Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung - Versehen des FA
Leitsatz (NV)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn das FA die Revisionsbegründungsfrist infolge eines schuldhaften Versehens des Vertreters des Vorstehers (fehlende Unterschrift) versäumt.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Treuhänder für die Erwerber von Eigentumswohnungen einer Eigentumswohnanlage. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) forderte ihn mit Verfügung vom 24. Oktober 1986 auf, für die Erwerbergemeinschaft eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1985 abzugeben. Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Anfechtungsklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt die Aufforderung für ermessenswidrig.
Die Revision begründete das FA innerhalb der Revisionsbegründungsfrist mit einem Schriftsatz, der am Schluß lediglich den Namen des stellvertretenden Vorstehers des FA in Maschinenschrift mit dem Zusatz ,,in Vertretung" aufweist. Einen Beglaubigungsvermerk enthält die Revisionsbegründungsschrift nicht. Auf einer bei den Akten des Bundesfinanzhofs (BFH) verbliebenen Durchschrift der Revisionsbegründungsschrift befindet sich der Zusatz: ,,Die Übereinstimmung vorstehender Abschrift mit dem mir vorliegenden Original wird hiermit beglaubigt", Dienstsiegel und handschriftliche Unterschrift.
Auf den Hinweis des Senats hat das FA wegen Versäumung der Revisionsbegründungsschrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionsbegründung wiederholt. Es trägt zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vor: Der Vertreter des Vorstehers habe während urlaubsbedingter Abwesenheit des Vorstehers den von der Sachbearbeiterin verfaßten Entwurf der Revisionsbegründungsschrift abgezeichnet. Die Absendung der danach gefertigten Reinschrift habe sich um etwa zwei Wochen verzögert, weil zuvor noch die Oberfinanzdirektion (OFD) von der Verfahrensweise unterrichtet werden sollte. Der Sachbearbeiterin habe es oblegen, die Reinschrift rechtzeitig vor Fristablauf der Empfangsbehörde zuzustellen, wobei ihr bewußt gewesen sei, daß nur eine handschriftlich unterschriebene Reinschrift rechtswirksam werden könne. Aus welchen Gründen die Reinschrift der Revisionsbegründung dennoch ohne handschriftliche Unterschrift den Bereich des FA verlassen habe, könne nicht mehr mit Gewißheit festgestellt werden. Zum einen bestehe die Möglichkeit, daß die Sachbearbeiterin vergessen habe, die Reinschrift nach der Unterrichtung der OFD dem Vertreter des Vorstehers zur Unterschrift vorzulegen. Es sei auch möglich, daß sie irrtümlich angenommen habe, sie habe die Reinschrift dem Vertreter des Vorstehers bereits zur Unterschrift vorgelegt und die Reinschrift dann nach Unterrichtung der OFD abgesandt, ohne sich von der Richtigkeit ihrer Annahme nochmals zu überzeugen. Es könne auch sein, daß der Schriftsatz durch einen Boten in einer Unterschriftsmappe dem Vertreter des Vorstehers zur Unterschrift vorgelegt und es nach Rückkehr der Mappe versäumt worden sei zu prüfen, ob der Vertreter die Reinschrift unterschrieben habe. Eine derartige Kontrolle rückkehrender Unterschriftsmappen durch die Sachbearbeiter sei schon deshalb obligatorisch, und jeder Sachbearbeiter werde auf die Notwendigkeit der Kontrolle hingewiesen, weil durch die Vielzahl der im Geschäftsgang befindlichen Umlaufmappen nicht auszuschließen sei, daß Vorgänge an den Absendenden zurückgehen, ohne daß der Empfänger sie bekommen habe. Als dritte, am wenigsten wahrscheinliche Möglichkeit sei nicht auszuschließen, daß der Vertreter des Vorstehers die Reinschrift versehentlich nicht unterschrieben habe, weil sie ihm zwar vorgelegt, er sie aber übersehen habe. Um solche denkbaren Vorkommnisse bereinigen zu können, seien die Sachbearbeiter verpflichtet, vor weiteren Maßnahmen, insbesondere also vor Absendung von Schriftsätzen, eine entsprechende Kontrolle vorzunehmen. Für jede der aufgezeigten Möglichkeiten gelte jedoch, daß das Absenden der Begründungsschrift ohne die erforderliche handschriftliche Unterschrift auf einem Verstoß der Sachbearbeiterin gegen die ihr auferlegte Sorgfaltspflicht beruhe und dem FA nicht angelastet werden könne. Bei der Sachbearbeiterin handle es sich um eine erfahrene und außerordentlich zuverlässige Fachkraft.
