Leitsatz (amtlich)
Die Vorabentscheidung über die Zulässigkeit einer Klage nach § 97 FGO setzt nicht voraus, daß sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Klage geprüft worden sind.
Orientierungssatz
1. Durch Gesetz kann der Übergang anhängiger Verfahren auf ein anderes Gericht bei der Errichtung eines FG angeordnet werden. Dabei genügt es, wenn die betreffenden Verfahren im Zusammenhang mit der Errichtung des Gerichts übergeleitet werden. Das ist auch dann noch der Fall, wenn der Gesetzgeber zunächst eine an sich gebotene Überleitung vergißt und diese Lücke nachträglich ohne Rückwirkung ausfüllt (Lit.).
2. Über die Kosten der Revision war durch den BFH eine Entscheidung zu treffen, obwohl sich die Revision nur gegen eine Zwischenentscheidung des FG richtete (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.1973 VIII R 31/68).
Normenkette
FGO §§ 97, 135 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatten am 12.März 1980 beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf -Senate in Köln- Klage erhoben. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 5.Februar 1980 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen --GV NW-- 1980, 102), durch das das FG Köln mit Wirkung vom 1.Juli 1980 errichtet worden war, vertraten die Kläger die Auffassung, das FG Düsseldorf sei auch nach der Errichtung des FG Köln zur Entscheidung des Rechtsstreits weiterhin zuständig geblieben.
Durch Zwischenurteil vom 29.Oktober 1980 entschied das FG Köln: "Die Klage ist vor dem Finanzgericht Köln anhängig. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten."
Zur Begründung führte das FG aus, im Interesse der Rechtssicherheit und der Prozeßökonomie sei über die Frage der Anhängigkeit der Klage durch Zwischenurteil vorab zu entscheiden. Nach § 97 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dürften Zwischenurteile über alle Fragen der Zulässigkeit einer Klage ergehen. Auch die Frage der Anhängigkeit einer Klage vor einem bestimmten Gericht sei dem Bereich der Zulässigkeit zuzuordnen. Daß die im Streitfall erhobene Klage nicht beim FG Düsseldorf, sondern beim FG Köln anhängig sei, ergebe sich aus dem Gesetz vom 5.Februar 1980 (GV NW 1980, 102), mit dem die bisher beim FG Düsseldorf -Senate in Köln- anhängigen Verfahren auf das neu errichtete FG Köln übergeleitet werden sollten. Die Auffassung, daß für diese Verfahren das FG Köln zuständig sei, habe das FG Köln bereits in seinem Urteil vom 7.August 1980 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1980, 513) vertreten; daran halte es --unbeschadet des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14.August 1980 V R 142/75 (BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71)-- auch weiterhin fest.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen Rechts. Über die Rechtshängigkeit der Klage hätte nicht nach § 97 FGO durch Zwischenurteil entschieden werden dürfen. Das FG Köln habe in einer Sache entschieden, die vor dem FG Düsseldorf anhängig gewesen sei; das Verfahren sei nicht aufgrund des Gesetzes vom 5.Februar 1980 auf das FG Köln übergegangen. Auch durch das später ergangene Änderungsgesetz vom 2.September 1980 (GV NW 1980, 754) seien die Zweifel an der Rechtshängigkeit des Verfahrens vor dem FG Köln nicht ausgeräumt worden.
Die Kläger beantragen,
1. das Zwischenurteil für nichtig zu erklären,
2. hilfsweise, wie zu 1. zu erkennen und den Rechtsstreit an das FG Düsseldorf zurückzuverweisen,
3. hilfsweise, zu erkennen, daß der Rechtsstreit vor dem FG Düsseldorf, oder zu erkennen, vor welchem Gericht der Rechtsstreit anhängig ist,
4. hilfsweise, das Zwischenurteil als unzulässig aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG Düsseldorf, hilfsweise an das FG Köln zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für den Erlaß eines Zwischenurteils gemäß § 97 FGO vorgelegen haben; es hat auch zutreffend angenommen, daß das FG Köln für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig war.
1. Der Erlaß des angefochtenen Zwischenurteils war zulässig.
a) Nach § 97 FGO kann über die Zulässigkeit einer Klage durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. Der Begriff "Zulässigkeit einer Klage" ist weit auszulegen; er bezieht sich auf alle für das Klageverfahren erheblichen Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. BFH-Urteil vom 16.Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 22.Juni 1962 IV C 245/61, BVerwGE 14, 273, zu der gleichlautenden Vorschrift des § 109 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--). Zu den Sachurteilsvoraussetzungen gehört auch die Anhängigkeit des Verfahrens vor dem erkennenden Gericht. Denn ein Gericht darf nur über eine Sache entscheiden, die bei ihm anhängig ist. Wird die gerichtliche Zuständigkeit für bereits anhängige Verfahren durch den Gesetzgeber geändert, so müssen die hiervon betroffenen Gerichte prüfen, ob eine --durch Erhebung der Klage begründete-- Anhängigkeit der Sache bei dem Gericht noch fortbesteht oder ob das Verfahren nunmehr bei einem anderen Gericht anhängig ist.
