Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschüttungen einer inländischen Körperschaft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 KStG - öffentlich-rechtlicher oder privater Charakter einer Körperschaft - Begriff: Realgemeinde
Leitsatz (amtlich)
Ausschüttungen einer inländischen Körperschaft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 KStG führen bei den Mitgliedern nur dann zu Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn die Mitgliedschaftsrechte einer kapitalmäßigen Beteiligung gleichstehen und die ausschüttende Körperschaft den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Körperschaften unter Berücksichtigung der Vorschriften des Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens vergleichbar ist.
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung der zuständigen Landesbehörde zum öffentlich-rechtlichen oder privaten Charakter kann im allgemeinen auch für die steuerrechtliche Beurteilung übernommen werden.
2. Realgemeinden sind Personalgesellschaften des älteren agrarwirtschaftlichen Genossenschaftsrechts, bei denen mit der Mitgliedschaft das Recht auf gemeinsame landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung des Grund und Bodens (im Weg der Selbstbewirtschaftung) verbunden ist.
Normenkette
KStG 1977 § 1 Abs. 1 Nrn. 4-5, §§ 43, 29 Abs. 1-2; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 15.03.1994; Aktenzeichen VI 283/88) |
Tatbestand
I. 1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Vereinigung von Eigentümern bestimmter Rittergüter. Sie wurde bereits vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegründet und hat ihren Ursprung in den ständisch gegliederten Vertretungskörperschaften des Landes gegenüber dem Landesherrn. Die Eigentümer der Rittergüter haben sich im Jahre 1912 zur Zeit noch gültige Statuten gegeben, die durch Erlaß vom 27. April 1912 vom preußischen König genehmigt worden sind. Für den Streitfall sind folgende Statuten von Bedeutung:
"§ 1
Die Aufgaben der .... Ritterschaft bestehen
in der Verwaltung ihres Vermögens, ferner in der
Wahrnehmung der Standes- und wirtschaftlichen
Interessen der Ritterschaft als solcher und ihrer
Mitglieder und der Erhaltung der Rittergüter in
ihrem Bestande.
§ 3
Über die zur Ritterschaft gehörigen Güter und
deren Eigentümer ist eine Matrikel zu führen.
§ 11
Bei der Aufnahme eines neuen Gutes in die Matrikel
ist eine einmalige Abgabe von 25.000 Mark an die
ritterschaftliche Kasse zu entrichten ...
§ 12
Bei der Aufnahme des Erwerbers eines Rittergutes
in die Ritterschaft hat der Erwerber ein Eintrittsgeld
von 5.000 Mark in die ritterschaftliche Kasse
zu zahlen. Beim Erbgang an Aszendenten, Deszendenten,
Ehegatten und zum Mannesstamm gehörige Mitglieder
der Familie ist ein Eintrittsgeld nicht zu zahlen.
Die Veräußerung eines Gutes unter Lebenden an die im
vorigen Absatz genannten Personen ist ebenfalls ein
Eintrittsgeld nicht zu zahlen.
Ein gleiches Vorzugsrecht genießt der Erwerber eines
Rittergutes, der bereits .... Ritter ist.
§ 13
Zur Ausübung der mit immatrikulierten Gütern
verbundenen Rechte bedarf es eines Aufnahmebeschlusses
der Ritterschaft.
§ 16
Die Stimme eines Ritterguts ruht, solange es sich
im Eigentum einer juristischen Person befindet ...
§ 20
Ein Beschluß der Ritterschaft ist erforderlich, wenn
wegen Verlustes des ehrenhaften Rufes einem Mitglied
Mitgliedseigenschaft abgesprochen werden soll ...
§ 22
Alle Jahre, und zwar im ersten Drittel soll ein
ordentlicher Rittertag in .... stattfinden ...
§ 23
Beschlüsse werden nach der einfachen Mehrheit der
anwesenden Stimmen gefaßt, sofern Ausnahmen nicht
ausdrücklich vorgesehen sind ...
