Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Glaubhaftmachen eines (an sich entschuldbaren) Büroversehens
Leitsatz (NV)
Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumnis der Revisionseinlegungsfrist setzt u.a. voraus, dass die hierfür erheblichen Tatsachen gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 FGO spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden. Daran fehlt es, wenn der Vortrag keine Ausführungen dazu enthält, wie es zu dem Übersehen der Fristeneintragungen gekommen ist, woraus sich die Erfahrenheit des Vertreters der für die Fristenwahrung ansonsten verantwortlichen Person ergeben hat und warum den Vertreter kein Verschulden trifft.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Das finanzgerichtliche Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 19. Mai 2001 zugestellt. Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision zu. Die Klägerin legte mit einem per Telefax am 27. Juni 2001 an den Bundesfinanzhof (BFH) übermittelten Schriftsatz Revision mit dem Antrag ein, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie begründete den Antrag damit, dass das angefochtene Urteil von der Bürovorsteherin des Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß in das Fristenbuch eingetragen worden sei. Es sei eine Vorfrist für den 12. Juni 2001 und die Rechtsmittelfrist für den 19. Juni 2001 mit Rotstift eingetragen worden. Die Bürovorsteherin habe sich bis einschließlich 24. Juni 2001 im Urlaub befunden. Die von ihr angelernte und erfahrene Vertreterin habe es jedoch versäumt, dem Prozessbevollmächtigten die Vorfrist und die Revisionsfrist vorzulegen. Dies habe erst die Bürovorsteherin bei der Durchsicht des Fristenbuchs am 26. Juni 2001 bemerkt. Ein Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten sei auszuschließen. Zur Glaubhaftmachung legte die Klägerin Kopien aus dem Fristenbuch des Prozessbevollmächtigten bei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie war deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Wird die Frist versäumt, ist die Revision unzulässig. Dies gilt nicht, wenn dem Revisionsführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren ist.
Das vollständige Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19. Mai 2001 zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der Revision ist mit Ablauf des 19. Juni 2001 abgelaufen (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ―ZPO― i.V.m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―). Die Revision ist daher am 27. Juni 2001 verspätet eingegangen.
Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine Heilung der Fristversäumnis nach § 56 FGO nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221, und vom 26. Oktober 1998 I B 56/98, BFH/NV 1999, 509, jeweils m.w.N.). Es müssen die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen mitgeteilt werden. Erforderlich ist eine vollständige Darstellung der Ereignisse, die zur Fristversäumung geführt haben und die unverschuldete Säumnis belegen sollen, soweit sie nicht gerichtsbekannt oder offenkundig sind (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546, 548, m.w.N.).
Daran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat nicht einmal ausgeführt, wie es zu dem Übersehen der Fristeintragungen gekommen ist. Es fehlt die Mitteilung, ab wann die Bürovorsteherin in Urlaub war. Weiter fehlt jegliche Begründung, aus der sich die behauptete Erfahrenheit der Vertreterin der Bürovorsteherin ergeben könnte. Ebenso wenig hat die Klägerin ―worauf schon das FA hingewiesen hat― die Namen der Bürovorsteherin und deren Vertreterin angegeben (s. dazu z.B. den BFH-Beschluss vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611).
Bei dieser Rechts- und Sachlage kann offen bleiben, ob die Klägerin auch Ausführungen hätte machen müssen, wonach erkennbar gewesen wäre, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine Bürokräfte regelmäßig belehrt und überwacht und so für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (s. hierzu etwa den Senatsbeschluss vom 27. Januar 2000 IV B 141/99, juris, und den BFH-Beschluss vom 13. November 1989 III B 107/88, BFH/NV 1990, 649).
Die aufgezeigten Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden; sie gehen zu Lasten der Klägerin.
Fundstellen
Haufe-Index 848074 |
BFH/NV 2002, 1597 |