Entscheidungsstichwort (Thema)
Juristischer Vorbereitungsdienst als Berufsausbildung
Leitsatz (NV)
Der juristische Vorbereitungsdienst gehört zur Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht.
Normenkette
GG Art. 3, 6; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter der im Jahr 1974 geborenen D. D studierte zunächst an der Universität … Rechtswissenschaft. Am 15. Februar 2000 bestand sie die Erste Juristische Staatsprüfung; zum 1. April 2000 nahm sie ein Studium der Politikwissenschaften und der Neuen und Mittleren Geschichte auf und ab dem 1. Mai 2000 absolvierte sie ihren juristischen Vorbereitungsdienst. D erzielte im Jahr 2000 aus ihrer Tätigkeit als Rechtsreferendarin Einkünfte in Höhe von --nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrages-- rd. 18 000 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob mit Bescheid vom 14. Dezember 2000 die Kindergeldfestsetzung für D rückwirkend ab Januar 2000 auf und forderte das danach für die Monate Januar bis April 2000 zu Unrecht gezahlte Kindergeld in Höhe von 1 080 DM zurück.
Der Einspruch der Klägerin, den sie damit begründete, dass der Referendardienst nicht Teil der Ausbildung ihrer Tochter sei, so dass die Monate ab Mai 2000 bei der Ermittlung der Einkünfte der D außer Betracht zu bleiben hätten und Kindergeld für die Monate Januar bis April 2000 zu gewähren sei, war erfolglos.
Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 923 veröffentlichten Gründen ab.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass die erstinstanzliche Entscheidung gegen den Gleichheitssatz sowie gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Hätte D zum 1. Mai 2000 nicht den juristischen Vorbereitungsdienst, sondern eine andere nichtselbständige Tätigkeit mit möglicherweise noch höherem Gehalt aufgenommen, wäre sie bis einschließlich April 2000 für das Kindergeld berücksichtigungsfähig gewesen. Die Unterhaltspflicht der Klägerin habe nur bis Ende April 2000 angedauert; danach habe die Tochter als Beamtin auf Widerruf eine Besoldung nach dem Alimentationsprinzip und keine Ausbildungsvergütung erhalten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung des Beklagten sowie den Aufhebungsbescheid vom 14. Dezember 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der Klägerin stand für das Jahr 2000 kein Kindergeld für D zu. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, für das Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn es sich in einer Ausbildung befindet und eigene Einkünfte und Bezüge von --in der im Streitjahr geltenden Gesetzesfassung-- nicht mehr als 13 500 DM im Jahr hat.
a) D befand sich während des gesamten Jahres 2000 in einer Berufsausbildung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Bis einschließlich April ist dies unstreitig. Aber auch der im Mai 2000 beginnende juristische Vorbereitungsdienst der Tochter gehört zur Berufsausbildung (Beschluss des Bundesfinanzhofes --BFH-- vom 10. Februar 2000 VI B 108/99, BFHE 191, 54, BStBl II 2000, 398; ebenso BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, unter 2.a der Gründe). Der dienstrechtliche Status eines Rechtsreferendars als Beamter auf Widerruf steht dem nicht entgegen, weil er die auf die Ausbildung gerichtete Dienstverpflichtung des Referendars nicht berührt.
b) Die Einkünfte der D überschritten unstreitig den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG von --im Streitjahr-- 13 500 DM. Die Berücksichtigung der D für das Kindergeld war danach für das gesamte Jahr 2000 ausgeschlossen.
c) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestehen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht.
aa) Ein Verstoß gegen Art. 6 GG ist nicht ersichtlich. Art. 6 GG enthält ein Abwehrrecht, welches es dem Staat verbietet, Regeln zu erlassen, die Eingriffe in die Familie gerade wegen der familiären Bindung vorsehen oder erlauben (Coester-Waltjen in v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., Art. 6 GG Rn. 32), sowie eine wertentscheidende Grundsatznorm, die den Staat zur Förderung von Ehe und Familie verpflichtet (Coester-Waltjen, a.a.O., Art. 6 GG Rn. 35) und es ihm insbesondere untersagt, Familienmitglieder bei vergleichbarem Sachverhalt schlechter zu stellen als Nicht-Familienmitglieder (Coester-Waltjen, a.a.O., Art. 6 GG Rn. 37). Die Regelung, dass Kinder mit Einkünften und Bezügen in einer bestimmten Höhe nicht mehr für das Kindergeld berücksichtigt werden, ist weder ein Eingriff in die Familie wegen der familiären Bindung noch führt sie zu einer Schlechterstellung gegenüber Nicht-Familienmitgliedern, für die eine Förderung durch das Kindergeld überhaupt nicht in Betracht kommt.
