Entscheidungsstichwort (Thema)
Stundbarkeit und Verrechnungsstundung von Lohnsteuer - Typisierende Verwaltungsvorschriften für Ermessenentscheidungen
Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörden eine Stundung von Lohnsteuer ablehnen, die wegen des Vorliegens eines Erstattungsanspruchs beantragt worden ist (keine Übertragung der zu § 127 AO ergangenen Rechtsprechung in dem Urteil vom 8.Februar 1957 VI 141/56 S, BFHE 65, 251, BStBl III 1957, 329 auf § 222 AO 1977).
Orientierungssatz
1. Der Anspruch des Steuergläubigers gegen den Arbeitnehmer als den Schuldner der Lohnsteuer ist ein Steueranspruch, der grundsätzlich stundbar ist (Ausführungen zur technischen Durchführung der Stundung). Dabei erscheint es zumindest zweifelhaft, ob es ausreichende sachliche Gründe für eine gesetzliche Regelung gäbe, die die Stundung generell auch für die relativ seltenen Fälle der erheblichen Härte aus persönlichen Gründen ausschlösse. Es wäre aber nicht zu beanstanden, wenn sie generell bei Vorliegen solcher Sachverhalte abgelehnt würde, die bereits vom Regelungsbereich des § 39a EStG erfaßt werden (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
2. Die Verwaltung ist in geeigneten Fällen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen der nachgeordneten Behörden lenken und binden (hier: keine Lohnsteuerstundung bei Vorhandensein eines Steuererstattungsanspruchs; vgl. BVerfG-Beschluß vom 12.5.1987 2 BvR 1226/83, 101, 313/84). Derartige typisierende Verwaltungsvorschriften hinsichtlich der Ablehnung einer Verrechnungsstundung hielten sich innerhalb der Grenzen des § 102 FGO.
Normenkette
AO 1977 § 3 Abs. 1, § 37 Abs. 1-2, §§ 43, 222; EStG § 38 Abs. 2-3, § 39a; FGO § 102; AO § 127; AO 1977 § 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Jahre 1986 als Arbeitnehmer beschäftigt. Aus dem Arbeitsverhältnis behielt der Arbeitgeber die Lohnsteuer ein und führte sie an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) ab. Mit Schreiben vom 25.August 1986 beantragte der Kläger beim FA, ab Abrechnungszeitraum Oktober 1986 die von ihm geschuldete Lohnsteuer bis zur Höhe von 1 600 DM zu stunden und seinen Arbeitgeber zu veranlassen, die gestundete Lohnsteuer auszuzahlen. Zur Begründung führte er an, er erwarte aus der Einkommensteuerveranlagung 1985 eine Erstattung in mindestens dieser Höhe. Weiter erklärte er die Aufrechnung seines Erstattungsanspruchs aus der Einkommensteuer 1985 mit der von ihm in den nächsten Monaten gestundeten Lohnsteuer bis zur Höhe von 1 600 DM.
Das FA lehnte den Antrag mit Schreiben vom 12.November 1986 ab und teilte dem Kläger mit, seine Einkommensteuererklärung für 1985 sei bereits bearbeitet worden und der Steuerbescheid gehe ihm in den nächsten Tagen zu. Somit lägen sachliche Gründe für eine Stundung nicht vor. Persönliche Gründe seien weder aus der Aktenlage ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden. Darüber hinaus könne das FA nicht einem Arbeitnehmer die Lohnsteuer in der Form stunden, daß es den Arbeitgeber anweise, von einem Steuerabzug zunächst abzusehen, sich dabei aber vorbehalte, den Arbeitnehmer später im Wege der Veranlagung heranzuziehen. Der vermeintliche Stundungsantrag betreffe nicht einen Zahlungsanspruch, sondern solle das FA veranlassen, ein im Gesetz nicht vorgesehenes Steuererhebungsverfahren anzuordnen.
Am 14.November 1986 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für 1985, aus dem sich für den Kläger eine Erstattung in Höhe von ca. 1 600 DM Einkommensteuer ergab.
Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde gegen die Ablehnung der Stundung als unbegründet zurück.
Mit der Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß die Ablehnung der beantragten Stundung durch den Bescheid des FA vom 12.November 1986 in der Form des Beschwerdebescheides der OFD rechtswidrig gewesen sei und ihn in seinen Rechten verletzt habe.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Stundung oder Aussetzung der Vollziehung sei in §§ 38a ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgesehen. Die speziellen Regelungen des EStG über den Lohnsteuerabzug gingen den §§ 222, 226 der Abgabenordnung (AO 1977) vor. Die insoweit in der AO 1977 vorgesehenen Maßnahmen widersprächen dem gesetzlichen Aufbau des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Das FG schließe sich insoweit uneingeschränkt dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8.Februar 1957 VI 141/56 S (BFHE 65, 251, BStBl III 1957, 329) an.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision vor: Die Lohnsteuer stelle einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs.1 AO 1977 dar. Dieser Anspruch des FA entstehe gemäß § 38 Abs.2 EStG mit dem Zufluß des Arbeitslohnes beim Arbeitnehmer. Er könne gemäß § 222 AO 1977 gestundet werden.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und seinem Klageantrag stattzugeben, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs.2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten und macht geltend: Zwar sei nach dem Gesetzeswortlaut die Stundung im Lohnsteuerverfahren nicht gänzlich ausgeschlossen. Aber selbst wenn die einzubehaltende Lohnsteuer ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 222 AO 1977 wäre, ergäbe sich der Ausschluß der Stundung aus den Sondervorschriften des EStG über den Steuerabzug.
Daß die persönlichen Verhältnisse unbeachtlich seien, zeige auch ein Vergleich mit anderen Steuern, die in einem Abzugsverfahren erhoben würden. Soweit bei der Kapitalertragsteuer im Rahmen einer sog. Nichtveranlagungsbescheinigung in gewissem Umfang die persönlichen Verhältnisse des Steuerschuldners berücksichtigt würden (§ 44b Abs.1 EStG), führe dies allenfalls zur Erstattung der im Abzugsverfahren erhobenen Steuer durch das Bundesamt für Finanzen. Der Ausschluß der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse gelte auch für das Abzugsverfahren nach § 50a EStG. Soweit im Gesetzgebungsverfahren zu § 50a Abs.4 EStG die Anwendung der Billigkeitsregelungen nach der AO 1977 angesprochen worden sei (BTDrucks 10/4513 S.60), handele es sich um selten auftretende Fallgestaltungen, in denen durch die Abzugsbesteuerung eine konfiskatorische Wirkung eintrete, ohne daß die Möglichkeit einer Korrektur eröffnet werde. Auch bei dem ab 1993 geltenden Zinsabschlag könne bei natürlichen Personen nur aufgrund einer NV-Bescheinigung oder eines Freistellungsauftrages vom Steuerabzug Abstand genommen werden. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß immer dann, wenn der Gesetzgeber sich dazu entschließe, einen Steuerabzug an der Quelle durchzuführen, die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse des Steuerpflichtigen ausgeschlossen werde. Somit sei eine Steuerstundung aus persönlichen oder sachlichen Gründen auszuschließen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
1. Nach § 222 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.1 AO 1977) stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.
Die Frage, ob die Lohnsteuer überhaupt gestundet werden kann, ist in dem zu § 127 AO ergangenen Urteil in BFHE 65, 251, BStBl III 1957, 329, auf das sich das FG gestützt hat, grundsätzlich verneint worden. § 127 AO setze einen Zahlungsanspruch voraus und ein solcher sei nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer noch nicht einbehalten habe. Ob diese zu der Stundung nach § 127 AO vertretene Rechtsansicht zwingend war, kann offenbleiben.
