Leitsatz (amtlich)
Eine in der Sowjetzone enteignete, nicht in das Bundesgebiet verlagerte Volksbank kann keine Rückstellung für Zinsen für die vor der Bestellung des Treuhänders begründeten Verbindlichkeiten machen.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3; 35. UGDV § 9
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) war als Volksbank K eGmbH im Gebiet der heutigen Sowjetzone bis zum Ende des letzten Weltkrieges tätig und wurde dort enteignet. Für das in der Bundesrepublik und in Berlin (West) belegene Vermögen wurde der Deutsche Genossenschaftsverband zum Treuhänder bestellt.
Die Steuerpflichtige wurde im Jahre 1955 steuerlich erfaßt. Der Revisionsbeklagte (FA) hat die Steuerpflichtige zunächst für die Jahre 1958 und 1959 vorläufig nach § 100 AO veranlagt. Auf Grund einer Betriebsprüfung für die Jahre II/1948 bis 1959 wurde die Steuerpflichtige für diesen Zeitraum - für die Jahre II/1948 bis 1950 mit 0 DM - zur Körperschaftsteuer veranlagt; hierbei wurden die Steuerbescheide 1958 und 1959 für endgültig erklärt.
Mit der Sprungberufung gegen die Steuerbescheide hat der Treuhänder u. a. vorgetragen, die Steuerpflichtige habe den überwiegenden Teil ihres Vermögens durch Enteignung verloren. Die Verbindlichkeiten seien aber bestehen geblieben, da die Vorschrift des § 9 der Fünfunddreißigsten Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz (Verordnung über Geldinstitute mit Sitz oder Niederlassungen außerhalb des Währungsgebietes) - 35. UGDV - (Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948/1949 S. 339) nur die Wirkung eines vorläufigen gesetzlichen Zahlungsaufschubs habe. Deshalb müßten die Verbindlichkeiten zur Passivierung zugelassen werden, was eine Überschuldung zum 21. Juni 1948 erkennen lassen würde. Durch § 9 der 35. UGDV sei sie aber auch, obwohl die Gläubiger zur Zeit keine Zinsen fordern könnten, nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, ihre Verbindlichkeiten zu verzinsen. Da aber die Zinsverbindlichkeiten in den einzelnen Jahren höher als die aus den Vermögenswerten zugeflossenen Erträge gewesen seien, sei ein Gewinn nicht erzielt worden.
Das FG hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der als Revision zu behandelnden Rb. rügt der Treuhänder die Verletzung von Bundesrecht.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trugen die Rechtsvertreter der Steuerpflichtigen vor, die Steuerpflichtige dürfe und müsse ihre Zinsverbindlichkeiten erfüllen. Das derzeitige Zahlungsverbot werde ständig aufgelockert - wie das Dritte Umstellungsergänzungsgesetz (3. UEG) vom 22. Januar 1964 (BGBl I 1964, 33) in § 5 Abs. 2 Satz 2 zeige; nach dieser Vorschrift könne das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen zur Abwendung von Nachteilen für die Gesamtheit der Gläubiger von der Verfügungsbeschränkung befreien. Im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des 3. UEG sei vorgesehen, die Ansprüche aus vor dem 9. Mai 1945 getroffenen Vereinbarungen vom 1. Januar 1953 an mit 3 % und Sichtverbindlichkeiten aus Guthaben mit 1 % jährlich zu verzinsen. Es beständen also Zinsansprüche, die unter bestimmten Modalitäten zu bedienen seien. Das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 - Londoner Schuldenabkommen - (BGBl II 1953, 333) zeige, daß Zinsrückstände nach den ursprünglich vereinbarten Sätzen zu berechnen seien. Für Einlagen bei Geldinstituten bedeute die Verzinsung der Forderung ein wesentliches Charakteristikum. Da die Zinsverbindlichkeiten beständen, habe der Treuhänder zu Recht in den Bilanzen für die Erfüllung der Zinsverpflichtungen Vorsorge getroffen und damit verhindert, daß ein Teil der erzielten Erträge als Steuern abzuführen sei.
Der Treuhänder beantragt, die Vorentscheidung und die Körperschaftsteuerbescheide 1951 bis 1959 aufzuheben, soweit sie auf die Nichtanerkennung der gebildeten Zinsrückstellungen beruhen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Der Treuhänder hat sich nicht gegen die Ansicht des FG gewandt, die Steuerpflichtige bestehe nach den Enteignungsmaßnahmen als Genossenschaft weiter. Diese Rechtsansicht hat der erkennende Senat im Urteil I 217/63 vom 26. Juli 1966 (BFH 86, 764, BStBl III 1966, 682) bestätigt.
Die Ausführungen des Treuhänders richten sich ausschließlich gegen die Nichtanerkennung der Rückstellungen für Zinsverbindlichkeiten. Der erkennende Senat hat im Urteil I 89/58 U vom 5. August 1958 (BFH 67, 318, BStBl III 1958, 396) ausgeführt, Rückstellungen für Zinsverbindlichkeiten könnten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG bei den hier streitigen Veranlagungen nur berücksichtigt werden, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Erfüllung dieser Verbindlichkeiten gerechnet werden müsse. Diese Voraussetzung hat er für Fälle der vorliegenden Art verneint, da zur Zeit ein Zahlungsverbot bestehe und es bei der gegebenen Sachlage unwahrscheinlich sei, daß später eine Erfüllung dieser Zinsverbindlichkeiten angeordnet werde. Diese Rechtsansicht entspricht der ständigen Rechtsprechung.
