Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristete Weiteranwendung des Vermögensteuergesetzes
Leitsatz (NV)
Die Behauptung, das BVerfG habe mit der in seinem Beschluß zur Vermögensteuer getroffenen Anordnung, das VStG trotz seiner festgestellten Unvereinbarkeit mit dem GG (zumindest befristet) weiterhin anzuwenden, seinerseits gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen, könne in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Die Zulassung der Revision nach §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt daher nicht in Betracht.
Normenkette
GG Art. 100; BVerfGG § 31; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Durch Bescheid vom 20. Juli 1994 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Vermögensteuer in Höhe von 395 DM jährlich fest. Das der Steuer unterliegende Vermögen der Klägerin bestand ausschließlich aus Kapitalvermögen.
Mit der Klage wurde begehrt, die Vermögensteuer ab 1993 auf 0 DM herabzusetzen. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655) sei §10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) in der auf den 1. Januar 1993 gültigen Fassung, nach dem die Vermögensteuer für natürliche Personen 0,5 v. H. des steuerpflichtigen Vermögens betrage, mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar. Gleichzeitig habe das BVerfG jedoch die Weiteranwendbarkeit des VStG angeordnet. Dies sei aus rechtsstaatlichen Gründen nicht hinnehmbar. §79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) sehe grundsätzlich vor, daß alle noch nicht rechtskräftigen Verwaltungsakte zu korrigieren seien, wenn sie auf einer für nichtig erklärten Norm beruhten. Das Argument des BVerfG, daß eine zuverlässige Finanz- und Haushaltsplanung die Fortgeltung des verfassungswidrigen Gesetzes für eine Übergangszeit erfordere, könne nicht als Dauerbegründung dazu dienen, daß der Bürger eine verfassungswidrige Steuer begleichen müsse. Der Gesetzgeber habe die Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer bewußt in Kauf genommen. Es sei äußerst bedenklich, wenn das BVerfG einen derart nachlässigen Gesetzgeber derart rücksichtsvoll behandele und damit die Rechtsinteressen und den Rechtsschutz des Bürgers ausschalte. Mit dem angefochtenen Steuerbescheid habe das FA auch Vorauszahlungen festgesetzt, die über das Jahr 1996 hinausgingen. Nach Ablauf des Jahres 1996 sei jedoch auch nach dem Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655 das VStG nicht mehr anwendbar. Das Finanzgericht (FG) sei -- auch nach §31 BVerfGG -- gehalten, eine verfassungswidrige Norm rückwirkend als aufgehoben anzusehen. Deswegen habe das FG auch zu prüfen, ob ein Vorlagebeschluß nach Art. 100 GG zulässig sei. Komme ein Vorlagebeschluß nicht in Betracht, so bedeute dies, daß dem Grunde nach jeder Steuerbürger schutzlos den Widrigkeiten des deutschen Rechtsstaats ausgesetzt sei. Es bestehe dann die Möglichkeit, daß der Gesetzgeber verfassungswidrige Tatbestände bewußt Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte in Kauf nehmen könne. Unter diesen Voraussetzungen sei auch zu prüfen, ob eine Möglichkeit bestehe, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) -- gemeint wohl den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte -- anzurufen, mit dem Ziel einer Überprüfung, ob eine derartige Rechtsschutzsituation mit den Konventionen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Einklang stehe.
Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das FA habe die Vermögensteuer gegen die Klägerin entsprechend dem VStG zutreffend festgesetzt. Zwar habe das BVerfG mit dem Beschluß in BStBl II 1995, 655 festgestellt, daß §10 Nr. 1 VStG insofern mit dem GG unvereinbar sei, als diese Vorschrift das zu Gegenwartswerten erfaßte Vermögen mit demselben Steuersatz wie den Grundbesitz belaste. In diesem Beschluß habe das BVerfG aber auch ausgeführt, daß die Erfordernisse einer verläßlichen Finanz- und Haushaltsplanung die Anwendung des bisherigen Rechts für die Vergangenheit und für eine Übergangszeit noch rechtfertigen und daß deshalb das bisher geltende Recht bis zum 31. Dezember 1996 weiterhin anzuwenden sei. Hieran sei das FG nach §31 Abs. 1 BVerfGG gebunden. Bezüglich der von der Klägerin angegriffenen Vorauszahlungen liege ein gesonderter Verwaltungsakt vor, der gesondert hätte angefochten werden müssen. Das sei nicht geschehen. Da das BVerfG die streitige Rechtsfrage bereits entschieden habe, komme ein erneuter Vorlagebeschluß nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Das Gericht könne auch nicht erkennen, daß der Beschluß des BVerfG in BStBl II 1995, 655 mit den Konventionen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht im Einklang stehe. Die Revision hat das FG nicht zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit der diese grundsätzliche Bedeutung als Grund zur Zulassung der Revision geltend macht. Die Klägerin mißt der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei, "ob die behauptete Bindungs-und Gesetzeskraft hinsichtlich von Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts gemäß §31 BVerfGG in bezug auf die Nichtberücksichtigung von §79 Abs. 2 BVerfGG eintreten" könne. Es ginge nicht um eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung materiellen Rechts, sondern um die Rechtsfrage, ob das Rechtsinstitut der Bindungskraft von Urteilen des BVerfGG oder der Grundsatz des Rückwirkungsgebots Vorrang habe. Während des Beschwerdeverfahrens ist die Klägerin verstorben.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet, da entgegen ihrer Auffassung die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat und auch kein sonstiger Grund zur Zulassung der Revision im Sinne dieser Vorschrift vorliegt.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts betrifft. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605, m. w. N.). Die betreffende Rechtsfrage muß im (finanzgerichtlichen) Revisionsverfahren auch klärungsfähig sein. Diese Voraussetzung fehlt im Streitfall.
Die Klägerin ist sinngemäß der Auffassung, das BVerfG habe mit seiner im Beschluß in BStBl II 1995, 655 getroffenen Anordnung, das VStG trotz seiner festgestellten Un vereinbarkeit mit dem GG (zumindest befristet) weiterhin anzuwenden, seinerseits gegen aus der Verfassung ableitbare Grundsätze verstoßen. Diese Frage kann jedoch in einem Revisionsverfahren vom BFH nicht geklärt werden.
Im Tenor seiner Entscheidung in BStBl II 1995, 655 hat das BVerfG zwar festgestellt, daß §10 VStG mit dem GG unvereinbar ist, jedoch zugleich angeordnet, daß das bisherige Recht längstens bis zum 31. Dezember 1995 weiterhin anwendbar sein soll. Es steht außer Zweifel, daß die am 20. Juli 1994 -- also vor Ergehen der Entscheidung des BVerfG -- erfolgte Vermögensteuerfestsetzung gegen die Klägerin von der vom BVerfG angeordneten Weitergeltung des bisherigen Rechts erfaßt und mithin zulässig ist. Mit der Frage, ob eine Vermögensteuerfestsetzung nach dem 31. Dezember 1996 auch für davorliegende Zeiträume noch zulässig ist und über die der Senat durch Beschluß vom 18. Juni 1997 II B 33/97 (BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515) befunden hat, haben der Streitfall und die von der Klägerin herausgestellte Rechtsfrage daher nichts zu tun.
Der Tenor der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1995, 655 hat nach §31 Abs. 2 i. V. m. §13 Nr. 11 BVerfGG Gesetzeskraft (vgl. BGBl I 1995, 1191; s. auch Senatsbeschluß in BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515). An die im Tenor der Entscheidung des BVerfG getroffene Anordnung einschließlich einer damit möglicherweise verbundenen Gestaltungswirkung sind die Gerichte nach §31 BVerfG unzweifelhaft gebunden. Diese haben nicht die Kompetenz, die vom BVerfG getroffene Auslegung der Verfassung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.
Auch eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG kommt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Zulässiger Prüfungsgegenstand i. S. von Art. 100 GG sind Gesetze. Zwar haben Entscheidungen des BVerfG unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmtem Umfang nach §31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft. Dies bedeutet jedoch nicht, daß derartige Entscheidungen des BVerfG Gesetz im formellen oder materiellen Sinne sind. Sie sind lediglich gesetzesähnlich. Sie unterliegen dementsprechend nicht der Normenkontrolle wie Gesetze (vgl. Maunz/Schmidt- Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, §31 Tz. 30).
Fundstellen
Haufe-Index 66363 |
BFH/NV 1998, 351 |