Zur Begründung der Revision trägt das FA vor, die Vorinstanz habe § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 verletzt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung brauche das FA keine Ermessenserwägungen dahingehend anzustellen, welcher der in Betracht kommenden Erklärungspflichtigen zur Erklärungsabgabe herangezogen werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FA hat die Frist zur Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) versäumt. Innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ist keine schriftliche Revisionsbegründung eingegangen. Die Revisionsbegründungsschrift war lediglich maschinenschriftlich unterzeichnet. Allerdings ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1980, 172) anerkannt, daß es für bestimmte Schriftsätze von Behörden genügt, wenn der in Maschinenschrift wiedergegebene Name des Verfassers mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist (so zuletzt das BFH-Urteil vom 24. Januar 1990 I R 33/86, BFHE 159, 467, BStBl II 1990, 470 m. w. N.). Im Streitfall ist die Revisionsbegründungsschrift nicht mit einem Beglaubigungsvermerk versehen. Auf der zufällig bei den Akten des BFH verbliebenen Durchschrift der Revisionsbegründungsschrift befindet sich zwar ein Beglaubigungsvermerk. Dieser bestätigt jedoch nur die Übereinstimmung der Durchschrift mit dem Original der Revisionsbegründungsschrift. Da das Original weder handschriftlich unterschrieben noch mit einem Beglaubigungsvermerk versehen ist, bestätigt der Beglaubigungsvermerk auf der Durchschrift, die ihrerseits ebenfalls nicht handschriftlich unterschrieben ist, nur, daß auch das Original nicht handschriftlich unterschrieben ist.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision (§ 56 Abs. 1 FGO) kann nicht gewährt werden. Das FA hat nicht dargetan, daß es ohne Verschulden gehindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die Grundsätze über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die für rechtsberatende Berufe gelten, bei Fristversäumung des Steuerpflichtigen oder des Vorstehers des FA nicht anwendbar (BFH-Beschluß vom 10. Oktober 1961 I 63/60 U, BFHE 73, 795, BStBl III 1961, 555; Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 549; Beschlüsse vom 2. Oktober 1969 I R 71/69, BFHE 96, 557, BStBl II 1970, 14; vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Anm. 37).
Eine Fristversäumnis des FA ist nur dann entschuldigt, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (Beschluß des BFH vom 7. März 1989 VII R 120/87, BFH/NV 1989, 791 m. w. N.).
Allerdings kann dem FA ein Verschulden eines Boten oder eines Angestellten in der Postauslaufstelle nicht angelastet werden, wenn kein Organisationsmangel vorliegt. Der Vorsteher oder ein Sachgebietsleiter des FA ist auch nicht verpflichtet, die Durchführung der Anordnungen über die Absendung persönlich zu überwachen, wenn der Bote auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit der Bestellung ausdrücklich hingewiesen ist (BFH-Beschluß vom 16. März 1989 VII R 82/88, BFHE 156, 79, BStBl II 1989, 569 m. w. N.).
Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit sich das FA - bei unterstellter ordnungsgemäßer Organisation - darauf berufen kann, die Fristversäumnis beruhe auf dem Versehen anderer Bediensteter als der erwähnten Boten oder Angestellten in der Postauslaufstelle, z. B. des Sachgebietsleiters oder des Sachbearbeiters (vgl. für andere Behörden Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Oktober 1972 Nr. 57 III 71, Bayerische Verwaltungsblätter 1973, 239 und des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 20. Juni 1974 II A 442/74, Die Öffentliche Verwaltung 1974, 825; ferner Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., § 60 Anm. 16).
Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu entscheiden. Im Streitfall ist ein Verschulden des Vertreters des Vorstehers des FA nicht auszuschließen. Das FA hat mehrere Möglichkeiten vorgetragen, wie es zu der versehentlichen Absendung der Reinschrift ohne Unterschrift kommen konnte. Bei einem alternativen Sachvortrag kann Wiedereinsetzung jedenfalls dann nicht gewährt werden, wenn dabei die Möglichkeit der verschuldeten Fristversäumnis offenbleibt (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 1981 VII ZB 17/81, Versicherungsrecht 1982, 144). Eine solche Möglichkeit ist hier nicht auszuschließen.
Das FA hat als dritte Sachverhaltsalternative vorgetragen, es bestehe die Möglichkeit, daß die Reinschrift dem Vertreter des Vorstehers zur Unterschrift vorgelegt worden sei, er sie zwar zur Kenntnis genommen, aber versehentlich nicht unterschrieben habe. Ein solches Versehen wäre jedenfalls schuldhaft. Daß die Sachbearbeiterin angewiesen war, die Unterschriftenmappe daraufhin zu kontrollieren, ob alle in ihr enthaltenen Schriftstücke unterschrieben waren, beseitigt das mögliche Verschulden des Vertreters des Vorstehers des FA nicht. Der Vertreter des Vorstehers wäre bei dieser Sachverhaltsvariante jedenfalls für die Fristversäumung mitverantwortlich.
Fundstellen
Haufe-Index 417770 |
BFH/NV 1991, 616 |