Der RFH hat eine Rückstellung steuerlich nur zugelassen, wenn am Bilanzstichtag eine Verbindlichkeit tatsächlich entstanden ist und lediglich die Höhe dem Betrag nach noch nicht feststeht (vgl. Urteil VI 382/41 vom 14. Januar 1942, RStBl 1942, 183). Es genüge aber nicht bereits die entfernte Möglichkeit einer Inanspruchnahme oder eines Verlustes zur Rechtfertigung einer Rückstellung; die Inanspruchnahme oder der Verlust müsse vielmehr mit einiger Sicherheit oder wenigstens einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden können. Den gleichen Gedanken hat der erkennende Senat im Urteil I 198/60 U vom 18. Oktober 1960 (BFH 71, 659, BStBl III 1960, 495) übernommen; eine Rückstellung setzt das Vorhandensein bestimmter Umstände voraus, die objektiv den Schluß zulassen, daß eine Inanspruchnahme erfolgt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Die Vorinstanz hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Treuhänder vor seiner Bestellung begründete Verpflichtungen nicht erfüllen darf (§ 9 Abs. 3 der 35. UGDV). Danach kann ein Gläubiger weder Rechte aus Einlagen noch Rechte auf Verzinsung geltend machen.
Der Vortrag des Treuhänders, der Gesetzgeber werde wahrscheinlich eine Zinsverpflichtung anerkennen, kann allerdings der Begründung des Urteils I 89/58 U, a. a. O., wirksam entgegentreten, soweit dort gesagt wird, es sei unwahrscheinlich, daß der Gesetzgeber eine Erfüllung der Zinsverbindlichkeiten anerkennen werde. Dieses Vorbringen kann aber nicht zur Anerkennung der Rückstellung führen. Die Frage, ob eine Rückstellung gebildet werden kann, ist nach den Verhältnissen vom Bilanzstichtag und der Erkenntnis am Tage der Bilanzaufstellung zu beurteilen (Urteil des BFH I 324/62 S vom 27. April 1965, BFH 82, 445, BStBl III 1965, 409). Das auch zur Zeit noch gültige Gesetz verbietet die Erfüllung der Zinsverbindlichkeiten. Dieses Verbot wird für die Steuerpflichtige auch nicht dadurch ausgeräumt, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen den Treuhänder von der Verfügungsbeschränkung befreien kann; denn es ist nicht vorgetragen, daß die Steuerpflichtige befreit oder ihre Befreiung jemals in Aussicht genommen worden sei. Das Verbot gilt also für sie und galt an den Bilanzstichtagen und bei Aufstellung der Bilanzen. Dieses gesetzliche Verbot beruht auf der Eigenart der hier zu regelnden Materie und bewirkte und bewirkt, daß kein Gläubiger einen Anspruch gegen die Steuerpflichtige geltend machen kann. Kann und konnte aber niemand von der Steuerpflichtigen etwas verlangen, so besteht auch keine bilanzierungsfähige Schuld, die Anlaß zu einer Rückstellung bilden könnte.
Diese Erwägung wird durch den Hinweis der Steuerpflichtigen auf das Londoner Schuldenabkommen nicht widerlegt, sondern bestätigt. Bei den Valutaverbindlichkeiten galten vor der Regelung durch das Londoner Schuldenabkommen wegen der Bewertung und Bilanzierung vor allem die §§ 10, 47, 73 und 75 des D-Mark-Bilanzgesetzes; nach der Regelung war der hiervon abweichende § 99 des Gesetzes zur Ausführung des Londoner Schuldenabkommens vom 24. August 1953 (BStBl I 1953, 429) anzuwenden; dabei wurden z. B. durch § 102 dieses Gesetzes Vorschriften des Umstellungsgesetzes rückwirkend beseitigt. Wenn sich im vorliegenden Falle der Treuhänder bei seinen Bilanzierungsfragen am Londoner Schuldenabkommen orientieren wollte, so hätte er ebenso wie die durch das Londoner Schuldenabkommen angesprochenen Steuerpflichtigen abwarten müssen, welche Regelung der Gesetzgeber trifft. Regelt der Gesetzgeber die Bilanzierung der hier in Rede stehenden Verpflichtungen auch für die Vergangenheit, so steht einer Änderung der Bilanzen ebensowenig im Wege wie dies bei den Auslandsschulden der Fall war. Solange eine solche Regelung mit rückwirkender Kraft nicht getroffen ist, verbleibt der Senat im Ergebnis bei der im Urteil I 89/58 U, a. a. O., vertretenen Rechtsansicht, daß Rückstellungen für die streitigen Zinsverbindlichkeiten nicht zugelassen sind. Die für die Streitjahre bestehende gesetzliche Regelung ist für die Entscheidung maßgebend; der Senat vermag dagegen nicht zu berücksichtigen, was der Gesetzgeber in der Zukunft tun kann oder zu tun gedenkt.
Fundstellen
Haufe-Index 412894 |
BStBl II 1968, 307 |
BFHE 1968, 243 |