a) Denn der im Streitfall anwendbare § 222 AO 1977 setzt nach seinem Wortlaut keinen Zahlungsanspruch, sondern einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.1 AO 1977) voraus. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehört u.a. der Steueranspruch. Der Anspruch des Steuergläubigers (§ 43 AO 1977) gegen den Arbeitnehmer als den Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs.2 Satz 1 EStG) ist ein Steueranspruch. Er ist --wie § 3 Abs.1 AO 1977 es für einen Steueranspruch erfordert-- auf eine Geldleistung gerichtet. Denn die Lohnsteuer ist vom Arbeitgeber für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten (§ 38 Abs.3 Satz 1 EStG). Der Anspruch des Steuergläubigers auf die Lohnsteuer, die in § 38 Abs.1 Satz 1 EStG als die durch Abzug vom Arbeitslohn erhobene Einkommensteuer definiert und ihrer Rechtsnatur nach als Vorauszahlung auf die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer anzusehen ist, ist damit nach dem Wortlaut der Vorschrift grundsätzlich stundbar. Weder die AO 1977 noch das EStG enthalten ausdrückliche Vorschriften darüber, daß der Lohnsteueranspruch abweichend von der in § 37 Abs.1 EStG, § 222 AO 1977 getroffenen allgemeinen Regelung von vornherein einer Stundung nicht zugänglich ist. Daß die Lohnsteuer grundsätzlich stundbar ist, ist auch die überwiegende Meinung im Schrifttum (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 222 AO 1977 Tz.11 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, § 222 AO 1977 Tz.2; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 38 Anm.7; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 38 Rdnr.C 10; von Groll, Zur Rechtsverwirklichung im Lohnsteuerverfahren, in Stolterfoht --Herausgeber--, Grundfragen des Lohnsteuerrechts, DStJG 9 --1986--, S.431, 448; Brockhoff, Der Betrieb --DB-- 1978, 906, und DB 1979, 471; Schick, Betriebs-Berater --BB-- 1984, 733; Carl, DB 1988, 826; Schuhmann, BB 1985, 184, 186; ablehnend: Gerber, DB 1979, 471).
b) Der die Lohnsteuer umfassende Wortlaut des § 222 AO 1977 ist entgegen der Meinung des BMF auch nicht unter Berücksichtigung der das Lohnsteuerabzugsverfahren betreffenden Regelungen des EStG restriktiv dahin auszulegen, daß die Lohnsteuer nicht erfaßt wird. Allein der Umstand, daß das EStG keine ausdrücklichen Vorschriften über die Durchführung der Stundung von Lohnsteuer enthält, läßt nicht den Rückschluß zu, eine Stundung von Lohnsteuer sei bereits ihrer Rechtsnatur nach nicht möglich. Das vom BMF für die generelle Unzulässigkeit der Stundung von Lohnsteuer angeführte Argument, die Verwaltung könne den Arbeitgeber ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschriften nicht zusätzlich belasten und ihm wegen fehlender Rechtsgrundlage die Führung eines im Falle der Stundung erforderlichen Verrechnungskontos nicht ansinnen, wäre immer dann nicht durchgreifend, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht dem Arbeitnehmer gegenüber einer entsprechenden Stundungsanordnung der Finanzbehörden freiwillig Folge leisten würde. Auf jeden Fall wäre die Durchführung der Stundung technisch ohne weiteres in der Weise möglich, daß der Arbeitnehmer eine Bescheinigung seines Arbeitgebers über die jeweils einbehaltene und für seine Rechnung abgeführte Lohnsteuer vorlegt und das Wohnsitz-FA dem Arbeitnehmer die Steuer sodann gemäß § 37 Abs.2 AO 1977 erstattet. Die Ausstellung einer derartigen Bescheinigung ist für den Arbeitgeber mit einem geringen Aufwand verbunden. Entsprechende Aufzeichnungen sind wegen der am Jahresende oder bei Beendigung der Beschäftigung auszufüllenden Lohnsteuerkarte ohnehin erforderlich (vgl. § 41, § 41b EStG). Dieses Verfahren hätte außerdem den Vorzug, daß die Finanzbehörden jederzeit einen Überblick über den jeweiligen Zahlungsstand hätten und somit auch die Stundungszinsen (§ 234 AO 1977) ohne weiteres berechnen könnten.