§ 24
Dem Landschaftsrat bzw. Geschäftsführer untersteht
die Verwaltung des Vermögens ... und die Führung der
laufenden Geschäfte der Ritterschaft.
§ 26
Bei Auflösung der Ritterschaft fällt das Vermögen
derselben an die Eigentümer der dann noch vorhandenen
stimmberechtigten Güter."
Die Klägerin ist im Grundbuch als Eigentümerin von Grundbesitz eingetragen. Dieser besteht aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, dessen landwirtschaftlicher Betriebsteil verpachtet ist, während der forstwirtschaftliche Teil eigengenutzt wird. Daneben besitzt die Klägerin Wertpapiere, aus denen sie Zinserträge bezieht.
Einem Beschluß ihrer Mitgliederversammlung (Rittertag) vom 16. Dezember 1983 entsprechend, schüttete die Klägerin von dem aus diesen Quellen stammenden Überschuß für das Jahr 1983 einen Betrag von 10 000 DM an ihre Mitglieder aus und beantragte in der Körperschaftsteuererklärung 1983 erstmals die Anwendung der Vorschriften über das Anrechnungsverfahren.
Mit dem angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid vom 2. August 1985 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Veranlagung ohne Anwendung der §§ 27 bis 42 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) durch.
2. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt, da die Leistungen der Klägerin bei den Empfängern zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehörten (§ 43 KStG).
3. Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Vorschriften des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens sind auf die Klägerin nicht anwendbar.
1. Gemäß § 43 KStG 1981 sind die nach dem Wortlaut der §§ 27 bis 42 KStG nur für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften über das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren auch auf andere unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften anzuwenden, wenn deren Leistungen bei den Empfängern zu den Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des im Streitjahr geltenden Einkommensteuergesetzes (EStG) 1981 gehören.
2. Die Klägerin ist eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft des privaten Rechts i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 KStG.
Zwar hielt der zuständige Rechnungshof in den Jahren 1974 bis 1982 die Klägerin entgegen der Auffassung des FA für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das Innenministerium des Landes bestätigte jedoch mit Schreiben vom 4. Januar 1982 die Auffassung des FA, wonach die Klägerin keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Urteil vom 1. März 1951 I 52/50 U (BFHE 55, 311, BStBl III 1951, 120) entschieden, daß die Entscheidung der zuständigen Landesbehörde zum öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Charakter einer Körperschaft im allgemeinen auch für die steuerrechtliche Beurteilung übernommen werden könne. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin den juristischen Personen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG) oder den nicht rechtsfähigen Vereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG) zuzuordnen ist. In jedem Falle erfüllt sie als ein vom Mitgliederbestand unabhängiger, zu einem bestimmten Zweck gebildeter Zusammenschluß von Personen mit einem Vermögen, das vom Vermögen der Mitglieder weitgehend getrennt ist, die Voraussetzungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft i.S. des § 1 Abs. 1 KStG.
3. Die Ausschüttungen ("Leistungen") der Klägerin gehören bei den Mitgliedern jedoch nicht zu den Einnahmen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG.
a) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Kuxen, Genußrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Kolonialgesellschaften und an bergbautreibenden Vereinigungen, die die Rechte einer juristischen Person haben. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG bezieht Bezüge aufgrund einer Kapitalherabsetzung oder nach der Auflösung einer der in Nr. 1 aufgeführten Körperschaften in den Kreis der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein.
