Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Prozeßerklärungen; Vorsteuerabzug bei Mietverhältnissen von Ehegatten
Leitsatz (NV)
1. Bei der Auslegung von prozessualen Erklärungen ist eine zwischenzeitliche Rechtsprechungsänderung zum einschlägigen Verfahrensrecht zu berücksichtigen.
2. Erwarb ein Ehegatte ein Kfz und vermietete er es seinem zum Vorsteuerabzug berechtigten Ehegatten für dessen Unternehmen, konnte der Mieter-Ehegatte die Umsatzsteuer auf die Miete auch dann als Vorsteuerbeträge abziehen, wenn der Vermieter-Ehegatte den Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 in Anspruch nehmen konnte.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 15 Abs. 1; FGO § 68
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erwarb am . . . 1984 einen PKW zum Kaufpreis von . . . DM einschließlich Umsatzsteuer. Mit schriftlichem Vertrag vom 1. Dezember 1984 vermietete sie den PKW von diesem Tag an auf unbestimmte Zeit an den Kläger, einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer, zu einem monatlichen Mietzins von . . . DM zuzüglich Umsatzsteuer. Der Kläger verpflichtete sich darüber hinaus, die Kosten der Kfz-Versicherung und der Kfz-Steuer zu ersetzen sowie die Kosten für die übliche Wartung und Pflege des Fahrzeugs zu übernehmen und notwendige Reparaturen auf seine Kosten durchführen zu lassen. Er entrichtete die Miete vertragsgemäß.
Mit der für das 4. Kalendervierteljahr 1984 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung machte der Kläger den gesondert ausgewiesenen Vorsteuerbetrag in Höhe von . . . DM für die Dezembermiete 1984 geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ diesen Betrag im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid vom 20. August 1985 nicht zum Abzug zu.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte der Kläger weiter den Vorsteuerabzug. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Seine Ehefrau sei Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Nur ihr hätten beim Kauf des PKW ein Rabatt von 10 v.H. und darüber hinaus ein Skonto von 3 v.H. zugestanden. Ihr verbliebe bei einer angenommenen Vermietung für die Dauer von vier Jahren ein Gewinn in Höhe von . . . DM. Zur Finanzierung des PKW haber er ihr ein zinsloses Darlehen gewährt, dessen Rückzahlung in vier Jahresraten vereinbart worden sei.
Während des Klageverfahrens gab der Kläger die Umsatzsteuerjahreserklärung für 1984 ab. Das FA kürzte im Umsatzsteuerjahresbescheid vom 6. Mai 1986 für 1984 die Vorsteuerbeträge um die . . . DM für die Dezembermiete. Über den hiergegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden.
Der Kläger beantragte im finanzgerichtlichen Verfahren die Berücksichtigung des geltend gemachten Vorsteuerabzugs.
Das FA beantragte, die Klage abzuweisen.
Die Klage war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) legte den Klageantrag dahin aus, daß der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für das 4. Kalendervierteljahr 1984 begehre. Das Mietverhältnis sei, so führte das FG zur Sache aus, klar vereinbart und der Vereinbarung entsprechend tatsächlich durchgeführt worden. Die Leistungsbeziehungen hielten indes einem Fremdvergleich nicht stand. Der Vertrag vom 1. Dezember 1984 sei nicht in einer im Geschäftsleben üblichen Weise ausgestaltet. In Höhe von . . . DM sei die Klage auch deshalb unbegründet, weil der Kläger in der Umsatzsteuervoranmeldung für das 4. Quartal 1984 keinen Eigenverbrauch berücksichtigt habe.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr.1, § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Er meint: Auf einen Fremdvergleich komme es im Umsatzsteuerrecht nicht an. Ein Gestaltungsmißbrauch liege nicht vor. Es sei nicht Ziel der Vereinbarung gewesen, den Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 a.F. zu erlangen. Während des Revisionsverfahrens beantragte er, den Umsatzsteuerbescheid für 1984 vom 30. November
1990 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr.2, § 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Umsatzsteuerjahresbescheid vom 30. November 1990 für 1984. Die Auslegung der vom Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nach Ergehen des Bescheids vom 6. Mai 1986 abgegebenen Erklärung ergibt, daß er bereits damals diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens machte (§ 68 FGO). Der Senat ist zur Auslegung der Erklärung befugt. Das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5).
Der Erklärung ist zu entnehmen, daß der Kläger Rechtsschutz auf dem dafür vorgesehenen Weg erstrebte. Er konnte damals nicht wissen, daß der Senat im Urteil vom 21. Februar 1991 V R 130/86 (BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465) entscheiden würde, der Kläger könne im finanzgerichtlichen Verfahren gegen einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid den Umsatzsteuerjahresbescheid zum Gegenstand des Verfahrens machen. Wäre diese Rechtslage seinerzeit bereits bekanntgewesen, hätte der Kläger den Antrag nach § 68 FGO gestellt. Diese Auslegung des Senats entspricht dem Willen des Klägers, der seiner damaligen Erklärung zu entnehmen ist (vgl. zur Auslegung von Prozeßerklärungen BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 II R 196/85, BFHE 157, 217, BStBl II 1989, 822).
Die Anfechtung des Jahresbescheids mit dem Einspruch steht dem Antrag nach § 68 FGO nicht entgegen (BFH-Urteil vom 13. Februar 1990 IX R 334/87, BFHE 160, 295, BStBl II 1990, 694).
Aufgrund des Antrags des Klägers wurde der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 30. November 1990 nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens (vgl. Senatsurteil in BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465). Der Antrag nach § 68 FGO ist nicht fristgebunden. Der Änderungsbescheid kann bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung (bei Entscheidung ohne solche bis zur Beschlußfassung des Gerichts) zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht werden, auch wenn er bestandskräftig geworden ist (BFH-Urteil vom 24. April 1990 IX R 321/87, BFHE 160, 415, BStBl II 1990, 865, m.w.N.).
2. Dem Kläger steht der begehrte Vorsteuerabzug zu. Er erfüllt die hierfür nach § 15 Abs. 1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 bestehenden Voraussetzungen. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Die Ehefrau des Klägers hat als Unternehmerin für dessen Unternehmen eine Vermietungsleistung ausgeführt. Daß sie hierbei unternehmerisch tätig wurde, hat der Senat im Urteil vom 14. Mai 1992 V R 56/89 (BFHE 168, 472, BStBl II 1992, 859), das im Rechtsstreit der Ehefrau gegen das FA ergangen ist, näher begründet. Ferner hat der Senat in diesem Urteil auch dargelegt, daß der umsatzsteuerrechtlichen Berücksichtigung des Mietverhältnisses § 42 AO 1977 nicht entgegensteht. Hierauf wird Bezug genommen.
3. Da der Umsatzsteuerjahresbescheid für 1984 vom 30. November 1990 erst während des Revisionsverfahrens Gegenstand des Verfahrens geworden ist, macht der Senat von der Möglichkeit des § 127 FGO Gebrauch, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
4. Die Kostenentscheidung wird nach § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen. Über den Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist nicht im Revisionsverfahren zu entscheiden (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 18. Juli 1967 GrS 5-7/66, BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56; BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1988 IV R 28/88, BFH/NV 1990, 50).
Fundstellen
Haufe-Index 418484 |
BFH/NV 1993, 278 |