Kann die Stundung von Lohnsteuer technisch jedenfalls im Wege der Steuererstattung (§ 37 Abs.2 AO 1977) durchgeführt werden, so sind auch keine sonstigen Gründe dafür ersichtlich, den Wortlaut des § 222 AO 1977 restriktiv dahin auszulegen, daß die Lohnsteuer bereits ihrer Rechtsnatur nach grundsätzlich nicht gestundet werden kann. Der Senat vermag keine Anhaltspunkte für eine gesetzliche Wertung des Inhalts zu erkennen, daß abweichend von der Rechtslage, die bei der durch Vorauszahlungen gemäß § 37 EStG erhobenen Einkommensteuer gegeben ist, eine Stundung von Lohnsteuer selbst dann unzulässig sein soll, wenn gewichtige persönliche Umstände eines Einzelfalles dies rechtfertigen und die Stundung nicht mit solchen --sachlichen-- Gründen begehrt wird, die nach der gesetzgeberischen Willensentscheidung im Interesse der Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen sind. Gerade die vom BMF aufgezeigten rechtlichen Verhältnisse bei anderen Abzugssteuern lassen erkennen, daß persönliche Umstände nicht generell und ausnahmslos unberücksichtigt bleiben sollen.
Im übrigen wäre auch fraglich, ob eine Regelung, nach der die Lohnsteuer generell und für alle denkbaren Sachverhalte von der Stundung ausgenommen wäre, verfassungsrechtlich unbedenklich wäre. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Senats das Lohnsteuerabzugsverfahren eine unverzichtbare Form der Steuererhebung bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Wegen des unbestreitbaren Typisierungsbedürfnisses des Steuerrechts ist es auch verfassungsrechtlich zulässig, daß das EStG mehrere Einkunftsarten unterscheidet und daran unterschiedliche Regelungen knüpft. Diese müssen aber ihre Rechtfertigung --wenn auch in typisierender und generalisierender Weise-- in sachlichen Gründen haben. Die systematische Unterscheidung durch den Gesetzgeber kann für sich allein die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen (vgl. Beschluß des BVerfG vom 8.Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 363 f.). Danach erscheint es zumindest zweifelhaft, ob es ausreichende sachliche Gründe für eine gesetzliche Regelung gäbe, die die Stundung von Lohnsteuer generell auch für die relativ seltenen Fälle der erheblichen Härte aus persönlichen Gründen ausschlösse.
2. Ist danach die Lohnsteuer nicht von vornherein aus dem Regelungsbereich des § 222 AO 1977 herausgenommen, so ist eine einheitliche Ermessensentscheidung (vgl. BFH-Beschluß vom 5. und 13.Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587; BFH-Urteil vom 7.März 1985 IV R 161/81, BFHE 143, 397, BStBl II 1985, 449) darüber zu treffen, ob eine die Stundung rechtfertigende erhebliche Härte für den Schuldner vorliegt. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung über die Stundung könnte es indessen wegen der Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens nicht beanstandet werden, wenn die Finanzverwaltung das ihr zustehende Ermessen der nachgeordneten Behörden durch Verwaltungsvorschriften typisierend und generalisierend dahin lenken und binden würde, daß das Vorhandensein eines Steuererstattungsanspruchs eine Stundung von Lohnsteuer nicht rechtfertigt. Die Verwaltung ist in geeigneten Fällen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen der nachgeordneten Behörden lenken und binden (vgl. Beschluß des BVerfG vom 12.Mai 1987 2 BvR 1226/83, 101, 313/84, BVerfGE 76, Nr.1, 76 f.). Eine Verwaltungsvorschrift, die das Ermessen für den Fall der Verrechnungsstundung von Lohnsteuer typisierend dahin binden würde, daß die Stundung abzulehnen ist, hielte sich innerhalb der Grenzen des § 102 FGO.
