Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Steuerpflichtiger mehrere gewerbliche Betriebe oder ist er an mehreren Personengesellschaften als Mitunternehmer beteiligt und ist nicht in allen Betrieben der Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt worden, so kann der Steuerpflichtige grundsätzlich die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns (§ 10 a EStG) nicht in Anspruch nehmen.
Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Gewinn aus dem Betrieb ohne ordnungsmäßige Buchführung so gering ist, daß er gegenüber dem Gewinn aus den anderen Betrieben nicht ins Gewicht fällt. In diesem Falle ist der für den Betrieb ohne ordnungsmäßige Buchführung geschätzte Gewinn als entnommen zu behandeln.
Normenkette
EStG § 10a; EStDV § 45 Abs. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtigen (Stpfl.) hatten als Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Jahr 1961 erklärt:
Gewinn aus einer Handelsvertretung ------------ 2.458 DM, Gewinn als Mitunternehmer bei der Firma A ------------------------------ 21.232 DM, Verlust als Mitunternehmer bei der Firma B ------------------------------- 6.071 DM.Das Verlangen der Stpfl., die Hälfte des Gewinnanteils an der Firma A nach § 10 a EStG 1961 als Sonderausgaben abzuziehen, lehnte das Finanzamt (FA) ab, weil für die Handelsvertretung keine ordnungsmäßige Buchführung bestanden habe; nach der Gewerbesteuererklärung sei dieser Gewinn durch Anwendung eines pauschalen Unkostensatzes von 33 1/3 v. H. auf die Einnahmen errechnet worden.
Vor dem Finanzgericht (FG) räumten die Stpfl. ein, daß im Streitjahr für die Handelsvertretung keine Bücher geführt worden seien. Es sei aber nur eine einzige Provisionsgutschrift zu verbuchen gewesen. Der geringe formelle Mangel müsse heilbar sein. Zudem habe das FA die Pauschalierung der Betriebsausgaben mindestens seit dem Jahre 1955 gekannt und habe trotzdem bis 1960 den § 10 a EStG angewendet. An diese Handhabung sei das FA nach Treu und Glauben auch für das Jahr 1961 gebunden.
Die Stpfl. legten dem FG eine inzwischen gefertigte Verbuchung der Geschäftsvorfälle aus der Handelsvertretung nebst Bilanz mit Verlust- und Gewinnrechnung vor. Das Sachkontenhauptbuch enthält vier Buchungen auf dem Konto der vertretenen Firma, nämlich drei Gutschriften für empfangene überweisungen und eine Lastschrift über die geschuldete Provision. Es folgen neun Posten verschiedener, in runden Zahlen geschätzter Unkosten, so daß sich ein Gewinn von 745 DM ergibt. Gegenkonto aller Buchungen ist das Privatkonto, außer der Lastschrift über die geschuldete Provision, deren Habenbetrag auf "Provosionserträge" verbucht ist. Die Stpfl. bemerkten dazu, die Provisionen seien in das Privatvermögen überführt worden.
Das FG wies die Berufung zurück und führte aus, eine fehlerhafte Buchführung sei nur heilbar, wenn zuvor überhaupt Bücher geführt worden seien. Eine nachträgliche Erstellung der Buchführung sei nicht möglich. Da eine ordnungsmäßige Buchführung für den Bereich der Handelsvertretung fehle, entfalle die Steuervergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn (§ 10 a EStG); auch für den Gewinn bei der Firma A. Die Anwendung des § 10 a EStG in den Vorjahren habe dem Gesetz nicht entsprochen, weil auch damals für die Handelsvertretung keine ordentliche Buchführung bestanden habe. Der Grundsatz von Treu und Glauben berechtige oder verpflichte das FA nicht, die frühere unrichtige Handhabung im Streitjahr 1961 fortzusetzen.
Mit der - nunmehr als Revision zu behandelnden - Rechtsbeschwerde rügen die Stpfl. die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), einen Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und einen Ermessensmißbrauch durch Nichtzulassung der Fehlerberichtigung.
Sie beantragen, 10.615 DM als Sonderausgaben nach § 10 a EStG abzuziehen.
