Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Die Überlassung der Akten an einen prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt in seine Kanzlei kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Normenkette
FGO §§ 78, 128
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragten im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG), ihnen die Akten des Finanzamts (FA) zu treuen Händen in ihre Kanzlei zu übersenden.
Der Vorsitzende des erkennenden Senats beim FG wies die Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß aus Gründen der Gleichbehandlung von Rechtsanwälten und Angehörigen der steuerberatenden Berufe Rechtsanwälten grundsätzlich die Steuerakten nicht in ihr Büro überlassen würden. Zugleich bat er die Bevollmächtigten um Mitteilung, ob sie damit einverstanden seien, die Akten bei einem in der Nähe ihrer Kanzlei befindlichen Amtsgericht einzusehen.
Die Bevollmächtigten lehnten dies ab, da die Akteneinsicht beim Amtsgericht regelmäßig mit erheblichem Zeitaufwand verbunden sei; es sei dort auch oft nicht möglich, die Akten abzulichten.
Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß ab. Dagegen legte die Klägerin Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Sie macht geltend, die Fürsorgepflicht des Gerichts gebiete es, im Interesse einer ungestörten Prozeßvertretung die Akten in das Büro des bevollmächtigten Rechtsanwalts zu übersenden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig. Entscheidungen der FG über die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht sind keine proßzeßleitenden Verfügungen i. S. des § 128 Abs. 2 FGO, die nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Die Entscheidung des FG über den Antrag eines Prozeßbevollmächtigten auf Überlassung der Akten in seine Kanzlei nach § 78 FGO unterliegt deshalb der Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO; vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475).
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Die Entscheidung darüber, ob Akten einem Rechtsanwalt in seine Kanzlei überlassen werden können, ist eine Ermessensentscheidung (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12. Dezember 1960 III ZR 191/59, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961, 559).
Der erkennende Senat ist nicht auf eine Überprüfung der Ermessensausübung durch das FG beschränkt. § 102 FGO gilt nur für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Behörden, nicht für die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen. Der BFH ist als Beschwerdegericht Tatsacheninstanz und deshalb gehalten eigenes Ermessen auszuüben (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475 m. w. N.).
Für die Art und Weise der Anwendung des Ermessens ist der vom Gesetzgeber in § 78 gesteckte Ermessensrahmen maßgebend. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll. Schon der Begriff ,,Einsehen" und die Regelung über die Erteilung von Abschriften durch die Geschäftsstelle des Gerichts belegen das. Das bedeutet, daß nach der Entscheidung des Gesetzgebers den Beteiligten und ihren Prozeßbevollmächtigten grundsätzlich zugemutet wird, sich zur Ausübung ihres Rechts auf Akteneinsicht zum Gericht zu begeben. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen sich auf Sonderfälle beschränken (z. B. körperliche Behinderung des Beteiligten oder seines Prozeßbevollmächtigten). Die von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vorgetragenen Gründe rechtfertigen es nicht, eine Ausnahme von der Regel des § 78 FGO zuzulassen. Die Prozeßbevollmächtigten brauchen nach der Entscheidung des FG die Akten nicht beim FG selbst einzusehen, sondern können dies bei einem anderen Gericht des Ortes tun, an dem sich ihre Kanzlei befindet. Der wesentliche Grund, weshalb sie begehren, die Akten in ihrer Kanzlei einsehen zu dürfen, liegt darin, daß jede andere Art der Akteneinsicht unbequem und zeitaufwendig ist. Zwar ist diese Belastung bei vielbeschäftigten Rechtsanwälten nicht gering zu achten. Sie gilt aber grundsätzlich für jeden, der Akteneinsicht begehrt. Würde man einen solchen Grund für die Überlassung der Akten in die Kanzlei anerkennen, so würde das oben dargelegte vom Gesetzgeber gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt werden (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Das gilt auch für den von den Prozeßbevollmächtigten angeführten Gesichtspunkt, daß es bei den Amtsgerichten oft nicht möglich ist, ohne unverhältnismäßigen Zeitaufwand Kopien von den Akten herzustellen. Soweit die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin für die Anfertigung der Klagebegründung Kopien von bei den Akten befindlichen Unterlagen benötigen, können sie sich diese nach der ausdrücklichen Regelung des § 78 Abs. 1 FGO von der Geschäftsstelle des FG erteilen lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 415120 |
BFH/NV 1987, 796 |