a) Zwar hat der BFH in dem Urteil vom 6.Oktober 1982 I R 98/81 (BFHE 138, 1, BStBl II 1983, 397) entschieden, daß eine Stundungsablehnung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreite, wenn dem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ein Erstattungsanspruch gegenüberstehe, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehe und in absehbarer Zeit fällig werde. Dieser Auffassung ist grundsätzlich beizupflichten. Sie kann naturgemäß aber nicht für solche Fälle des Lohnsteuerabzugsverfahrens zutreffen, in denen nach der gesetzlichen Wertentscheidung aus sachlichen Gründen von erheblichem Gewicht gewisse Überschneidungen von Steuererstattungsanspruch und Leistungspflicht hinzunehmen und mithin aus der Sicht des Gesetzgebers nicht unbillig sind.
aa) Soweit ein Erstattungsanspruch darauf beruht, daß der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Eintragung eines Freibetrages auf seiner Lohnsteuerkarte nach § 39a EStG keinen Gebrauch gemacht hat, entspricht seine Vorleistung der Intention des Gesetzgebers und kann folglich nicht als sachlich unbillig gewertet werden (vgl. Trzaskalik, a.a.O., § 38 Rndr.C 11).
bb) Aber auch in solchen Fällen, in denen der Arbeitnehmer die Möglichkeiten der Eintragung von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte nach § 39a EStG genutzt und sich gleichwohl ein Erstattungsanspruch ergeben hat, wäre die Einbehaltung der auf den laufend ausgezahlten Lohn entfallenden Lohnsteuer und die Ablehnung einer Verrechnungsstundung nicht ermessensfehlerhaft, sondern rechtmäßig. Denn diese Überschneidung ist vom Gesetzgeber erkannt worden und nach seiner Wertung im Interesse der Funktionsfähigkeit der Verwaltung hinzunehmen. Indem der Gesetzgeber in § 25 EStG grundsätzlich die Veranlagung vorschreibt, geht er davon aus, daß die einbehaltene Lohnsteuer in der Regel nicht der Jahressteuerschuld entspricht und sich mithin in einer Vielzahl von Fällen Erstattungsansprüche ergeben. Die durch den Steuerabzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) vom Gesetzgeber bezweckte Vereinfachung der Steuererhebung würde aber unterlaufen und die Funktionsfähigkeit der Verwaltung in einem Massenverfahren wäre beeinträchtigt, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitnehmer jeweils nach Einreichung der Einkommensteuererklärung im Hinblick auf den errechneten Erstattungsanspruch (§ 37 Abs.2 AO 1977) eine Stundung der laufenden Lohnsteuer beantragen würde. Zu dem mit dem Lohnsteuerabzugsverfahren verfolgten und aus den Regelungen des EStG ersichtlichen Zweck, die Verwaltung in Massenverfahren von Verwaltungsarbeit zu entlasten, verhielte es sich gegenläufig, wenn das Vorhandensein eines Erstattungsanspruchs die Verwaltung veranlassen müßte, die Lohnsteuer jeweils für einen relativ kurzen Zeitraum zu stunden.
b) Eine typisierende Ermessensentscheidung des Inhalts, daß die Stundung von Lohnsteuer, die wegen eines Erstattungsanspruchs beantragt wird, abzulehnen sei, erscheint auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Das BVerfG hat verwaltungstechnische Gründe als geeignet angesehen, die unterschiedliche Behandlung an sich vergleichbarer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sachverhalte zu rechtfertigen. Allerdings sei erforderlich, daß bei einer Gleichbehandlung erhebliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten entstünden, die nicht durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen behoben werden könnten (BVerfGE 84, 348, 363 f.). Die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten im Falle der Verrechnungsstundung schätzt der Senat wegen der nach der glaubhaften Darstellung des BMF zu erwartenden hohen Fallzahl --anders als bei einer aus Gründen der persönlichen Härte beantragten Stundung wegen der dort zu erwartenden geringen Anzahl von Fällen-- als erheblich ein. Demgegenüber ist der Nachteil eines Steuerpflichtigen, der in der Versagung der Stundung der Lohnsteuer für die Zeit zwischen Einreichen einer Steuererklärung und Auszahlung des Erstattungsbetrages liegt, als verhältnismäßig gering zu bewerten. Soweit der Steuerpflichtige von der Eintragung von Freibeträgen (§ 39a EStG) keinen Gebrauch gemacht hat, hat er die daraus resultierenden Nachteile selbst zu vertreten. Im übrigen war der kurzfristige Nachteil, der dem Arbeitnehmer durch die Versagung der Stundung wegen eines Erstattungsanspruchs entsteht, für das Streitjahr 1986 auch durch den Arbeitnehmer- und Weihnachtsfreibetrag (§ 19 Abs.3 und 4 EStG) abgegolten. Für die Zeit ab September 1992 wird der Nachteil, der durch die Versagung einer Verrechnungsstundung eintritt, durch die Ausweitung des Ermäßigungsverfahrens auf alle Verluste aus Vermietung und Verpachtung sowie auf sämtliche Einkunftsarten (vgl. BMF-Schreiben vom 8.September 1992, BStBl I 1992, 527; s. auch Erlaß des niedersächsischen Finanzministers vom 21.Januar 1993, DB 1993, 353) abgemildert.
