Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang der Sachaufklärungspflicht des FG
Leitsatz (NV)
Nach § 76 FGO erforscht das FG den Sachverhalt von Amts wegen und ist weder an das Vorbringen noch an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden. Die Sachaufklärungspflicht des FG ist allerdings eingeschränkt, wenn ein Beteiligter seine prozessuale Mitwirkungspflicht i.S. von § 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO verletzt hat. Das FG ist auch nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen. Es ist aber im Rahmen der Bearbeitung der Klage grundsätzlich gehalten, die Beteiligten auf fehlende Unterlagen hinzuweisen und auf die Ergänzung unvollständiger Beweisanträge hinzuwirken.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 76-77, 96, 119 Nr. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog im Streitjahr (1995) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und ―als Eigentümer eines Wohnhauses― Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) führte die Einkommensteuerveranlagung entsprechend der eingereichten Einkommensteuererklärung durch. Der Einkommensteuerbescheid erging im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig. Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren wandte sich der Kläger auch gegen die Nichtberücksichtigung eines (zusätzlichen) Freibetrages bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit seiner formularmäßig abgefassten Klage vom 23. September 1998 ―beim Finanzgericht (FG) eingegangen am 6. Oktober 1998― machte der Kläger Freibeträge bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das FG lud durch Verfügung vom 23. April 1999 ―dem damaligen Bevollmächtigen des Klägers zugestellt am 27. April 1999― zu einer auf den 31. Mai 1999 angesetzten mündlichen Verhandlung. In einem kurz vor Beginn dieser mündlichen Verhandlung beim FG eingegangenen Telefax vom 31. Mai 1999 teilte der Kläger mit, er halte seine bisherigen Anträge nicht mehr aufrecht und mache nunmehr bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (u.a. des Streitjahres) weitere Werbungskosten geltend. Zum Nachweis bezog er sich auf den Beweis durch Zeugen und/oder auf Zahlungsbelege, die dem FA vorlägen oder zusammen mit der Steuererklärung vorgelegen hätten. Zur mündlichen Verhandlung ist für die Beteiligten niemand erschienen.
Das FG wies die Klage ab, soweit sie das Streitjahr betraf. Die geltend gemachten Werbungskosten seien nicht nachgewiesen. Die vom Kläger genannten Belege seien weder in den dem FG vorliegenden Akten noch ―dies habe eine Anfrage ergeben― beim FA vorhanden. Es sei auch unglaubhaft, dass der Kläger seinerzeit dem FA Belege eingereicht habe, obwohl die entsprechenden Aufwendungen in seiner Steuererklärung (bisher) nicht aufgeführt worden seien. Bei dieser Sachlage fehle für die Berücksichtigung der Aufwendungen der erforderliche Nachweis.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 76 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 FGO; Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―). Zum Nachweis der Zahlung der im Schriftsatz vom 31. Mai 1999 geltend gemachten Werbungskosten habe er die Vorlage der Zahlungsbelege, der Rechnungen oder das Zeugnis der Stadt A angeboten. Das FG hätte die mündliche Verhandlung vertagen und die angebotenen Beweise einholen oder zumindest die jährlich wiederkehrenden Werbungskosten (Grundbesitzabgaben, Stromkosten, Wohngebäudeversicherung und Rundfunkgebühr) auch ohne Beweiserhebung berücksichtigen müssen. Dass diese dem Kläger im Streitjahr in der angegebenen Höhe entstanden seien, sei glaubhaft; aus der dem FG in der mündlichen Verhandlung vorliegenden Anlage V seien für das Jahr 1996 vergleichbare Aufwendungen ersichtlich gewesen, die das FA anerkannt habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das angefochtene Urteil leidet an keinem Verfahrensmangel. Das FG hat weder seine Sachaufklärungs- und Hinweispflicht noch einen Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
1. a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen und ist dabei weder an das Vorbringen noch an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Allerdings muss das FG, will es einen Verfahrensmangel vermeiden, die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben. Auf eine beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel oder die Beweiserhebung unzulässig oder absolut untauglich ist, das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das FG die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zu Gunsten der betreffenden Partei unterstellt (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. August 2002 VII B 267/01, BFH/NV 2003, 63, m.w.N.). Die Sachaufklärungspflicht des FG ist allerdings eingeschränkt, wenn ein Beteiligter seine prozessuale Mitwirkungspflicht i.S. von § 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO verletzt hat, z.B. weil er seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts nicht nachkommt, die umso größer ist, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (z.B. BFH-Urteile vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 12. Dezember 2000 VIII R 36/99, BFH/NV 2001, 789, jeweils m.w.N.). Das FG ist auch nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (z.B. Beschluss in BFH/NV 2003, 63, m.w.N.).
b) Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende u.a. darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Inhalt und Umfang dieser Hinweispflicht sind von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles, der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten abhängig (z.B. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, m.w.N.).
c) Lehnt das FG unberechtigt den Beweisantrag eines Verfahrensbeteiligten ab, wird dessen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO verletzt. Die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebende Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessparteien einschließlich der Beweisanträge zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, schließt es aus, diese aus außerhalb des Prozessrechts liegenden Gründen unberücksichtigt zu lassen (BFH-Urteil vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660, m.w.N.).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Revision keinen Erfolg. Der Kläger hat seine Mitwirkungspflichten in hohem Maße verletzt. Er hat erst kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung neue Tatsachen in das Verfahren eingebracht, ohne die dafür vorhandenen Nachweise hinreichend zu bezeichnen und ist ―ohne Angabe von Gründen― zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
a) Die im Schriftsatz vom 31. Mai 1999 in Bezug genommenen Unterlagen waren ―das Übermitteln von Fotokopien hätte ausgereicht (ebenso Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 77 FGO Rz. 11; a.A. Hellwig in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 77 FGO Rz. 7)― entgegen § 77 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht beigefügt. Das FG wäre zwar verpflichtet gewesen, diese Unterlagen auch dann zu berücksichtigen, wenn der Kläger sie ―wie behauptet― unmittelbar beim FA eingereicht hätte (s. dazu BFH-Urteil vom 4. November 1999 IV R 101/91, BFH/NV 2000, 718). Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) lagen dem FA die vom Kläger genannten Belege jedoch nicht vor.
b) Die im Schriftsatz vom 31. Mai 1999 gestellten Beweisanträge hat das FG zutreffend nicht beachtet. Sie waren unsubstantiiert, weil sie u.a. das Beweisthema nicht genau bezeichneten (s. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 21. November 2002 VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485, m.w.N.). Insbesondere blieb unklar, auf welches konkrete Grundstück sich die als Werbungskosten geltend gemachten Beträge beziehen sollten. Der Schriftsatz des Klägers enthält hierzu keine Angaben. Aus den Steuerakten ist nur ersichtlich, dass der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Zusammenhang mit einem (nicht näher bezeichneten) Objekt in A geltend macht; dies reicht nicht aus.
c) In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass das FG im Rahmen der Bearbeitung der Klage grundsätzlich gehalten ist, die Beteiligten auf fehlende Unterlagen hinzuweisen und auch auf die Ergänzung unvollständiger Beweisanträge hinzuwirken (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 4 FGO, § 76 Abs. 2 FGO; so ausdrücklich zur Ergänzung eines in der mündlichen Verhandlung protokollierten unvollständigen Beweisantrages, z.B. BFH-Beschluss vom 30. April 2002 X B 132/00, BFH/NV 2002, 1457). Im Streitfall ist nämlich zum einen der Schriftsatz mit den ersichtlich unvollständigen Angaben nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG erst kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung, auf der das Urteil beruht, bei Gericht eingegangen. Darüber hinaus ist der ordnungsgemäß geladene Bevollmächtigte des Klägers ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen und hat sich so einer Erörterung der Streitsache durch das FG entzogen, obwohl es sich ihm aufdrängen musste, dass u.a. die Unvollständigkeit der Angaben in seinem Beweisantrag Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein würde. Der Kläger, der sich dieses Verhalten zurechnen lassen muss, kann damit weder die Verletzung des § 76 Abs. 2 FGO (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 1999 III B 32/99, BFH/NV 2000, 580) noch eine Versagung des rechtlichen Gehörs geltend machen (BFH-Beschluss vom 9. August 2000 IX B 40/00, BFH/NV 2001, 63).
d) Für die Entscheidung des Streitfalles kommt es nicht darauf an, ob und welche Aufwendungen das FA nach den Kenntnissen des FG im Jahre 1996 als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anerkannt hat; hieraus folgt nicht, dass und ―falls ja― in welcher Höhe der Kläger die im Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen in diesem Jahr auch tatsächlich gezahlt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1061364 |
BFH/NV 2004, 46 |
DStRE 2004, 54 |