b) Der Wortlaut des § 97 FGO, nach dem über die Zulässigkeit "der Klage" vorab entschieden werden kann, bedeutet nicht, daß ein solches Zwischenurteil nur ergehen darf, wenn sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Klage geprüft und bejaht worden sind. Denn § 97 FGO bezweckt, bei Meinungsverschiedenheiten oder Unklarheiten über eine (oder einige) Sachurteilsvoraussetzung(en) möglichst bald eine verbindliche Entscheidung über die strittigen oder unklaren Punkte herbeizuführen. Die Gerichte sollen --zur Vermeidung eines unnötigen Arbeits-, Zeit- und Geldaufwands-- über derartige Sachurteilsvoraussetzungen, von denen der weitere Verlauf des Verfahrens abhängt, alsbald gesondert entscheiden können, ohne Rücksicht darauf, ob auch alle anderen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind (rechtskräftiges Urteil des FG Berlin vom 8.März 1977 V 248-249/75, EFG 1977, 491). Dem entspricht auch die Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschluß vom 19.Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352, betreffend die Wirksamkeit einer Klagerücknahme; Urteil vom 7.Juli 1976 I R 242/75, BFHE 120, 7, BStBl II 1976, 787, betreffend die Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung) und des BVerwG (Urteil vom 22.Juni 1962 IV C 245.61, BVerwGE 14, 273, betreffend die Parteifähigkeit eines Verfahrensbeteiligten); ebenso auch Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr.8534, sowie Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., Anm.2 zu § 97 FGO; a.A. List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., Anm.6 zu § 97 FGO.
2. Das FG hat im Streitfall im Ergebnis zu Recht in seinem Zwischenurteil ausgesprochen, daß die Klage "vor dem FG Köln anhängig" ist.
a) Nach § 1 Abs.3 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung (AGFGO) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1.Februar 1966 (GV NW 1966, 23) war für Verfahren, die den Bezirk der Oberfinanzdirektion (OFD) Köln betrafen, zunächst das FG Düsseldorf -Senate in Köln- zuständig. Die Errichtung des FG Köln am 1.Juli 1980 durch Gesetz vom 5.Februar 1980 (GV NW 1980, 102) brachte --mangels einer entsprechenden Vorschrift-- für die damals beim FG Düsseldorf -Senate in Köln- anhängigen Verfahren zunächst zwar noch keine Änderung der bis dahin bestehenden Zuständigkeitsregelung (Urteil in BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71). Eine solche Änderung ist jedoch in dem Gesetz vom 2.September 1980 (GV NW 1980, 754) enthalten. Dieses Gesetz ordnete an, daß Verfahren, die bei Ablauf des 30.Juni 1980 vor den Senaten des FG Düsseldorf in Köln anhängig waren, auf das FG Köln übergehen; das Gesetz trat am Tage nach seiner Verkündung --also am 6.September 1980-- in Kraft.
Die Zweifel der Kläger am Wirksamwerden des Gesetzes vom 2.September 1980 teilt der Senat nicht. Durch Gesetz kann der Übergang anhängiger Verfahren auf ein anderes Gericht bei der Errichtung eines FG angeordnet werden (§ 3 Abs.1 Nr.6 i.V.m. Nr.1 FGO). Das bedeutet nicht, daß die Überleitung von anhängigen Verfahren gleichzeitig mit der Errichtung des Gerichts geschehen müßte; es genügt vielmehr, daß die betreffenden Verfahren im Zusammenhang mit der Errichtung des Gerichts übergeleitet werden. Das ist auch dann noch der Fall, wenn der Gesetzgeber zunächst eine an sich gebotene Überleitung vergißt und diese Lücke nachträglich ohne Rückwirkung ausfüllt (so zutreffend die Anmerkung zum BFH-Urteil vom 14.August 1980 V R 142/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 17).
b) Das den Gegenstand des Streits bildende Zwischenurteil des FG Köln ist nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 2.September 1980 (GV NW 1980, 754) --nämlich am 29.Oktober 1980-- ergangen. Zu diesem Zeitpunkt waren die bei Errichtung des FG Köln beim FG Düsseldorf -Senate in Köln- anhängigen Verfahren bereits wirksam auf das FG Köln übergeleitet. Das FG Köln konnte somit aussprechen, daß das Verfahren der Kläger nunmehr vor ihm anhängig ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs.2 FGO. Über die Kosten der Revision war eine Entscheidung zu treffen, obwohl sich die Revision nur gegen eine Zwischenentscheidung des FG richtete (vgl. BFH-Urteil vom 24.Juli 1973 VIII R 31/68, BFHE 110, 111, BStBl II 1973, 823).
Fundstellen
Haufe-Index 61047 |
BStBl II 1985, 368 |
BFHE 143, 223 |
BFHE 1985, 223 |
BB 1985, 1718-1718 (ST) |
DB 1985, 1380-1380 (LT) |
HFR 1985, 368-369 (ST) |