Leitsatz (amtlich)
Veräußert der Konkursverwalter ein Grundstück, für dessen Erwerb der Gemeinschuldner Grunderwerbsteuerbefreiung in Anspruch genommen hat, unbebaut weiter, so steht der Forderung auf die Nachsteuer kein Konkursvorrecht zu.
Normenkette
KO § 61 Abs. 1 Nr. 2, §§ 65, 67; Nordrhein-westfälisches GrEStWoBauG § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notarielle Verträge vom 28. März 1974 und 21. Mai 1975 erwarb A zwei unbebaute Grundstücke zum Zwecke der Bebauung. Auf seinen Antrag gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß § 1 Nr. 1 des (nordrhein-westfälischen) Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) vom 20. Juli 1970. Nach dem Tode von A im Jahre 1975 wurde über sein Vermögen das Nachlaßkonkursverfahren eröffnet. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) veräußerte als Konkursverwalter die Grundstücke unbebaut weiter.
Das FA meldete u. a. Grunderwerbsteuerforderungen einschließlich Zuschlägen in Höhe von 16 520 DM und 5 503 DM zur Konkurstabelle an. Der Kläger erkannte die Forderungen an, bestritt jedoch das Vorrecht. Das Amtsgericht trug die Forderungen als solche nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 der Konkursordnung (KO) in die Tabelle ein. Daraufhin stellte das FA durch Bescheide vom 2. April 1979 das Konkursvorrecht fest. Die Einsprüche des Klägers blieben erfolglos.
Auf die verbundenen Klagen hob das Finanzgericht (FG) die Feststellungsbescheide auf und führte aus: Die Grunderwerbsteuerforderungen seien zutreffend zur Konkurstabelle angemeldet worden, da es sich um Konkursforderungen und nicht um Masseforderungen handele. Die Steuerforderungen seien nicht bevorrechtigt i. S. des § 61 Abs. Nr. 2 KO, weil sie erst nach Konkurseröffnung infolge der Weiterveräußerung der Grundstücke "neuentstanden" und daher nicht spätestens bei Konkurseröffnung fällig gewesen seien. Mangels Entstehung konnten sie aber auch nicht als betagte Forderungen i. S. von § 65 KO angesehen werden. Das Urteil des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 463 (EFG 1980, 463) veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA geltend, daß mit dem Erwerb des Grundstücks alle Tatbestandsmerkmale der Steuerpflicht erfüllt worden seien. Lediglich die Verwirklichung der Steuerschuld werde kraft Gesetzes hinausgeschoben, weil ein steuerbefreiendes Ereignis eintreten könne. Daraus folge, daß mit der Aufgabe des steuerbegünstigten Zweckes durch den Konkursverwalter nicht eine Steuerschuld neu entstehe, sondern eine bestehende Steuer fällig werde. Darüber hinaus vertritt das FA die Ansicht, daß auch Steuerforderungen mit aufschiebend bedingtem Charakter bevorrechtigt seien, weil die Benachteiligung des Fiskus gegenüber anderen Gläubigern im Hinblick auf die Absicherung von Forderungen ausgeglichen werden müsse.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.
Die zur Konkurstabelle angemeldeten Steuerforderungen sind nicht bevorrechtigt. Das Vorrecht der Staatskasse besteht gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO wegen öffentlicher Abgaben, welche im letzten Jahre vor der Eröffnung des Konkursverfahrens fällig geworden sind oder als betagte Forderungen nach § 65 KO als fällig gelten. Wie das FG zutreffend erkannt hat, waren die Grunderwerbsteuerforderungen des FA bei Konkurseröffnung noch nicht fällig. Die Fälligkeit einer Forderung setzt ihre Entstehung voraus (vgl. nunmehr den bisherigen Rechtszustand verdeutlichend § 220 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Nach § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - (vgl. jetzt § 38 AO 1977) entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.
