Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die ohne Beiziehung der Betriebsprüfungsberichts- und Betriebsprüfungsbilanzakten allein auf Grund der Betriebsprüfungsarbeitsakten getroffene Feststellung, der Auftrag des FA zu einer allgemeinen Betriebsprüfung habe sich nicht auf die Grunderwerbsteuer bezogen, kann auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht beruhen.
Normenkette
AO § 243 Abs. 1; FGO § 76/1; AO § 147 Abs. 1
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) hat am 17. August 1952 eine Werkhalle und ein Bürogebäude gekauft. Diese Gebäude hatte die veräußernde Firma auf einem vom Bund gepachteten Gelände zwecks vorübergehender Nutzung errichtet. Kauf und alsbald erfolgte übereignung sind dem Finanzamt (FA) nicht angezeigt worden. Am 18. Februar 1955 hat der Revisionsbeklagte für die Verkäuferin eine Grundsteuernachzahlung geleistet.
Im Jahre 1954 fand bei dem Stpfl. eine allgemeine Betriebsprüfung statt. Im Bericht hierüber wird der vorgenannte Erwerb erwähnt und für die Einkommensteuer ausgewertet, aber nicht unter den Gesichtspunkten der Grunderwerbsteuer behandelt. Hierauf ist erst der Bericht über eine in der Zeit vom 28. Oktober bis 20. November 1959 stattgefundene Betriebsprüfung eingegangen.
Durch Bescheid vom 29. März 1960 hat das FA den Stpfl. zur Grunderwerbsteuer aus Kaufpreis und Grundsteuernachzahlung herangezogen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der Berufung im wesentlichen stattgegeben. Es hält die Grunderwerbsteuer für verjährt, soweit sie nicht auf der erst im Jahr 1955 erbrachten zusätzlichen Leistung beruht. Dementsprechend hat es die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Grunderwerbsteuer herabgesetzt.
Das FG räumt zwar ein, daß eine allgemeine Betriebsprüfung regelmäßig die Verjährung aller Steuern unterbrechen könne, die nicht Sonderprüfungen unterliegen. Aus dem Umstand, daß der Prüfungsbericht des Jahres 1954 den Gebäudekauf ausdrücklich feststellt und für die Einkommensteuer auswertet, ihn jedoch grunderwerbsteuerrechtlich nicht behandelt, und daß der Bericht insoweit auch vom Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstelle nicht beanstandet worden ist, schließt das FG aber, daß im gegebenen Fall sich auch der Prüfungsauftrag hierauf nicht erstreckt habe.
Der Vorsteher des FA (Revisionskläger) hat Rb. erhoben. Er rügt ungenügende Sachaufklärung: Dem FG hätten lediglich die Betriebsprüfungsarbeitsakten vorgelegen. Der Prüfungsauftrag sei aber in den Betriebsprüfungsberichts- und Betriebsprüfungsbilanzakten enthalten. Aus diesen ergebe sich eindeutig, daß sich die ab 8. Juni 1954 durchzuführende Betriebsprüfung auf alle Steuerarten erstrecken sollte.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist als Revision zu behandeln. Deren Verfahrensrüge greift durch.
Zwar ist auch der schriftliche Auftrag, "alle Steuerarten" zu prüfen, auslegungsfähig (im Zweifel ist z. B. damit nicht auch eine Prüfung der Steuern angeordnet, welche Sonderprüfungen unterliegen). Das FG ist aber zu seiner Feststellung, der Prüfungsauftrag des FA habe sich nicht auf die Grunderwerbsteuer bezogen, auf Grund der unrichtigen Annahme gelangt, ein schriftlicher Prüfungsauftrag liege nicht vor. Ein solcher war jedoch in den Betriebsprüfungsberichts- und Betriebsprüfungsbilanzakten enthalten; daß sie nicht beigezogen wurden, obwohl ein etwaiger schriftlicher Prüfungsauftrag in diesen, nicht aber in den Betriebsprüfungsarbeitsakten zu finden war, verletzt § 243 Abs. 1 AO a. F., auch wenn berücksichtigt wird, daß das FG diese Akten zunächst angefordert, daraufhin aber nur die Betriebsprüfungsarbeitsakten erhalten hatte.
Die Entscheidung beruht auf diesem Verfahrensmangel. Denn nach § 147 Abs. 1 AO a. F. hat jede Handlung, die das zuständige FA zur Feststellung des Anspruchs vornimmt, die Verjährung unterbrochen. Dazu gehört auch der Betriebsprüfungsauftrag (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - IV 169/62 S vom 6. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 214, Slg. Bd. 78 S. 563). Die dienstliche Maßnahme des FA im Sinne des Urteils des dienstliche Maßnahme des FA im Sinne des Urteils des BFH II 7/61 S vom 9. April 1964 (BStBl 1964 III S. 318, Slg. Bd. 79 S. 241); sie ist geeignet, die Verjährung hinsichtlich der Steuern, auf die sich der Auftrag bezieht, zu unterbrechen (vgl. zum Ersuchen um Steuerfahndung Urteil des BFH IV 171/62 S vom 12. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 215, Slg. Bd. 78 S. 567, unter Aufgabe des vom selben Senat im Urteil IV 156/57 U vom 3. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 472, Slg. Bd. 67 S. 519, vertretenen Standpunktes). Daß der Auftrag zur Kenntnis des Stpfl. gelangte, ist nicht erforderlich (vgl. insoweit Urteile des BFH II 171/59 vom 23. November 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 Nr. 52 S. 54; IV 171/62 S, a. a. O.).
Das angefochtene Urteil war demnach im angefochtenen Umfang aufzuheben. Die Frage, ob sich der Prüfungsauftrag vom 5. Juni 1954 nach dem Willen des FA auch auf die Grunderwerbsteuer bezogen hat, ist erneut zu prüfen. Ferner ist zu ermitteln, ob der Betriebsprüfer auf Grund seiner spätestens am 20. November 1959 getroffenen Feststellungen oder ob eine andere Stelle des FA noch im selben Jahr eine Handlung vorgenommen hat, die geeignet war, die Verjährung abermals zu unterbrechen. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuweisen (ß 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Diesem war auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen (ß 143 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 411973 |
BStBl III 1966, 327 |
BFHE 1966, 325 |
BFHE 85, 325 |