3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die im Streitfall vom FA erklärte Ablehnung der Stundung nicht zu beanstanden (§ 102 FGO). Die in der ablehnenden Entscheidung kumulativ dargelegte Rechtsansicht des FA, die Lohnsteuer sei grundsätzlich nicht stundbar, weil sie keinen Zahlungsanspruch betreffe, ändert nichts daran, daß das FA primär eine Stundung aus sachlichen Gründen unter Hinweis auf die durchgeführte Veranlagung und eine Stundung aus persönlichen Gründen deshalb abgelehnt hat, weil sich solche Gründe weder aus den Akten ergäben noch geltend gemacht worden seien. Das FA hat damit das ihm zustehende einheitliche Ermessen --ungeachtet der zusätzlich geäußerten Rechtsansicht, daß die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer derartigen Ermessensausübung nicht vorliegen-- tatsächlich ausgeübt. Es liegt damit nicht der Fall einer Ermessensunterschreitung vor.
Soweit die Stundung aus sachlichen Gründen deswegen abgelehnt worden ist, weil die Einkommensteuererklärung bearbeitet worden sei und der Bescheid in den nächsten Tagen zugehe, ist dies schon im Hinblick darauf nicht ermessensfehlerhaft, daß es der Behörde sogar erlaubt gewesen wäre, eine sog. Verrechnungsstundung generell und ohne weiteres Eingehen auf die Umstände des Einzelfalles deshalb zu versagen, weil sie sich gegenläufig zu der Vereinfachung der Steuererhebung verhält, die der Gesetzgeber mit den in §§ 38 ff. EStG getroffenen Regelungen über den Steuerabzug vom Arbeitslohn angestrebt hat.
Die Ablehnung der Stundung wegen fehlender persönlicher Gründe stößt ebenfalls auf keine Bedenken. Denn der Kläger hat im Streitfall Gründe für eine persönliche Härte überhaupt nicht vorgetragen. Im übrigen kommt eine Stundung aus persönlichen Gründen nur in seltenen Einzelfällen in Betracht. Es wäre außerdem nicht zu beanstanden, wenn sie ebenfalls generell bei Vorliegen solcher Sachverhalte abgelehnt würde, die bereits vom Regelungsbereich des § 39a EStG erfaßt werden. Es könnte nämlich nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden, wenn die Finanzverwaltung dem Stundungsantrag eines Arbeitnehmers, der sich selbst nicht der Mühe unterziehen will, Freibeträge auf seiner Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen, im Wege der typisierenden Ermessensabwägung ihren eigenen erhöhten Verwaltungsaufwand bei einer Stundung von Lohnsteuer entgegenhielte.
Fundstellen
Haufe-Index 64618 |
BFH/NV 1993, 37 |
BStBl II 1993, 479 |
BFHE 170, 436 |
BFHE 1993, 436 |
BB 1993, 1933 |
BB 1993, 1933-1935 (LT) |
DB 1993, 2215 (L) |
DStR 1993, 721 (KT) |
DStZ 1993, 411 (KT) |
HFR 1993, 365 (KT) |
StE 1993, 272 (K) |