Entscheidungsstichwort (Thema)

Historische Wertpapiere keine Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert

 

Leitsatz (NV)

1. Erfordernisse für die Anerkennung als Sammlungsstück ,,von geschichtlichem Wert" im zolltariflichen Sinne.

2. Sog. historische Wertpapiere sind keine Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert (1.).

 

Normenkette

GZT Tarifnr. 99.05; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1; Anl. Nr. 47

 

Tatbestand

Die Klägerin, die einen Handel mit (alten) Wertpapieren, Briefmarken und Münzen betreibt, ließ bei dem beklagten Hauptzollamt - HZA - mehrere Partien historischer Wertpapiere - graphisch gestaltete Urkunden, die kein Vermögensrecht mehr verbriefen, bis auf eine (nicht mehr im Streit befindliche) Ausnahme aus der Zeit der Jahrhundertwende oder dieses Jahrhunderts stammend - aus der Schweiz zum freien Verkehr abfertigen. Das HZA wies die Papiere der Tarifst. 49.11 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) - ,,andere" Drucke - zu und setzte Eingangsabgaben fest, darunter Einfuhrumsatzsteuer in Höhe des Regelsteuersatzes. Die nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klagen, zu deren Begründung die Klägerin geltend machte, es handele sich um zollfreie und einfuhrumsatzsteuerermäßigte Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert - Tarifnr. 99.05 GZT -, wurden im wesentlichen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie führt im wesentlichen aus, die eingeführten Wertpapiere hätten selbst nach dem der Vorentscheidung zugrundegelegten Maßstab geschichtlichen Wert. Sie seien unverzichtbare Dokumente des beginnenden Industriezeitalters und zeigten den immens gestiegenen Kapitalbedarf für verschiedene Entwicklungen auf. Ihr Wert hänge nicht vom Bestehen eines Sammlermarktes ab, sondern von ihrem Alter und davon, daß historische Interessen befriedigt würden. Soweit das FG ein ,,besonderes" geschichtliches Interesse fordere, sei dies durch den Tarifwortlaut nicht gedeckt. Auch historische Wertpapiere aus dem Zeitalter des Kapitalismus seien erfaßt; sie belegten die Geschichte der Weltwirtschaft und die verschiedenen Epochen des Kapitalismus. Die Forderung, daß es sich um nicht ohne weiteres ersetzbare Zeugen vergangener Zustände oder geschichtlicher Entwicklungen handeln müsse, stehe nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Das FG habe sich mit den vorgelegten Unterlagen - Aktien und Begleitmaterial - nicht auseinandergesetzt. Es erscheine zweifelhaft, ob das FG über ausreichende Sachkunde verfügt habe. Es hätte vielmehr - wie beantragt - ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Zur Verhinderung einer willkürlichen Ungleichbehandlung müsse im übrigen die für Briefmarken geltende Regelung analog auf historische Wertpapiere angewendet werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat, soweit es die Klage abgewiesen hat, rechtsfehlerfrei entschieden, daß es sich bei den eingeführten ,,historischen Wertpapieren" nicht um zollfreie und einfuhrumsatzsteuerermäßigte Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert i. S. v. Tarifnr. 99.05 GZT, § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage Nr. 47 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980 handelt.

