Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuer-Pauschalierung und Lohnsteuer-Haftung
Leitsatz (NV)
1. Macht ein Arbeitgeber von der Pauschalierung nach § 40a Abs. 2 EStG in der irrigen Auffassung Gebrauch, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien gegeben, so tritt hierdurch eine Bindung für das Pauschalierungsverfahren nach § 40a Abs. 1 EStG nur dann ein, wenn der Arbeitgeber eindeutig erklärt, auch Schuldner einer pauschalen Lohnsteuer nach § 40a Abs. 1 EStG sein zu wollen.
2. Ein Bescheid, in dessen Tenor der Arbeitgeber als Haftender in Anspruch genommen wird, dessen Begründung aber eindeutig auf die Festsetzung einer pauschalen Lohnsteuer hinweist, ist unwirksam. Dieser Grundsatz gilt auch für Nachforderungen, die die Jahre 1973 und 1974 betreffen, wenn der Bescheid unter der Geltung des EStG 1975 ergangen ist.
3. Für die Frage, ob es sich um einen Bescheid über Lohnsteuerhaftung oder über pauschale Lohnsteuer handelt, kann nicht auf die Begründung abgestellt werden, die der Bescheid in der Einspruchsentscheidung erhalten hat.
4. Vom Erlaß eines Haftungsbescheides ist abzusehen, wenn es sich um wenige gering beschäftigte und entlohnte Arbeitnehmer handelt, deren Namen und Anschriften bekannt sind, und den Umständen nach nicht mit der Entstehung eines materiellen Steueranspruchs gerechnet werden kann.
Normenkette
EStG 1975 § 40 Abs. 3 S. 2, § 40a Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin beschäftigte in den Streitjahren 1973-1977 Aushilfskräfte in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb. Die gezahlten Löhne meldete sie an und führte die unter Anwendung eines Pauschalsteuersatzes von 2 v. H. errechnete Lohnsteuer an das Finanzamt (FA) ab. Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, daß ein Teil der Aushilfskräfte nicht von Fall zu Fall, sondern ständig wiederkehrend bei der Klägerin beschäftigt sei; deshalb sei die Pauschalierung der Lohnsteuer gemäß § 40a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unzulässig. Jedoch lägen die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40a Abs. 1 EStG (geringer Umfang und geringer Arbeitslohn) vor. Hinsichtlich eines Teils der Aushilfslöhne für die ständigen Aushilfskräfte sei die Grenze von 80 DM, ab 1. Januar 1975 von 120 DM, aber überschritten; für diese Löhne wurde in Anlehnung von § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG ein Steuersatz von 24 bzw. 28 v. H. ermittelt.
Das FA erließ wegen des nachzufordernden Gesamtbetrages einen Haftungsbescheid. Im Bescheid waren die Prüfungsfeststellungen als Begründung enthalten. Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß der angefochtene Haftungsbescheid für die Streitjahre 1975 bis März 1977 - abgesehen von den mit 28 v. H. versteuerten Aushilfslöhnen - schon aus formal-rechtlichen Gründen aufgehoben werden müsse, weil insoweit ein Bescheid über pauschalierte Lohnsteuer hätte ergehen müssen. Denn FA und Klägerin seien übereinstimmend der Ansicht, daß der Arbeitslohn pauschal zu versteuern sei; nur über die Höhe des Steuersatzes - 2 v. H. oder 10 v. H. - gingen die Auffassungen auseinander. In einem solchen Falle sei der Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG 1975 Schuldner der pauschalierten Lohnsteuer. Für die Streitjahre 1973 und 1974 gelte dies mangels einer dem § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG 1975 entsprechenden Regelung noch nicht. Im Streitfall habe der Arbeitgeber die nach einem besonderen Steuersatz bemessene Lohnsteuer (§ 42a Abs. 2 Nr. 3 EStG i.V.m. § 35b der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -) übernommen. In einem solchen Fall hafte er für die nachgeforderte pauschalierte Lohnsteuer. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei nicht ermessensfehlerhaft, weil sie die Zahlung von Nettolöhnen mit den Aushilfskräften vereinbart habe. Hinsichtlich der Jahre 1973 und 1974 sei der angefochtene Bescheid auch materiell nicht zu beanstanden . . . Soweit das FA für die Jahre 1975 bis 1977 auf die Arbeitslöhne der ständigen Aushilfskräfte einen Steuersatz von 28 v. H. angewendet habe, sei der Haftungsbescheid ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine Pauschalierung nach § 40a Abs. 1 Nr. 2 EStG 1975 sei nicht zulässig gewesen, weil der wöchentliche Arbeitslohn 120 DM überstiegen habe. Das FA habe die erforderlichen Besteuerungsgrundlagen auch insoweit nicht ermitteln können, so daß eine Schätzung zulässig gewesen sei. Diese sei in Anlehnung an die Vorschriften des § 40 Abs. 1 Nr. 2 und des § 40a Abs. 1 Nr. 2 EStG 1975 erfolgt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 40a EStG 1975. Es wendet sich gegen die Auffassung des FG, daß insoweit ein Pauschalierungsbescheid habe ergehen müssen.
