Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
ärztliche Hilfeleistungen im Sinne des § 4 Ziff. 11 UStG müssen nicht immer Erkrankungsfälle zur Voraussetzung haben; in manchen Fällen gehören Reihenuntersuchungen, die ärzte bei durch bestimmte Krankheiten gefährdeten Personen vornehmen, ebenfalls zu den ärztlichen Hilfeleistungen.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 11, § 4/14; UStDB § 39 Ziff. 3
Tatbestand
Der Steuerpflichtige ist Leiter einer von der Berufsgenossenschaft eingerichteten Fürsorgestelle. Er untersucht in gewissen Zeitabständen reihenweise die im Bergbau beschäftigen und überdies die neu einzustellenden Arbeitnehmer auf das Vorhandensein von Staublunge oder auf die Veranlagung dazu. Streitig ist, ob der Steuerpflichtige wegen der Entgelte, die er für seine Tätigkeit im Jahre 1951 von der Berufsgenossenschaft erhalten hat, zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist, oder ob insoweit die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eingreift. Das Finanzgericht hat der Sprungberufung des Steuerpflichtigen stattgegeben, weil alle Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorlägen. Insbesondere stelle die Tätigkeit des Steuerpflichtigen eine ärztliche Hilfeleistung dar. Nach der Rechtsprechung müsse die Tätigkeit verordnender oder ausführender Art sein und die Milderung oder Beseitigung eines Erkrankungszustandes bezwecken, um als ärztliche Hilfeleistung anerkannt werden zu können. Bei der Art der Krankheit, um die es sich hier handle und deren Behandlung gerade in der Vorbeugung liege, sei aber jede Untersuchung eine ärztliche, dem Versicherten unmittelbar zugute kommende Hilfeleistung.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Vorsteher des Finanzamts im wesentlichen geltend, die Untersuchungen dienten der Vorbeugung der Erkrankung bei Bergleuten, die durch die Krankheit gefährdet seien. Von ärztlicher Hilfeleistung könne man aber erst bei tatsächlich erkrankten Personen sprechen. Bloße überwachungsmaßnahmen fielen nicht unter § 4 Ziff. 11 UStG.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung des Falles ergibt folgendes:
§ 4 Ziff. 11 UStG befreit von der Umsatzsteuer die Entgelte für ärztliche und ähnliche Hilfeleistungen ..., soweit Entgelte dafür von den reichsgestzlichen Versicherungsträgern ... zu zahlen sind. § 38 Ziff. 3 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1938 und die gleichlautende Vorschrift in § 39 Ziff. 3 UStDB 1951 bestimmen, daß in der Sozialversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Fürsorge die Umsätze an die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung steuerfrei sind, soweit damit deren Verpflichtung aus einem Versicherungsverhältnis oder eine auf Gesetz beruhende Verpflichtung gegenüber einem Versorgungsberechtigten erfüllt wird. Mit Recht hat das Finanzgericht festgestellt, daß eine gesetzliche Grundlage und Verpflichtung der Berufsgenossenschaft für ihre Fürsorgetätigkeit besteht; denn nach § 545 der Reichsversicherungsordnung (RVersO) gelten die für die Unfallversicherung maßgeblichen Vorschriften auch für die durch Verordnung als Berufskrankheiten bezeichneten Krankheiten, gleichgültig, ob die Erkrankung durch eine Unfall oder ohne Unfall eingetreten ist. Die im Jahre 1951 geltende Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten hat die Fassung der Vierten Verordnung vom 29. Januar 1943 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 85), die durch ihren § 1 Ziff. 1 dem § 5 Abs. 1 der Verordnung vom 16. Dezember 1936 (RGBl. I S. 1117) die folgende Fassung gegeben hat:
"Besteht für einen Versicherten bei einer Weiterbeschäftigung in dem Unternehmen die Gefahr, daß eine Berufskrankheit entstehen, wiederentstehen oder sich verschlimmern wird, so soll der Versicherungsträger
ihm nötigenfalls Krankenbehandlung gewähren,
ihn zur Unterlassung der gefährlichen Beschäftigung anhalten ....".
Nach § 2 Ziff. 6 der Verordnung vom 29. Januar 1943 ist die Staublungenerkrankung eine Berufskrankheit.