Das FA hat keine Erklärung abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Das FG geht zutreffend davon aus, daß, wenn ein Steuerpflichtiger mehrere Betriebe oder Mitunternehmerschaften hat, ein Abzug nach § 10 a EStG 1961 nur zulässig ist, wenn für alle Betriebe eine ordnungsmäßige Buchführung bestanden hat. Das ist im § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 EStDV 1961 ausdrücklich bestimmt. Gegen die Rechtsgültigkeit dieser Durchführungsvorschrift bestehen keine Bedenken. Die Regelung hält sich nach der Entscheidung des Senats VI 94/60 vom 10. Februar 1961 (Der Betrieb - DB - 1961 S. 761, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 61) im Rahmen von Sinn und Zweck des EStG. Fehlt nämlich eine ordnungsmäßige Buchführung für alle Betriebe, so kann im allgemeinen die Höhe der Gesamtentnahmen nicht einwandfrei festgestellt werden. Die Entscheidung des Senats ist zwar zu § 32 Abs. 2 EStDV 1953 ergangen. Es bestehen aber keine Bedenken, sie auch auf den gleichlautenden § 45 Abs. 3 EStDV 1955 anzuwenden.
Die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung setzt voraus, daß alle Geschäftsvorfälle nach der Zeitfolge in Grundbüchern vollständig und laufend aufgezeichnet werden (BFH-Entscheidung I 381/61 vom 11. Mai 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 S. 462). Aufzeichnungen und Bilanzen, die erst Jahre später gefertigt werden, genügen nicht (Entscheidung des Senats VI 154/63 U vom 5. März 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 82 S. 104 - BFH 82, 104 -, BStBl III 1965, 285). Im Streitfall sind die Eröffnungs- und die Schlußbilanz, die Verlust- und Gewinnrechnung für das Jahr 1961 vom 30. November 1964 datiert. Offenbar sind auch die Grundbuchungen erst um diese Zeit vorgenommen worden. Das ist mit dem Grundsatz der zeitnahen Verbuchung unvereinbar. Das FG konnte also ohne Rechtsverstoß annehmen, daß die Stpfl. nicht für alle Betriebe ordnungsmäßige Bücher geführt haben.
Es ist auch nicht möglich, gemäß Abschn. 29 Abs. 2 Ziff. 4 EStR 1961 für die Handelsvertretung eine unschädliche ergänzende Schätzung vorzunehmen; denn in Wirklichkeit geht es um eine Vollschätzung des Jahresergebnisses der Handelsvertretung.
Dem FG ist auch darin beizutreten, daß die Falschbehandlung in den Vorjahren das FA nicht verpflichtet, den Fehler im Streitjahr 1961 zu wiederholen. Die früheren unrichtigen Veranlagungen enthielten keine Zusicherung über die steuerliche Behandlung des nicht entnommenen Gewinns in den Folgejahren. Von einer solchen Bindung kann um so weniger die Rede sein, als das FA schon im Gewerbesteuermeßbescheid 1955 auf die Unzulässigkeit des Pauschalabzugs aufmerksam gemacht hatte.
Die Stpfl. rügen auch zu Unrecht eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Wer eine Steuervergünstigung in Anspruch nehmen will, muß die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Unterläßt er das, kann er nicht geltend machen, er werde gegenüber den Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen der Begünstigung vorschriftsmäßig erfüllt haben, dem Art. 3 Abs. 1 GG zuwider "ungleich" behandelt.