Dabei ist das FG zutreffend von den vom EuGH (Urteile vom 10. Oktober 1985 Rs. 200/84 und 252/84, EuGHE 1985, 3377, 3388) zu Tarifnr. 99.05 entwickelten Auslegungsgrundsätzen ausgegangen, die auch der Senat in ständiger Rechtsprechung angewendet hat (im Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, und seither). Nach ihnen kann bereits zweifelhaft sein, ob die Wertpapiere im Hinblick auf ihre Anzahl, ihren Wert, aber auch auf die Art ihres Handels (zum Erfordernis des ,,Spezialhandels" Senat, Urteil vom 20. Oktober 1987 VII K 16, 21-23/87, BFHE 151, 266, 269 f.) das Begriffsmerkmal ,,Sammlungsstück" erfüllen. Das FG hat diese Frage jedoch offengelassen und entschieden, daß den Papieren jedenfalls kein geschichtlicher Wert zuzusprechen ist. Diese Entscheidung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Von geschichtlichem Wert sind Sammlungsstücke, die einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen (EuGH). Einen solchen Wert weist ein Gegenstand nicht schon im Hinblick auf sein Alter auf (Senat, Urteil vom 17. Oktober 1989 VII R 49/87, BFH/NV 1990, 407), das hier übrigens noch nicht einmal besonders bemerkenswert ist. Ein Sammlungsstück von geschichtlichem Wert muß vielmehr innerhalb eines bestimmt bezeichneten Rahmens einen charakteristischen Entwicklungsschritt belegen oder einen Entwicklungsabschnitt verdeutlichen. Soweit das FG erkannt hat, die Eignung, (auch) geschichtliche Interessen zu befriedigen, reiche nicht aus, in Betracht kämen vielmehr nur (beispielhaft angesprochene) Gegenstände, denen ein ,,besonderes geschichtliches Interesse" gelte, steht dies in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. insbesondere EuGHE 1985, 3388, 3394, Absatz 23 der Gründe) zum Begriff ,,geschichtlicher Wert" i. S. v. Tarifnr. 99.05. Zur Gewinnung dieses Auslegungsmaßstabs waren Sachverständige nicht hinzuzuziehen (BFHE 148, 90, 94); im übrigen stand die Hinzuziehung von Sachverständigen - von der Klägerin überdies nur beantragt zu der Frage, ob es sich ,,um Sammlungsstücke im Sinne der Entscheidung des FG . . . handele - im Ermessen der Vorinstanz (vgl. z. B. Senat, Urteil vom 6. Dezember 1988 VII R 43/86, BFH/NV 1989, 475 f.). § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist mithin nicht verletzt. Auch gegen § 96 FGO ist nicht verstoßen, denn das FG hat bei seiner Entscheidung ausweislich der Urteilsgründe (u. a. S. 4) die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen berücksichtigt. Die tatrichterliche Würdigung, daß bei Zugrundelegung des hier geltenden Auslegungsmaßstabs ,,historische Wertpapiere", wie von der Klägerin eingeführt, keinen geschichtlichen Wert hätten (so nunmehr auch FG Düsseldorf, Urteil vom 15. Februar 1989 15 K 200/84 U, EFG 1989, 318), ist vereinbar mit Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen, damit revisionsrechtlich unangreifbar; § 118 Abs. 2 FGO (vgl. z. B. BFHE 148, 90, 94 f.).

,,Briefmarken", im Bestimmungsland weder gültig noch zum Umlauf vorgesehen - Tarifnr. 99.04 GZT (zollfrei; einfuhrumsatzsteuerermäßigt nach UStG 1980 Anlage Nr. 43 Buchst. f, der auch für Briefmarken der Tarifst. 49.07 A gilt) - liegen nicht vor. Es ist ausgeschlossen, diese Tarifvorschrift entgegen ihrem Wortlaut auf andere Erzeugnisse anzuwenden (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18. März 1986 Rs. 58/85, EuGHE 1986, 1131, 1145 - Zollaussetzung). Hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer scheidet eine - nur - an den für die Aufstellung des Katalogs in der Anlage zum UStG 1980 maßgebenden normkonzipierenden Grundsätzen orientierte Auslegung aus (Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342 f., BStBl II 1990, 760), selbst wenn diese Grundsätze, wie die Revision anscheinend meint, eine steuerliche Begünstigung auch historischer Wertpapiere nahelegen sollten. Die Frage, ob das HZA schon aufgrund einer Bindung an die der Klägerin erteilte verbindliche Zolltarifauskunft wie geschehen hätte tarifieren müssen, stellt sich nicht. Auch dies hat das FG richtig entschieden.

Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH ist nicht veranlaßt, da an der Tarifierung der Wertpapiere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH keine Zweifel bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417683

BFH/NV 1992, 71

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