Es trifft zu, daß man unter ärztlicher Hilfeleistung bisher nur die unmittelbare Heilbehandlung eines Kranken durch einen Arzt verstanden hat (so die Urteile des Reichsfinanzhofs V A 270/21 vom 30. Juni 1922, Slg. Bd. 10 S. 181 = Reichssteuerblatt - RStBl. - 1922 S. 314; V A 1048/30 vom 24. April 1931, RStBl. 1931 S. 367; V A 560/32 vom 15. Juli 1932, Slg. Bd. 31 S. 344 = RStBl. 1933 S. 282; Kommentar zum Umsatzsteuergesetz von Koch-Wirckau-Sölch-Ringleb, 5. Aufl. 1952 S. 253, Bem. 2 a zu § 4 Ziff. 1). Ausgangspunkt dafür war die Fassung des § 122 RVersO, der von "ärztlicher Behandlung" spricht. Als ärztliche Behandlung hat man dabei, dem Kommentar zur Reichsversicherungsordnung von Stier-Somlo in Anm. 2 zu § 122 folgend, eine von einem Arzt ausgehende Tätigkeit verordnender oder ausführender Art verstanden, die eine Milderung oder eine Beseitigung eines Krankheitszustandes bezweckt. Danach müsse der Arzt also unmittelbar heilend auf den Krankheitsprozeß einwirken.
Das trifft bei allen Erkrankungen zu, die durch einen Unfall verursacht worden sind. Der Unfallverletzte ist infolge der Verletzung krank und bedarf der Behandlung. Jede ärztliche Hilfeleistung (ß 4 Ziff. 11 UStG) ist hier zwangsläufig auch eine ärztliche Behandlung (ß 122 R-VersO), die eine Milderung oder Beseitigung des Krankheitszustandes bezweckt. Gleiches gilt bei den Berufserkrankungen. Auch hier ist jede ärztliche Hilfeleistung gleichzeitig eine ärztliche Behandlung, mag die Berufserkrankung durch einen Unfall hervorgerufen worden sein oder nicht. Dadurch aber, daß § 5 der Verordnung vom 16. Dezember 1936 in der Fassung der Verordnung vom 29. Januar 1943 bestimmt hat, daß der Versicherungsträger auch einzugreifen hat, wenn für einen Versicherten bei einer Weiterbeschäftigung die Gefahr für die Entstehung einer Krankheit vorhanden ist, können die Begriffe "ärztliche Behandlung" und "ärztliche Hilfeleistung" eine verschiedene Bedeutung bekommen. Wenn es sich um die Verhütung von Erkrankungen handelt, braucht eine Erkrankung nicht schon eingetreten zu sein. Die Reihenuntersuchungen, die der Steuerpflichtige zur Vorbeugung von Staublungen-Krankheitsfällen durchgeführt hat, stellen zwar keine ärztliche Behandlung dar, weil zunächst noch kein Erkrankter festgestellt war, sie sind aber ärztlicher Hilfeleistung im Sinne des § 4 Ziff. 11 UStG, auch wenn der Steuerpflichtige die weitere Behandlung eines von ihm als erkrankt festgestellten Arbeitnehmers nicht übernimmt, oder wenn jahrelang bei den Untersuchungen kein einziger Erkrankungsfall festgestellt werden sollte. Dabei kommt die Reihenuntersuchung ebenfalls jedem einzelnen Untersuchten unmittelbar zugute.
Die vorersichtlichen Ausführungen beziehen sich aber nur auf die in dem gefährdenden Berufe bereits beschäftigten Arbeitnehmer. Bei den Untersuchungen der erst neu einzustellenden Arbeitnehmer liegt eine gutachtliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen vor. Insoweit besteht für ihn Umsatzsteuerpflicht. Da noch nicht festgestellt ist, wieviel von den 8.299 DM betragenden Umsätzen des Steuerpflichtigen auf diese Gutachtertätigkeit entfällt, ist die Vorentscheidung aufzuheben und der Fall an das Finanzgericht zur Vornahme der hiernach noch erforderlichen Ermittlungen zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 407997 |
BStBl III 1954, 364 |
BFHE 1955, 400 |
BFHE 59, 400 |