Wenn also auch dem FG in diesen Punkten zuzustimmen ist, so muß doch das Urteil aus einem anderen Grund aufgehoben werden. Die steuerlichen Bestimmungen über die ordnungsmäßige Buchführung haben im Zusammenhang mit Steuervergünstigungen keinen Selbstzweck, sondern dienen vor allem dem Nachweis und der überwachung, daß die Voraussetzungen für eine in Anspruch genommene Vergünstigung erfüllt sind (BFH-Entscheidung I 129/52 S vom 10. Februar 1953, BFH 57, 268, BStBl III 1953, 106). In der BFH-Entscheidung IV 99/53 U vom 25. März 1954 (BFH 59, 84 BStBl III 1954, 241) ist § 10 a EStG dahin ausgelegt worden, daß ein unerheblicher Gewinn nach der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft (VOL) nicht dazu führe, für einen wesentlich größeren, auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten gewerblichen Gewinn die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns zu versagen. Es sei angebracht, so wurde damals ausgeführt, sinngemäß so zu verfahren, wie bei den Fällen, in denen bei der Veranlagung Zuschätzungen zum Buchungsergebnis vorgenommen werden müßten; die Rechtsprechung habe die Voraussetzungen der Vergünstigung dann noch als erfüllt angesehen, wenn für Geschäfte, die lediglich einen geringeren Umfang haben und im Rahmen des Gesamtergebnisses unwesentlich sind, die ordnungsmäßige Buchführung fehlt, und deshalb nur eine ergänzende Schätzung zu dem im übrigen auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung feststellbaren Gewinn notwendig ist". Auch die zu § 32 a EStG 1949 ergangene BFH-Entscheidung IV 399/53 U vom 15. Juli 1954 (BFH 59, 110, BStBl III 1954, 251) hat mit ähnlicher Begründung die Vergünstigung für einen durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelten großen gewerblichen Gewinn gewährt, obwohl der Stpfl. daneben einen geringen nach der VOL ermittelten Gewinn hatte. Das BFH-Urteil IV 327/54 vom 13. Oktober 1955 (DB 1955 S. 1079) hat dann verallgemeinernd auch für nichtlandwirtschaftliche Nebenbetriebe ausgeführt, daß nach dem Urteil IV 99/53 U (a. a. O.) zu verfahren sei, wenn der Gewinn des Hauptbetriebs auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt worden sei und die unverändert übernommenen Ergebnisse der Nebenbetriebe dem Gewinn des Hauptbetriebs gegenüber nicht ins Gewicht fielen. Ergänzend hat der Senat dann in der Entscheidung VI 94/60 (a. a. O.) betont, daß bei Anwendung des § 10 a EStG stets "mit der nach Auffassung des Gesetzgebers erforderlichen Gewißheit" feststellbar sein müsse, ob der Stpfl. seine "Entnahmen in der vom Gesetzgeber für wünschenswert angesehenen Weise eingeschränkt" habe; deshalb komme es insbesondere darauf an, ob durch eine einwandfreie Buchführung dargetan sei, wie hoch die Entnahmen tatsächlich waren. Daraus ergibt sich, daß Unklarheiten in den Entnahmen oder Einlagen zu Lasten der Stpfl. gehen. Deshalb müssen Gewinne aus solchen Nebenbetrieben als entnommen behandelt werden, bei denen über den Mangel der ordnungsmäßigen Buchführung wegen Geringfügigkeit hinweg gesehen wird; denn weil keine Buchführung vorhanden ist, entfällt auch die Möglichkeit zu beweisen, daß die Gewinne in den Nebenbetrieben belassen worden sind. Im Streitfall geben die Stpfl. übrigens zu, daß sie die Einnahmen aus der Handelsvertretung in ihr Privatvermögen überführt haben.
Hier war neben den Beteiligungen an den Firmen A und B gewinnmäßig die Handelsvertretung nur von untergeordneter Bedeutung, da der Gewinn daraus nur mit 745 DM anzusetzen ist. Die Stpfl. haben die Handelsvertretung offenbar mehr als eine Gelegenheitstätigkeit und als kleinen Nebenerwerb angesehen. Der Senat hält deshalb grundsätzlich die Vergünstigung des § 10 a EStG für anwendbar, obwohl der Gewinn aus der Handelsvertretung nicht auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt worden ist.
Die angefochtene Entscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, wird aufgehoben. Das FG hat den gesamten Gewinn und die Höhe der Entnahmen festzustellen und dann die Einkommensteuer neu zu berechnen.
Fundstellen
Haufe-Index 412232 |
BStBl III 1966, 671 |
BFHE 1966, 751 |
BFHE 86, 751 |