Da die Klägerin nicht zu den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Körperschaften (Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, bergbautreibende Vereinigungen) gehört, ist für den Streitfall bedeutsam, ob die leistenden Körperschaften in Nr. 1 abschließend oder nur beispielhaft aufgezählt sind. In seiner zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform 1977 ergangenen Rechtsprechung hat der BFH die Aufzählung der ausschüttenden Körperschaften in § 20 Abs. 1 EStG als nicht abschließend betrachtet (BFH-Urteile vom 3. November 1961 VI 42/60 U, BFHE 74, 15, BStBl III 1962, 7, 8; vom 5. September 1963 IV 213/58 S, BFHE 78, 294, BStBl III 1964, 117; vom 24. Juni 1966 VI 171/65, BFHE 86, 548, BStBl III 1966, 579; vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580). Das steuerrechtliche Schrifttum folgt dieser Auffassung überwiegend und hält unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum Körperschaftsteuerreformgesetz (BTDrucks 7/1470, S.272) die Aufzählung auch nach Einführung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens für nur beispielhaft (Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnrn.112, 150; Stuhrmann in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr.1; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 20 EStG Rdnr.57; Seemann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnrn.18, 23; Bordewin in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr.42; anderer Ansicht jedoch: Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr.C 9; Streck, Körperschaftsteuergesetz, 4. Aufl., § 43 Anm. 3).
b) Die Frage kann im Streitfall dahinstehen, da die Ausschüttungen der Klägerin selbst bei Annahme einer nur beispielhaften Aufzählung in § 20 Abs. 1 EStG nicht zu den Kapitalerträgen im Sinne dieser Vorschrift gehören.
Ausschüttungen der nicht in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Körperschaften können zu Einkünften aus Kapitalvermögen nur führen, wenn die Mitgliedschaftsrechte einer kapitalmäßigen Beteiligung gleichstehen (BFH-Urteile in BFHE 74, 15, BStBl III 1962, 7; BFHE 86, 548, BStBl III 1966, 579; vom 23. September 1970 I R 22/67, BFHE 100, 369, BStBl II 1971, 47; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 20 Rz. 88; Gail/Goutier/ Grützner, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 43 Rz. 13) und die betreffenden Körperschaften den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Gesellschaftsformen zumindest vergleichbar sind (BHF-Urteil vom 16. Dezember 1992 I R 32/92, BFHE 170, 354, 358, BStBl II 1993, 399). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
c) Der Senat verkennt nicht, daß die Mitgliedschaftsrechte an der Klägerin auch Merkmale einer kapitalmäßigen Beteiligung enthalten. Die bei Aufnahme eines Ritterguts in die sog. Matrikel oder beim Erwerb eines Gutes zu leistende einmalige Abgabe an die ritterschaftliche Kasse (§§ 11, 12 der Statuten) könnte als kapitalmäßige Beteiligung angesehen werden. Gegen eine kapitalmäßige Beteiligung spricht jedoch die Bezeichnung der Zahlungen als "Abgabe" bzw. als "Eintrittsgeld". Diese Begriffe deuten eher auf eine vereinsmäßige Mitgliedschaft hin, wie sie auch bei Berufsverbänden üblich ist. Gegen eine kapitalmäßige Beteiligung spricht auch, daß die Mitgliedschaftsrechte nicht wie Kapitalanteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden können. Sie sind zum einen mit dem Eigentum am betreffenden Rittergut verbunden. Auch bei Veräußerung des Gutes gehen die Mitgliedschaftsrechte jedoch nicht automatisch auf den Erwerber über. Sie können nicht vom bisherigen Eigentümer mit dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb Rittergut auf den Erwerber übertragen werden (vgl. dazu BFH in BFHE 74, 15, BStBl III 1962, 7, 8 a.E.). Es bedarf vielmehr der Zahlung eines neuen Eintrittsgeldes und eines