Der den Konkursforderungen zugrunde liegende Nachversteuerungstatbestand des § 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 GrEStWoBauG war im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens nicht verwirklicht. Zwar war der Steueranspruch als Konkursforderung bei Verfahrenseröffnung bereits begründet i. S. von § 3 Abs. 1 KO, da die Steuerschuld ihren inneren Grund in den vor Konkurseröffnung getätigten Erwerben durch den Gemeinschuldner A findet (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. August 1975 II R 93/70, BFHE 117, 176, BStBl II 1976, 77; vom 23. August 1978 II R 16/76, BFHE 126, 122, BStBl II 1979, 198). Wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 3 Abs. 1, 65, 67 KO ergibt, können auch Forderungen bereits i. S. von § 3 Abs. 1 KO als Konkursforderungen begründet sein, die nach den Steuergesetzen noch nicht entstanden sind. Eine bloß begründete Forderung genießt demnach noch nicht das Vorrecht. Die Entstehung der Nachsteuer gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 GrEStWoBauG hängt davon ab, daß ein in § 1 Nr. 1 GrEStWoBauG "bezeichneter" Erwerbsvorgang vorliegt und der Erwerber außerdem den steuerbegünstigten Zweck aufgibt. Sodann "gilt" gemäß § 3 Abs. 6 GrEStWoBauG als nachzuerhebende Steuer die Grunderwerbsteuer nach § 13 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der in Nordrhein-Westfalen geltenden Fassung. Der Nachversteuerungstatbestand ist zeitlich nach der Konkurseröffnung verwirklicht worden (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416; BFH-Beschlüsse vom 10. März 1970 II B 7/70, BFHE 98, 374, BStBl II 1970, 389; vom 29. September 1970 II B 22/70, BFHE 100, 140, BStBl II 1970, 830).
Dem FG ist auch darin zu folgen, daß die Steuerforderung nicht deshalb das Vorrecht genießt, weil sie als nach § 65 KO fällig anzusehen wäre. Nach § 65 Abs. 1 KO gelten als fällig alle betagten Forderungen. Betagte und damit bevorrechtigte Forderungen sind jedoch nur solche, die bei Konkurseröffnung bereits im steuerrechtlichen Sinne entstanden waren. Der Zweck des § 65 KO geht dahin, die konkursmäßige Schuldenbereinigung durch Einbeziehung noch nicht fälliger Ansprüche (unter Abzug des Zwischenzinses) zu fördern. Die Vorschrift will also nur dem Mangel der Fälligkeit abhelfen, nicht aber dem Mangel der Entstehung der Forderung (Jaeger-Lent, Konkursordnung, 8. Aufl., § 65 Anm. 1). Daraus ergibt sich, daß das Vorrecht des Fiskus keine Forderungen erfaßt, die zwar durch eine Rechtshandlung des Gemeinschuldners vor Konkurseröffnung begründet, aber nicht vor Verfahrenseröffnung nach den Steuergesetzen entstanden sind. Diese Beschränkung des bereits bei der Gesetzesvorlage im Jahre 1874 umstrittenen Vorrechts des Fiskus kommt in der Begründung des Entwurfs der Konkursordnung (Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages, 2. Legislatur-Periode, II. Session 1874/75, zu Nr. 200, S. 1474, 1784) deutlich zum Ausdruck. Daher kann auch nicht der Ansicht des FA gefolgt werden, das Vorrecht des Fiskus erstrecke sich auch auf bedingte Forderungen i. S. des § 67 KO; denn diese Forderungen sind im steuerrechtlichen Sinne gerade nicht entstanden. Eine Ausdehnung des Vorrechts auf bei Konkurseröffnung noch nicht entstandene Forderungen unter Hinweis auf Benachteiligungen des Fiskus gegenüber anderen Konkursgläubigern wird weder vom Wortlaut noch vom Gesetzeszweck gedeckt.
Fundstellen