Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob eine ärztliche Hilfeleistung vorliegt, wenn ein Vertrauensarzt einer Krankenversicherungsanstalt in deren Auftrag Kassenpatienten daraufhin nachuntersucht, ob sie weiterhin arbeitsunfähig sind, und dies begutachtet.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 11, § 4/14
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Facharzt für Frauenkrankheiten und betreibt eine eigene Praxis. Im Kalenderjahr 1951 hat er im Auftrage der Krankenversicherungsanstalt (KVA) als deren Vertrauensarzt fachärztliche Begutachtungen und Nachuntersuchungen bei Versicherten durchgeführt, die ihm zu diesem Zwecke von der KVA überwiesen wurden. Die Versicherten erhielten von der KVA eine Aufforderung, sich bei dem Bf. zur ärztlichen Begutachtung vorzustellen, wenn der sie behandelnde praktische Arzt weiterhin ihre Arbeitsunfähigkeit feststellte. Der Bf. machte jeweils ein beratungsärztliches Gutachten. Hierin waren die Personalien, Gewicht, Größe usw. des Patienten, der Name des behandelnden Arztes und seine Diagnose angeführt. Ferner waren die Klagen des Kranken, der Untersuchungsbefund des Bf., seine Beurteilung und etwaige Vorschläge für die weitere Behandlung des Falles angegeben. Die Gutachten schlossen mit der Angabe des Befundes und der Diagnose, insbesondere der Feststellung, ob und gegebenenfalls wie lange der Patient noch weiter arbeitsunfähig sei.
Für das Kalenderjahr 1951 machte der Bf. für einen Teilbetrag von 21.636 DM Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geltend, da es sich insoweit um Entgelte für ärztliche Hilfeleistungen handele. In diesem Betrage waren die Entgelte der KVA für die vorbezeichneten in ihrem Auftrage durchgeführten Leistungen mit 8.008,45 DM enthalten. Hiervon entfielen auf Nachuntersuchungen 4.156,75 DM und auf Laborleistungen 3.851,70 DM.
Das Finanzamt hat die 8.008,45 DM mit 4 % zur Umsatzsteuer herangezogen, weil die betreffenden Leistungen des Bf. keine ärztlichen Hilfeleistungen im Sinne des § 4 Ziff. 11 UStG, sondern ärztliche Gutachtertätigkeit seien, die überwiegend den wirtschaftlichen Interessen der KVA dienten. Der Einspruch des Bf. wurde aus diesen Gründen als unbegründet zurückgewiesen. Auch seine Berufung war aus im wesentlichen gleichen Gründen erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) kann ebenfalls keinen Erfolg haben.
Nach § 4 Ziff. 11 UStG sind umsatzsteuerfrei u. a. "die ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen ..., soweit Entgelte dafür von den reichsgesetzlichen Versicherungsträgern .. zu zahlen sind." Es muß sich also um ärztliche Leistungen handeln, zu deren Gewährung der Versicherungsträger gesetzlich verpflichtet ist; diese Leistung muß eine ärztliche Hilfeleistung unmittelbar an dem Versicherten darstellen. Es braucht sich dabei nicht unbedingt um eine Heilbehandlung an einem Kranken zu handeln; auch die ärztliche Untersuchung zur vorbeugenden Verhütung von Erkrankungen ist z. B. eine ärztliche Hilfeleistung im Sinne des § 4 Ziff. 11 UStG und ist nach dieser Vorschrift umsatzsteuerfrei, wenn der Versicherungsträger gesetzlich zu einer solchen vorbeugenden Untersuchung verpflichtet ist, wie im Falle des Urteils des Bundesfinanzhofs V 36/54 U vom 12. August 1954, Slg. Bd. 59 S. 400 Bundessteuerblatt 1954 III S. 364. In diesem Falle kam die ärztliche Untersuchung dem einzelnen berufskrankheitsgefährdeten Bergmann unmittelbar zugute; auch wenn sie in der negativen Feststellung sich erschöpfte, daß der Bergmann gesund sei; es war daher eine ärztliche Hilfeleistung im Sinne des § 4 Ziff. 11 UStG. Im Streitfalle handelt es sich dagegen um ärztliche Untersuchungen im Auftrage der KVA durch ihren Vertrauensarzt, die im wesentlichen den Zweck haben, bereits seit längerer Zeit in kassenärztlicher Behandlung stehende Kassenpatienten daraufhin zu untersuchen, ob sie weiterhin arbeitsunfähig sind und weiterhin Anspruch auf Krankengeld haben. Dieses ist nicht eine ärztliche Hilfeleistung an Kassenpatienten, sondern eine vertrauensärztliche gutachtliche äußerung im Interesse der KVA. Daran wird nichts geändert dadurch, daß der Bf. eine ärztliche Untersuchung des ihm als Vertrauensarzt von der KVA zugewiesenen Kassenpatienten vornimmt und dabei auch erforderliche Laborleistungen bewirkt. Auch daß der Bf. bei dieser begutachtenden Tätigkeit einen ärztlichen Befund feststellt und eine Diagnose stellt, die dem Kassenpatienten auch bekanntgegeben wird, bedeutet keine ärztliche Hilfeleistung an dem Kassenpatienten, sondern nur eine Feststellung seiner Arbeits(un)fähigkeit und die Bejahung oder Verneinung seines Anspruches auf Krankengeld. Der Fall liegt ähnlich dem des Urteils V A 560/32 vom 15. Juli 1932, Slg. Bd. 31 S. 344 = Reichssteuerblatt 1933 S. 282, in dem der Reichsfinanzhof die Anwendbarkeit der damaligen, dem § 4 Ziff. 11 UStG 1951 entsprechenden, Befreiungsvorschrift verneint hat bezüglich der Leistungen des Vertrauensarztes einer Landesversicherungsanstalt, die in der Untersuchung von Invalidenversicherten und in der Erstattung von Gutachten darüber bestanden, ob bei den Versicherten die Einleitung eines Heilverfahrens zulässig und notwendig ist, und zwar verneint hat, obwohl das Gutachten auch Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit angab. Führt im vorliegenden Streitfall die ärztliche Untersuchungstätigkeit des Bf. zur Verneinung der Arbeitsunfähigkeit, so wird von der KVA die Zahlung des Krankengeldes eingestellt; führt sie zur Bejahung der weiteren Arbeitsunfähigkeit, so wird das Krankengeld fortgezahlt und die Krankenbehandlung weiter fortgeführt. Diese Leistung des Bf. ist keine ärztliche Hilfeleistung an dem Kassenpatienten, sondern eine gutachtliche äußerung im Interesse der KVA.
Die Vorinstanzen haben demnach mit Recht die Umsatzsteuerpflicht der 8.008,45 DM bejaht.
Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 307 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
Haufe-Index 408744 |
BStBl III 1957, 201 |
BFHE 1957, 540 |
BFHE 64, 540 |