besonderen Aufnahmebeschlusses der Ritterschaft (§§ 12, 13 der Statuten). Eine Ausnahme gilt lediglich für den erbrechtlichen Übergang auf bestimmte Angehörige oder für den Übergang auf Erwerber, die bereits Mitglieder der Ritterschaft sind. Das FG hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß auch bei bestimmten Aktienkategorien (z.B. vinkulierten Namensaktien) oder bei bestimmten Genossenschaftsanteilen die Übertragung auf einen Erwerber von der Zustimmung der Gesellschaft/Genossenschaft abhängig gemacht werden kann. Diese Besonderheit besteht jedoch insoweit bei Wertpapieren oder Anteilen, die im übrigen alle Merkmale einer kapitalmäßigen Beteiligung aufweisen. Sie kann diesen Anteilen nicht den Charakter eines Kapitalanteils nehmen. Hingegen ist bei einem Mitgliedschaftsrecht an einem vereinsähnlichen Gebilde die fehlende oder eingeschränkte Übertragbarkeit zumindest ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme einer kapitalmäßigen Beteiligung. Im Streitfall ist ferner bedeutsam, daß sich die Stimmrechte im sog. Rittertag nicht nach der Höhe der für das einzelne Rittergut gezahlten Abgaben/Eintrittsgeldern richten, sondern daß jedes Rittergut stets nur eine Stimme besitzt (§§ 16, 23 der Statuten). Bei kapitalmäßigen Beteiligungen richten sich die Stimmrechte --jedenfalls im Regelfall-- nach der Höhe der auf ein gezeichnetes Kapital geleisteten Kapitaleinlagen. Gegen eine kapitalmäßige Beteiligung und für eine rein vereinsmäßige Mitgliedschaft spricht ferner, daß das Stimmrecht eines Ritterguts trotz Zahlung der Beiträge ruht, solange es im Eigentum einer juristischen Person steht (vgl. § 16 der Statuten). Die Bestimmung zeigt den personenbezogenen und von der Zahlung der Abgaben/Eintrittsgelder unabhängigen Charakter der Mitgliedschaft. Es kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß die statutarischen Ziele der Klägerin wie die "Wahrnehmung der Standes- und wirtschaftlichen Interessen der Ritterschaft als solcher und ihrer Mitglieder und der Erhaltung der Rittergüter in ihrem Bestande" deutlich Merkmale einer berufständischen Vertretung sind. Sie deuten auf die Vergleichbarkeit der Klägerin mit einem Berufsverband, an dem jedenfalls in der Regel keine kapitalmäßige Beteiligung besteht.
Bei Auslegung des § 43 KStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind seit Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform auch die Besonderheiten des Anrechnungsverfahrens zu beachten. Die Rechtsform einer in das Anrechnungsverfahren einzubeziehenden Körperschaft muß die für eine sinngemäße Anwendung der §§ 27 bis 42 KStG erforderlichen Merkmale zumindest in vergleichbarer Form aufweisen. Die Anwendung des Anrechnungsverfahrens bedingt eine jährliche Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals (vEK). Zu diesem Zweck müssen Nennkapital und vEK voneinander getrennt werden (§ 29 Abs. 2 KStG). Es muß ferner die Übereinstimmung des Steuerbilanzvermögens mit dem gegliederten Eigenkapital überprüfbar sein (§ 29 Abs. 1 KStG). Die zu diesem Zweck erforderlichen Tatbestandsmerkmale "Steuerbilanz" und "Nennkapital" zeigen, daß die Rechtsform einer in das Anrechnungsverfahren einzubeziehenden Körperschaft zumindest den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Körperschaften verwandt sein muß, weil sich nur bei annähernd vergleichbaren Rechtsformen entsprechende Merkmale feststellen lassen. Die Klägerin erstellt weder Steuerbilanzen noch ist aus ihren Statuten ein dem Tatbestandsmerkmal "Nennkapital" vergleichbarer Betrag zu entnehmen. Würde im Streitfall das Merkmal "Nennkapital" sinngemäß durch vorhandene Merkmale ersetzt, wäre das auf der Grundlage der Statuten der Klägerin letztlich willkürlich. Ein "Nennkapital" der Klägerin könnte sowohl als nicht vorhanden als auch in Höhe der gezahlten "Eintrittsgelder" angenommen werden.
