Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung unmittelbar vom BFH
Leitsatz (NV)
1. Ein Antrag auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung kann ausnahmsweise unmittelbar beim BFH gestellt werden, wenn gegen einen auf § 107 FGO gestützten Berichtigungsbeschluß, mit dem die im FG-Urteil ausgesprochene teilweise Klagestattgabe auf Klageabweisung umgestellt wurde, Beschwerde eingelegt ist (Anschluß an BFH-Beschluß vom 19. November 1985 VIII S 2/85, BFH/NV 1986, 540).
2. Ein Antrag auf Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids ist mit der neueren Rechtsprechung auch nach freiwilliger Entrichtung der Abschlußzahlung möglich.
Normenkette
FGO § 69; VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 4; FGOÄndG vom 21.12.1992 Art. 7
Tatbestand
Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) war typischer stiller Gesellschafter einer GmbH, aus der er im November 1981 gegen eine Abfindung von 400000 DM ausgeschieden ist; die Abfindung wurde ihm in zwei Raten von 250000 DM und 150000 DM am 27. November 1981 bzw. 20. Juli 1982 gezahlt. Nachdem der Beklagte, Beschwerdegegner und Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1981 die gesamte Abfindung der Einkommensteuer unterworfen hatte, hat das Finanzgericht (FG) in dem von den Klägern angestrengten Rechtsstreit der Klage mit Urteil vom 26. März 1991 teilweise stattgegeben und entschieden, daß zwar die gesamte Abfindung der Einkommensteuer unterliege, dem Kläger im Streitjahr 1981 jedoch lediglich die erste Rate von 250000 DM zugeflossen sei. Das FG verminderte dementsprechend in seiner Steuerberechnung das vom FA bisher festgesetzte zu versteuernde Einkommen um 150000 DM, so daß sich eine Ermäßigung der Einkommensteuer um ...DM ergab. Dabei ließ es den vom FA für das Streitjahr berücksichtigten, in Grund und Höhe offenbar unstreitigen Verlustrücktrag aus dem Jahre 1982 in Höhe von ...DM unverändert.
Auf Antrag des FA berichtigte das FG mit Beschluß vom 4. November 1992 sein Urteil dahingehend, daß die Klage abgewiesen wurde. Denn es sei ihm eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dadurch unterlaufen, daß hinsichtlich des Teilbetrages von 150000 DM die Verrechnungsmöglichkeit im Rahmen des Verlustabzugs übersehen worden sei.
Hiergegen haben die Kläger Beschwerde eingelegt und gleichzeitig Aussetzung der Vollziehung beantragt.
Sie machen geltend, das FG hätte mangels offenbarer Unrichtigkeit den Verlustrücktrag nicht gemäß § 107 FGO berichtigen dürfen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit des Antrags richtet sich gemäß Art. 7 des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109) nach den bisher geltenden Vorschriften, da der Einkommensteuerbescheid 1981 vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bekanntgegeben wurde.
Der Antrag konnte gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) ausnahmsweise unmittelbar beim Bundesfinanzhof (BFH) gestellt werden; der Senat verweist insoweit auf seinen Beschluß vom 19. November 1985 VIII S 2/85 (BFH/NV 1986, 540).
Mit dem Aussetzungsantrag wird die Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids erstrebt; er ist in diesem Sinne auszulegen. Ihm steht entgegen der Ansicht des FA nicht entgegen, daß die Kläger die Einkommensteuerschuld für 1981 freiwillig entrichtet haben. Ist ein Verwaltungsakt bereits vollzogen, kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO die Vollziehung wieder aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung vorliegen (BFH-Beschluß vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389). Das gilt nach der neueren BFH-Rechtsprechung auch bei freiwilliger Zahlung einer Steuerschuld (BFH-Beschlüsse vom 22. Juli 1977 III B 34/74, BFHE 123, 112, BStBl II 1977, 838 und vom 29. November 1977 VII B 6/77, BFHE 124, 13, BStBl II 1978, 156). Bei einem Einkommensteuerbescheid ist dies jedenfalls hinsichtlich des Leistungsgebots, d.h. in Höhe der sog. Abschlußzahlung, anerkannt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. August 1980 VIII B 108/79, BFHE 131, 282, BStBl II 1981, 35 und vom 26. November 1986 VIII B 114/86, BFHE 148, 129, BStBl II 1987, 179).
Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ist begründet; weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 1981 insoweit bestehen, als das zu versteuernde Einkommen vom FA um 150000 DM zu hoch festgesetzt wurde. Die ernstlichen Zweifel folgen aus dem FG-Urteil vom 26. März 1991. Dessen Berichtigung kann, wie sich aus dem Beschluß des erkennenden Senats vom gleichen Tage VIII B 53/93 (vorstehend abgedruckt) ergibt, keinen Bestand haben.
Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1981 war daher entsprechend dem FG-Urteil in Höhe von ... DM aufzuheben. Soweit die Kläger die Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 150000 DM, d.h. der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, beantragt haben, handelt sich um ein offensichtliches Versehen, an dem sie nicht festzuhalten sind.
Fundstellen
Haufe-Index 419243 |
BFH/NV 1994, 113 |