Leitsatz (amtlich)
Ein Gastwirt kann die bei ihm im Rahmen von Tanzveranstaltungen beschäftigten Kapellen nicht bereits deshalb als selbständige Unternehmen behandeln, weil deren Leiter eine vom Gastwirt gefertigte Erklärung unterschrieben hat, die Kapelle sei selbständig und komme für ihre steuerlichen Belange selbst auf.
Normenkette
EStG § 41; LStDV §§ 1, 30
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unterhält einen Gaststätten- und Kinobetrieb. Wie in den Jahren zuvor hielt sie auch in den Jahren 1968 bis 1970 an den Wochenenden regelmäßig Tanzveranstaltungen ab. Sie engagierte 15 bis 18 verschiedene Unterhaltungskapellen, Bands und Beatkapellen, die unter einem bestimmten Kapellennamen auftraten. Meistens hatte der Leiter bzw. der Bevollmächtigte der nebenberuflich auftretenden Kapellenmitglieder bei Empfangnahme der Gage eine von der Klägerin gefertigte Erklärung folgenden Inhalts unterschrieben:
"Unser Ensemble ... hat für den Auftritt am ... DM ... Gage erhalten. Wir sind ein selbständiges Unternehmen und kommen für die steuerlichen Belange selbst auf. Diese Regelung gilt für alle Auftritte, die bisher in der ... getätigt wurden.
... (Datum vom Tage des Auftritts)
...
Unterschrift."
Wurde die Erklärung unterschrieben, unterwarf die Klägerin die Vergütungen nicht der Lohnsteuer. Andernfalls führte sie hiervon die Lohnsteuer ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) sah in den Honoraren auch beim Unterschreiben der Erklärungen steuerpflichtigen Arbeitslohn. Er nahm daher die Klägerin als Haftungsschuldnerin für Lohn- und Kirchensteuer 1968 bis 1970 in Anspruch.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage statt. Es führte aus, die Kapellen, die bei der Klägerin aufgespielt hätten, seien als selbständige Unternehmen zu würdigen. Die von den Kapellenleitern abgegebenen Erklärungen, das Ensemble sei ein selbständiges Unternehmen und komme für die steuerlichen Belange selbst auf, seien im Streitfall von entscheidender Bedeutung. Es könne den Vertragsparteien auch in steuerlicher Hinsicht nicht verwehrt werden, ihre Rechtsverhältnisse so zu regeln, wie sie es wünschten. Ihr ausdrücklich erklärter Wille sei steuerrechtlich nur unbeachtlich, wenn die tatsächlichen Verhältnisse dem widersprächen. Das sei hier nicht der Fall. Für die Selbständigkeit der Kapellen spreche, daß ihre Mitglieder ein gewisses Risiko bei der Ausübung ihrer Tätigkeit getragen und die technischen Ausrüstungen sowie die Musikinstrumente gestellt hätten. Beschädigungen und Abnutzungen der Instrumente gingen zu ihren Lasten. Ihre qualifizierte Tätigkeit setze ein Üben und Proben außerhalb der einzelnen Auftritte voraus; sie könne nur im Zusammenwirken in der Kapelle zu einer vertragsgemäßen Leistung führen. Den plötzlichen Ausfall eines oder mehrerer Mitglieder mußten die Mitglieder der Kapelle gemeinsam tragen, weil Gegenstand der vertraglichen Leistung das Zusammenspiel eines bestimmten Klangkörpers sei, das in Zeitungsannoncen unter charakterisierenden Bezeichnungen dem Publikum angekündet worden sei. Auch ein mutwilliges Fernbleiben einzelner Kapellenmitglieder könne den Leistungserfolg der gesamten Kapelle und damit die Vergütung der arbeitsbereiten Mitglieder gefährden. Der Umstand, daß die Kapellen im Streitfall nicht gegenüber dem tanzlustigen Publikum als Vertragspartner aufgetreten seien, spreche nicht unbedingt gegen eine Selbständigkeit; denn entscheidend sei die Rechtsgestaltung zwischen der Kapelle und der Klägerin als Veranstalterin. Es sei der Klägerin als Geschäftspartnerin kaum möglich gewesen, genaue Auskünfte über die interne rechtliche Gestaltung der Kapellen einzuholen. Eine Informationspflicht des Vertragspartners lasse sich ohnehin schwerlich begründen. Sollte ein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und den Kapellenmitgliedern bestanden haben, so wäre es jedenfalls unbillig, die Klägerin für die Lohn- und Kirchensteuer haftbar zu machen. Sie habe versucht, die Dinge nach dem damaligen Informationsstand zu klären. Nach einer Besprechung des Urteils des BFH vom 2. Oktober 1968 VI R 323/67 (BFHE 94, 222, BStBl II 1969, 143) in Wetter-Barske, Leitsatzkartei der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1, Stichwort "Angestelltenverhältnis oder selbständiger Gewerbebetrieb", unter der laufenden Nr. 30) genüge es in Fällen der vorliegenden Art, wenn der mit den Musikern abgeschlossene Vertrag deren Stellung eindeutig festlege und nicht zuletzt die Frage der Versteuerung regele.
Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung der §§ 19 und 38 EStG. Es meint, nach der ständigen Rechtsprechung des BFH seien Musiker, die in einer Gaststätte zum Tanz aufspielten, in der Regel Arbeitnehmer des Gastwirts. Es könne im Streitfall nicht auf die für alle Musikkapellen einheitlich vorbereiteten Erklärungen abgestellt werden; die Kapelle sei ein selbständiges Unternehmen und komme für die steuerlichen Belange selbst auf. Die Erklärung enthalte Behauptungen, deren Richtigkeit nicht bewiesen sei. Die tatsächlichen Verhältnisse widersprächen den Erklärungen. Die Kapellen hätten in den Jahren 1968 bis 1970 keine entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen, wie z. B. Erklärungen zur einheitlichen Gewinnfeststellung abgegeben. Sie hätten erst im vorliegenden Rechtsmittelverfahren Aufstellungen über ihre Einnahmen vorgelegt. Das zeige, daß sie die damals abgegebenen Erklärungen nicht als bindend angesehen hätten. Verschiedene Musikkapellen hätten es abgelehnt, die vorgefertigten Erklärungen zu unterschreiben. Für ihre Vergütungen hätte die Klägerin Lohnsteuer abgeführt, obwohl keine Umstände ersichtlich seien, daß diese Kapellen unter anderen Bedingungen musiziert hätten. Die Klägerin habe sich durch die von ihr vorbereiteten Erklärungen lediglich Zeit und Arbeit sparen und das "Steuerproblem" auf die Musiker abwälzen wollen. Die Heranziehung der Klägerin als Haftungsschuldnerin verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Es sei zu berücksichtigen, daß das FA sonst 80 Musiker von 18 verschiedenen Kapellen hätte in Anspruch nehmen müssen. Bei fast allen Kapellen sei bis heute nicht geklärt, wie sich die Gagen auf die einzelnen Musiker verteilt hätten.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind in einer Gaststätte zum Tanz aufspielende Musiker regelmäßig auch dann Arbeitnehmer des Gastwirts, wenn sie nicht dauernd für ihn tätig sind (vgl. Urteile vom 11. Juni 1968 VI R 102/67, BFHE 93, 135, BStBl II 1968, 726; vom 2. Oktober 1968 VI R 233/67, BFHE 94, 215, BStBl II 1969, 142; vom 16. April 1971 VI R 153/68, BFHE 102, 370, BStBl II 1971, 656, und VI R 323/67). Maßgebend für diese Rechtsauffassung ist insbesondere die Erwägung, daß der Gastwirt der eigentliche Veranstalter ist und daß die Musiker von ihm im Rahmen seiner Veranstaltungen zur Befriedigung des Bedürfnisses der Gäste ebenso eingesetzt werden wie die Einrichtung der Gaststätte und deren Bedienungspersonal. Mögen die Musiker auch hinsichtlich der Ausführung ihrer Darbietungen keinen Weisungen unterliegen, so haben sie doch im übrigen den Anordnungen des Gastwirts zu folgen. Für den Gastwirt sind die Tanzveranstaltungen ein Teil seines Angebots an die Öffentlichkeit, mit dem er das interessierte Publikum anziehen und das Verzehrbedürfnis anregen will. Die Gäste sehen in den Tanzgelegenheiten eine wesentliche Leistung des Wirts, die sie für ihre Verzehrausgaben mitverlangen. Der Umstand, daß der Gastwirt nur mit dem Kapellenleiter verhandelt hat und letzterem die Zusammenstellung der Kapelle für die einzelnen Veranstaltungen, wie insbesondere die etwaige Beschaffung von Ersatzkräften, oblag, mißt der Senat keine Bedeutung bei; denn diese Form der Abwicklung geschah aus Vereinfachungsgründen und änderte nichts an den tatsächlichen Verhältnissen.