Bei einer Gesamtbewertung der Statuten überwiegen die Merkmale reiner Mitgliedschaftsrechte. Die für eine Gliederungsrechnung erforderlichen Merkmale fehlen. Unter diesen Umständen können die Ausschüttungen der Klägerin bei den Mitgliedern nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen beurteilt werden.
d) Die Beurteilung der Mitgliedschaftsrechte als kapitalmäßige Beteiligung durch das FG bindet den Senat nicht (§ 118 Abs. 2 FGO). Zwar ist die Auslegung zivilrechtlicher Willenserklärungen grundsätzlich Gegenstand der das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanz. Im Streitfall ist jedoch der Inhalt der Willenserklärungen in den Statuten unstreitig. Zu entscheiden ist über die steuerrechtliche Rechtsfrage, ob diese Statuten dem einzelnen Mitglied eine "kapitalmäßige Beteiligung" im Sinne des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des § 20 Abs. 1 EStG vermitteln. Insoweit handelt es sich um die Auslegung von Bundesrecht und nicht um tatsächliche und das Revisionsgericht bindende Feststellungen.
4. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von den Entscheidungen des BFH in BFHE 74, 15, BStBl III 1962, 7, 8, und in BFHE 86, 548, BStBl III 1966, 579 ab.
In diesen Urteilen wurden die Ausschüttungen von Realgemeinden (Forstgenossenschaft bzw. Brau-Realgemeinde) als Kapitalerträge qualifiziert. Die Klägerin ist jedoch keine Realgemeinde. Realgemeinden sind Personalgesellschaften des älteren agrarwirtschaftlichen Genossenschaftsrechts, bei denen mit der Mitgliedschaft das Recht auf gemeinsame land- und forstwirtschaftliche Nutzung des Grund und Bodens (im Weg der Selbstbewirtschaftung) verbunden ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 31. Mai 1938, RStBl 1938, 736; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 20 EStG Rz. 145). Die Klägerin wurde jedoch nicht zur gemeinsamen Nutzung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens der Mitglieder gegründet, sondern "zur Verwaltung ihres (der Klägerin) Vermögens, ferner (zur) Wahrnehmung der Standes- und wirtschaftlichen Interessen der Ritterschaft als solcher und ihrer Mitglieder und der Erhaltung der Rittergüter in ihrem Bestande", also zu berufsständischen Zielen (vgl. oben Abschn. II Nr. 3 c). Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin einen landwirtschaftlichen Betrieb durch Verpachtung mittelbar selbst nutzt. Diese Aufgabe ist ihr zugewachsen und gehört nicht zu ihren ursprünglichen, satzungsmäßigen Zielen. Grundsätzlich werden dementsprechend die landwirtschaftlichen Betriebe der Mitglieder vom jeweiligen Eigentümer genutzt und verwaltet.
5. Sollten die Ausschüttungen der Klägerin bei ihren Mitgliedern als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft der Besteuerung unterliegen, kann sich --je nach der Verwendung der Mittel beim Mitglied-- eine Doppelbelastung ergeben. Sie wird vom Gesetzgeber jedenfalls dann hingenommen, wenn die ausschüttende Körperschaft --wie die Klägerin-- einem ermäßigten Körperschaftsteuersatz unterliegt (bis 1989: 50 v.H.; ab 1990 bis 1993: 46 v.H.; seit 1994: 42 v.H.; vgl. dazu: Stiftungsbericht der Bundesregierung, BTDrucks 8/3165, S.6 bis 8).
Fundstellen
Haufe-Index 65769 |
BFH/NV 1995, 51 |
BStBl II 1995, 552 |
BFHE 177, 86 |
BFHE 1996, 86 |
BB 1995, 1066 |
BB 1995, 1066-1069 (LT) |
DB 1995, 1111-1112 (LT) |
DStR 1995, 799-801 (KT)q |
DStZ 1995, 504-505 (KT) |
HFR 1995, 469-470 (LT) |
StE 1995, 331 (K) |