bb) Ohne Erfolg rügt die Klägerin auch einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot. Art. 3 GG verbietet es, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Das von der Klägerin gebildete Vergleichspaar --ein Kind, das seinen Referendardienst absolviert und ein Kind, das eine Tätigkeit ohne Ausbildungscharakter aufnimmt-- ist danach nicht geeignet, einen Gleichheitsverstoß darzulegen. Bei einer Regelung, die die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Familie zum Ziel hat, ist es nicht als willkürlich anzusehen, wenn bei Kindern, die sich in einer Ausbildung befinden, widerlegbar vermutet wird, dass sie unterhaltsbedürftig sind und daher die Leistungsfähigkeit der Familie herabsetzen, während bei Kindern, die einer Tätigkeit ohne Ausbildungscharakter nachgehen, eine solche Vermutung nicht nahe liegt. Es verstößt danach nicht gegen den Gleichheitssatz, Kinder im juristischen Vorbereitungsdienst anders zu behandeln als Kinder, die einen Dauerberuf --sei es als Beamter, sei es im Rahmen einer anderen selbständigen, nichtselbständigen, gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit-- ausüben. Unerheblich ist auch, dass die Anwärterbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz Alimentationscharakter haben und somit geeignet sind, die Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes zu vermindern oder gar auszuschließen. Auch die Ausbildungsvergütung eines Kindes in einem Ausbildungsdienstverhältnis ohne Beamtenstatus hat jedenfalls u.a. den Zweck, den Lebensunterhalt des Auszubildenden zu sichern (Götz, Berufsbildungsrecht, 1992, S. 66, Rz. 246; Leinemann/ Taubert, Berufsbildungsgesetz, Kommentar, 2001, § 10 Rn. 5; weitergehend Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., 1982, S. 136 f. - ausschließlich Unterhaltsbeitrag) und somit Alimentationscharakter, ohne dass daraus der Schluss zu ziehen wäre, dass Ausbildungsdienstverhältnisse nicht Teil der Berufsausbildung seien.
cc) Schließlich ist das verfassungsrechtliche Gebot, das Existenzminimum einer Familie steuerfrei zu belassen, nicht verletzt. Es ist in der Rechtsprechung des BFH mittlerweile geklärt, dass insbesondere der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG selbst, der in etwa dem steuerfreien Existenzminimum entspricht (BFH-Urteil vom 11. März 2003 VIII R 16/02, BFHE 202, 156, BStBl II 2003, 746), verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Gesetzgeber sich insoweit für einen Jahres- und nicht für einen Monatsgrenzbetrag entschieden hat. Er durfte typisierend davon ausgehen, dass ein Kind, das in einem Kalenderjahr Einkünfte und Bezüge in einer bestimmten Höhe erzielt, während des ganzen Jahres nicht unterhaltsbedürftig ist. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist eine typisierende Regelung, die der Vereinfachung der Rechtsanwendung dienen und im vertretbaren Umfang Verwaltungsmehraufwand vermeiden soll (BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027). Ein Monatsgrenzbetrag würde gegenüber dem Jahresgrenzbetrag aber zu erheblichem Verwaltungsmehraufwand führen, da die Familienkassen gezwungen wären, die Einkünfte und Bezüge für dem Grunde nach zu berücksichtigende Kinder monatlich festzustellen.
2. Der Beklagte war danach berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter der Klägerin mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Stellt sich während oder nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, so ist die Familienkasse berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zum Beginn dieses Kalenderjahres aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob die Änderung in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BFHE 196, 265, BStBl II 2002, 85; VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86; vom 6. November 2001 VI R 76/01, BFH/NV 2002, 343; vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525; in BFH/NV 2002, 1027).
3. Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes weggefallen war, konnte der Beklagte gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 das zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 1 080 DM zurückfordern.
Fundstellen
Haufe-Index 1247650 |
BFH/NV 2005, 36 |