Ein Gastwirt kann nach der oben angeführten Rechtsprechung eine Kapelle nur dann als ein selbständiges Unternehmen ansehen, wenn es sich um ein Ensemble handelt, das unter einem bestimmten Namen weithin bekannt ist und das deshalb neben dem Gastwirt selbständig in Erscheinung tritt. Außerdem muß der gesellschaftliche Zusammenschluß solcher Kapellen durch das Vorliegen eindeutiger Abreden unter den Musikern und ein entsprechendes Auftreten nach außen dokumentiert sein. Die Kapellen müssen schließlich aus ihrer Selbständigkeit auch alle steuerlichen Konsequenzen gezogen haben, so vor allem Erklärungen zur einheitlichen Gewinnfeststellung beim zuständigen FA abgegeben haben.
Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil die Würdigung, die das FG dem Gesamtbild der Beziehungen zwischen der Klägerin und den Kapellen gibt, nicht der Lebenserfahrung und der auf ihr beruhenden Rechtsprechung des BFH entspricht. Die Umstände des Streitfalls stimmen im wesentlichen mit den Sachverhalten überein, die den oben angeführten Urteilen zugrunde liegen. Die Gründe, die der Senat dort für die Unselbständigkeit der nebenberuflich tätigen Musiker hervorgehoben hat, führen auch im Streitfall dazu, die Musiker als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen; denn der im Streitfall vorliegende Sachverhalt entspricht dem Üblichen.
Das FG mißt zu Unrecht den von der Klägerin gefertigten und den teilweise von den Leitern bzw. Bevollmächtigten der Kapellen unterzeichneten Erklärungen die Bedeutung bei, das Ensemble sei ein selbständiges Unternehmen und komme für seine steuerlichen Belange selbst auf. Ob eine Kapelle ein selbständiges Unternehmen ist oder nicht, kann bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich nicht durch derartige Erklärungen festgelegt werden. Entscheidend ist vielmehr - wie bereits ausgeführt - außer Vereinbarungen zwischen den Mitgliedern der Kapellen vor allem, daß ihr Name in der Öffentlichkeit weithin bekannt ist. Beide Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des FG im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin hatte sich insbesonders von den Unterhaltungskapellen, Bands und Beatkapellen keine gesellschaftlichen Vereinbarungen vorlegen lassen. Sie hätte die Kapellen dazu zwar nicht zwingen können. Sie hätte aber, wenn die Kapellen solche Unterlagen nicht vorlegten, die an sie zu zahlende Gage eben lohnversteuern müssen. Sie hätte sich im übrigen beim zuständigen FA erkundigen können und auch müssen, ob die Kapellen tatsächlich, wie sie behaupteten, ihre steuerlichen Belange selbst geregelt haben. Mit der Entgegennahme einer von ihr selbst vorgefertigten Erklärung, die Kapelle komme für die steuerlichen Belange auf, konnte sich die Klägerin nicht der ihr obliegenden gesetzlichen Pflicht (§ 41 Abs. 1 EStG) entledigen, die Lohnsteuer für die bei ihr tätigen Musiker einzubehalten und an das FA abzuführen. Sollte aus der Anmerkung zum BFH-Urteil VI R 323/67 in Wetter-Barske (a. a. O.) etwas anderes zu entnehmen sein, könnte der Senat dem nicht folgen.
Die Inanspruchnahme der Klägerin widersprach nicht den Grundsätzen von Recht und Billigkeit; denn bei Erlaß des Lohnsteuerhaftungsbescheides waren die Namen der etwa 80 Musiker, die 18 verschiedenen Kapellen angehörten, weder der Klägerin noch dem FA sämtlich bekannt. Die Klägerin hätte sich jederzeit an das FA wenden können, wenn sie Zweifel wegen der Lohnversteuerung ihrer Musikkapellen gehabt hätte. Der Erlaß des angefochtenen Haftungsbescheides war auch nicht im Hinblick auf die Bemerkung zum BFH-Urteil VI R 323/67 in Wetter-Barske (a. a. O.) unbillig, und zwar schon deshalb nicht, weil das FG nicht festgestellt hat, daß der Klägerin in den Streitjahren 1968 bis 1970 diese Urteilsbesprechung bekannt war.
Die Vorentscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA die Klägerin wegen der nicht abgeführten Lohnsteuer für die bei ihr in den Streitjahren 1968 bis 1970 tätig gewesenen Musiker durch Haftungsbescheid zu Recht in Anspruch genommen hat, war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71036 |
BStBl II 1974, 720 |
BFHE 1975, 235 |