Die Klägerin hat Anschlußrevision eingelegt. Sie rügt unter Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen FG vom 20. Mai 1980 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 519) Verletzung des § 40a Abs. 2 EStG 1975.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Zwar geht das FG offensichtlich von der Auffassung aus, daß das FA (insoweit) gar keine andere Möglichkeit gehabt habe, als die Lohnsteuer im Pauschalierungsverfahren nachzuerheben. Das trifft jedoch nur zu, wenn die Klägerin eindeutig erklärt hätte, daß sie auch Schuldnerin einer pauschalen Lohnsteuer von 10 v. H. nach § 40a Abs. 1 EStG 1975 sein wolle, falls die Voraussetzungen einer Pauschalierung mit 2 v. H. nicht erfüllt seien. Insoweit wird zur Begründung auf das Urteil des Senats vom 25. Mai 1984 VI R 223/80 (BFHE 141, 54, BStBl II 1984, 569) Bezug genommen.
Im Ergebnis ist die Vorentscheidung in dieser Hinsicht gleichwohl zutreffend. Der angefochtene Bescheid kann in diesem Punkt keinen Bestand haben. Das FG ist davon ausgegangen, daß das FA insoweit pauschalierte Lohnsteuer nachfordern wollte. Nach den Grundsätzen des Urteils vom 28. Januar 1983 VI R 35/78 (BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472) kann aber pauschale Lohnsteuer nicht in einem Haftungsbescheid festgesetzt werden.
Im Hinblick auf Überschrift und Tenor des angefochtenen Bescheides, die auf eine Inhaftungsnahme der Klägerin hinweisen, kann zweifelhaft sein, ob die Annahme des FG, das FA habe teilweise pauschalieren wollen, zu billigen ist. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da zumindest unklar ist, ob insoweit auch eine Inhaftungnahme gewollt war. Denn wie der Senat im Urteil vom 15. März 1985 VI R 30/81 (BFHE 143, 226) entschieden hat, ist ein Bescheid, in dessen Tenor der Arbeitgeber vom FA als Haftender in Anspruch genommen wird, dessen Begründung aber eindeutig auf die Festsetzung einer pauschalen Lohnsteuer hinweist, unwirksam. So ist es hier, da es in den ,,Prüfungsbemerkungen", die als Begründung in den Bescheid aufgenommen sind, heißt, die Aushilfslöhne, für die die Voraussetzungen des § 40a Abs. 2 EStG nicht vorlägen, seien ,,gemäß § 40a Abs. 1 EStG mit 10 v. H. zu versteuern". Diese Formulierung weist eindeutig auf die Festsetzung einer pauschalen Lohnsteuer hin und steht damit im Widerspruch zu Überschrift und Tenor des angefochtenen Bescheides, Die Grundsätze des Senatsurteils VI R 30/81 gelten deshalb hier entsprechend.
Unerheblich ist, daß das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt hat, es handele sich um eine in Anlehnung an die Pauschalierungsvorschriften vorgenommene Schätzung. Hierfür ist aus dem Bescheid selbst nichts zu entnehmen. Auf die Begründung, die der Bescheid in der Einspruchsentscheidung erhalten hat, kann aber für die Frage, ob es sich um einen Haftungsbescheid oder um einen Pauschalierungsbescheid handelt, nicht abgestellt werden. Das ergibt sich schon daraus, daß die Qualifizierung des Bescheids auch für die Frage, welche Personen anfechtungsberechtigt sind, von Bedeutung ist. Die dafür maßgebenden Umstände dürfen nicht nach Beginn der Anfechtungsfrist verändert werden. Vielmehr hätte das FA von seinem Standpunkt aus den angefochtenen Bescheid aufheben und einen eindeutigen Haftungsbescheid erlassen müssen.
Die Anschlußrevision der Klägerin ist zulässig . . .
