FG. Dies vermag die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2007 VII B 3/06, BFH/NV 2007, 1324). In diesem Zusammenhang hat die Klägerin auch keine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, formuliert.
Fundstellen
Haufe-Index 2249030 |
BFH/NV 2010, 11 |