Die Anschlußrevision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
a) Soweit das FA für die Jahre 1973 und 1974 die Aushilfslöhne mit 10 v. H. versteuert hat, ist der Bescheid allerdings aus den gleichen Gründen unwirksam wie für die eben erörterten Streitjahre 1975 bis 1977. Zwar gab es für die Zeit vor Inkrafttreten der §§ 40 f. EStG 1975 noch keine völlig eigenständige Regelung der pauschalen Lohnsteuer, so daß es zweifelhaft erscheint, ob man für diese Jahre bereits von einer Wesensverschiedenheit der vom Arbeitgeber pauschal nachgeforderten von der vom Arbeitnehmer erhobenen Lohnsteuer ausgehen kann. Denn es gab insbesondere noch keine dem § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG 1975 entsprechende Vorschrift, die die Schuldnerschaft des Arbeitgebers angeordnet hätte. Für die pauschale Lohnbesteuerung sind jedoch die Vorschriften anzuwenden, die im Zeitpunkt der Entstehung der pauschalen Lohnsteuer, nämlich im Zeitpunkt der Durchführung der Pauschalierung gelten (BFH-Urteil vom 5. November 1982 VI R 219/80, BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91). Das sind hier die Vorschriften des EStG 1975, da der angefochtene Bescheid im Februar 1978 erlassen wurde. Unerheblich ist, ob der Wille des FA, eine pauschale Lohnsteuer festzusetzen, im Bescheid eindeutig oder nur unvollkommen Ausdruck gefunden hat. Auch im letzteren Fall muß, soweit es sich um die pauschale Lohnsteuer handelt, von den Vorschriften des EStG 1975 ausgegangen werden und damit von der strengen Trennung von Haftungs- und Pauschalierungsschuld, die es nicht gestattet, in einem Haftungsbescheid auch pauschale Lohnsteuer anzufordern.
b) Die Vorentscheidung ist aber aufzuheben, weil die Ausführungen, mit denen das FG die Rechtmäßigkeit des Bescheids hinsichtlich der mit 24 bzw. 28 v. H. besteuerten Aushilfslöhne bestätigt hatte, zu beanstanden sind.
Insoweit ist der Bescheid zwar formal-rechtlich in Ordnung. Denn hier handelt es sich eindeutig um eine Inhaftungnahme, weil sich aus den ,,Prüfungsbemerkungen" keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß das FA - im Widerspruch zu Überschrift und Tenor des angefochtenen Bescheides - eine pauschale Lohnsteuer festsetzen wollte. Insbesondere fehlt, anders als bei den mit 10 v. H. besteuerten Aushilfslöhnen, die Angabe der gesetzlichen Vorschriften als Rechtsgrundlage für die vorgenommene Pauschalierung. Vielmehr heißt es in den ,,Prüfungsbemerkungen" lediglich, die Steuerabzugsbeträge seien ,,in Anlehnung an § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG" ermittelt worden. Dadurch hat das FA zum Ausdruck gebracht, daß es die Pauschalierungsvorschriften nur als Anhalt für eine Schätzung des Haftungsbetrages benutzt hat.
Die Vorentscheidung läßt jedoch nicht in ausreichendem Umfang erkennen, ob die Voraussetzungen für eine Inhaftungnahme der Arbeitgeberin tatsächlich vorlagen. So hat das FG insbesondere nicht festgestellt, um wie viele Arbeitnehmer es sich handelte und in welchem Umfang diese für die Klägerin tätig geworden sind. Davon kann aber die Zulässigkeit der Inhaftungnahme abhängen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 3. Juni 1982 VI R 48/79, BFHE 136, 224, BStBl II 1982, 710 a.E.) ist von dem Erlaß eines Haftungsbescheides abzusehen, wenn es sich um wenige gering beschäftigte und entlohnte Arbeitnehmer handelt, deren Namen und Anschriften bekannt sind, und den Umständen nach nicht mit der Entstehung eines materiellen Steueranspruchs gegen die betroffenen Arbeitnehmer gerechnet werden kann. Eine Überprüfung in dieser Hinsicht ist erforderlich, weil nach den Feststellungen des FG die Namen der Aushilfskräfte bekannt sind und nicht ersichtlich ist, inwiefern die Feststellung ihrer Anschriften auf Schwierigkeiten stoßen soll.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben und es ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, um dem FG Gelegenheit zu geben, die unterlassene Prüfung nachzuholen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Kommt eine Inhaftungnahme des Arbeitgebers in Betracht, so wird das FG unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164, und vom 7. Dezember 1984 VI R 72/82, BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170) in formeller Hinsicht auch erneut zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Anwendung eines durchschnittlichen Steuersatzes gegeben sind.
Die Kosten des Revisionsverfahrens wären an sich gemäß § 135 Abs. 2 FGO dem FA aufzuerlegen. Nach den Grundsätzen des Urteils vom 2. Februar 1967 IV 224/64 (BFHE 88, 23, BStBl III 1967, 274) ist die Kostenentscheidung jedoch unter Zugrundelegung der zusammengerechneten Streitwerte für die Revision und die Anschlußrevision zu treffen. Die Kostenentscheidung ist deshalb insgesamt gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 414011 |
BFH/NV 1985, 55 |