Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschüttung aus dem Reservefonds einer Produktionsgenossenschaft bei Zufluß im Jahr 1991 als Einnahme aus Kapitalvermögen - keine zeitliche Kongruenz im Anrechnungsverfahren - Aufzählung der Körperschaften in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht abschließend - Bindung an die Zulassung der Revision durch das FG
Leitsatz (amtlich)
Eine im Jahr 1990 bei einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks abgeflossene Ausschüttung aus dem Reservefonds, die einem ausgeschiedenen Genossen erst im Jahre 1991 zufließt, ist nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Einnahme aus Kapitalvermögen steuerbar. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Ob Bezüge im Sinne dieser Vorschrift vorliegen, für die Eigenkapital nach § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG als verwendet gilt, entscheidet sich ausschließlich nach der Gliederungsrechnung der ausschüttenden Körperschaft.
Orientierungssatz
1. Der VIII. Senat des BFH weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Entscheidung des I. Senats des BFH im Urteil vom 22.12.1993 I R 75/93 ab.
2. Eine sog. zeitliche Kongruenz, d.h. eine Identität des Zeitpunktes, zu dem die Kapitalgesellschaft die Ausschüttungsbelastung herstellen muß, mit demjenigen der Besteuerung und Anrechnung beim Anteilseigner, ist auch unter der Geltung des Anrechnungsverfahrens nicht erforderlich (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
3. Die Aufzählung der ausschüttenden Körperschaften in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft. Entscheidend ist die körperschaftliche Struktur der ausschüttenden Vereinigung und ob die Beteiligung an ihr --abstrakt gesehen-- das Vermögensrecht mitumfaßt, an Gewinnausschüttungen und an der Auskehrung des Liquidationsvermögens beteiligt zu werden (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
4. Der BFH ist an eine vom FG ausgesprochene Zulassung der Revision selbst dann gebunden, wenn die Entscheidung rechtsfehlerhaft ist (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.1990 VIII R 14/87; zu einer offensichtlich gesetzwidrigen Zulassung, die das Revisionsgericht ausnahmsweise nicht bindet, vgl. BFH-Urteil vom 27.3.1991 VI R 51/88).
Normenkette
EStG 1991 § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3; KStG 1991 § 30 Abs. 2 Nr. 4, § 54a Nrn. 1-2, 7; FGO § 115 Abs. 1; EStG 1991 § 11 Abs. 1; KStG 1991 § 27
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Entscheidung vom 31.08.1993; Aktenzeichen 2 K 22/92 Fi) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer 1991 veranlagt. Der Kläger war bis Dezember 1990 Mitglied der Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) X. Die PGH überwies dem Kläger am 19. Dezember 1990 seinen Anteil am Gesamtvermögen der PGH aus dem Reservefonds in Höhe von 31 601,37 DM. Der Betrag wurde dem Kläger jedoch erst im Januar 1991 gutgeschrieben.
Im Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 20. Juli 1993 erfaßte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Auszahlungsbetrag nach Abzug eines Werbungskosten-Pauschbetrages von 200 DM und des Sparerfreibetrages in Höhe von 1 200 DM mit 30 201 DM als Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 47 veröffentlichten Entscheidung gab das Finanzgericht (FG) Brandenburg der Klage im wesentlichen statt, weil es sich um nicht steuerbare Einnahmen analog § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1991 handele.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision sei unzulässig, weil sie das FG zu Unrecht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen habe. Im übrigen sei sie unbegründet. Maßgebend sei die Rechtslage im Zeitpunkt des Zuflusses der Einnahmen im Jahr 1991. Danach handele es sich um eine nicht steuerbare Rückzahlung von Kapitaleinlagen aus dem EK 04. Dies entspreche auch der Rechtsauffassung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 25. Juni 1992.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist an die vom FG ausgesprochene Zulassung der Revision selbst dann gebunden, wenn die Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11. Dezember 1990 VIII R 14/87, BFHE 164, 20, BStBl II 1991, 511, 512). Ob der vom FG angegebene Zulassungsgrund tatsächlich gegeben ist, hat das Revisionsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen (Urteil des erkennenden Senats vom 16. April 1991 VIII R 100/87, BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234, 235 m.w.N.). Anhaltspunkte für eine offensichtlich gesetzwidrige Zulassung, die das Revisionsgericht ausnahmsweise nicht binden würde, liegen auch nach dem Vortrag der Kläger nicht vor (vgl. BFH-Urteil vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575, 576).
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der dem Kläger 1991 zugeflossene Betrag in Höhe von 31 601,37 DM als Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1991 zu beurteilen ist. Der Senat sieht indessen keine Möglichkeit, sie unmittelbar oder entsprechend § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG als nicht steuerbare Rückzahlung von Einlagen zu qualifizieren.
a) Gewinnausschüttungen, die PGH-Mitglieder --wie im Streitfall-- nach dem 31. Dezember 1990 zugeflossen sind, unterliegen nicht mehr dem Steuerrecht der ehemaligen DDR, sondern dem EStG der Bundesrepublik Deutschland --Bundesrepublik-- (§§ 11, 20 EStG). Für die Besteuerung von Kapitalerträgen beim Anteilseigner gilt § 11 EStG, sofern der Anteilseigner --wie im Streitfall-- den Gesellschaftsanteil im Privatvermögen hält (Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, § 20 EStG Rz. 22, und § 27 KStG Rz. 45 und 68).
Gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Ziff.1 trat das EStG 1991 nach Maßgabe der weiteren Modifikationen in Nr. 16 in den in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebieten zum 1. Januar 1991 in Kraft.
Bei Banküberweisungen ist der Wert des überwiesenen Betrages dem Empfänger gemäß § 11 Abs. 1 EStG erst dann zugeflossen, wenn die Gutschrift auf dem Empfängerkonto erfaßt ist (Urteil des erkennenden Senats vom 11. Dezember 1990 VIII R 8/87, BFHE 165, 27, BStBl II 1992, 232).
Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angefochtenen Feststellungen des FG ist die Gutschrift auf einem Bankkonto des Klägers erst im Januar 1991 erfolgt.
b) Für den Streitfall bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, ob die ausschüttende PGH i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft oder ein wirtschaftlicher Verein ist. Das FG hat hierzu --von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht-- keine Feststellungen getroffen (vgl. zum Umfang der Feststellungspflichten der Tatsacheninstanz BFH-Urteil vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 580).
Die Aufzählung der ausschüttenden Körperschaften in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft. Entscheidend ist die körperschaftliche Struktur der ausschüttenden Vereinigung und ob die Beteiligung an ihr --abstrakt gesehen-- das Vermögensrecht mitumfaßt, an Gewinnausschüttungen und an der Auskehrung des Liquidationsvermögens beteiligt zu werden (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1992 I R 32/92, BFHE 170, 354, BStBl II 1993, 399, 401; vom 9. August 1989 I R 4/84, BFHE 158, 510, BStBl II 1990, 237, 240; herrschende Meinung auch im Schrifttum, vgl. Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 20 Anm. 16, Nachweise bei Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 C 8 f. --Fußnote 8--).
Die PGH war jedenfalls ab dem 1. Juli 1990 unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig nach § 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KöStG DDR) i.d.F. des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG DDR) vom 22. Juni 1990 (Gesetzblatt --GBl-- DDR 1990, Sonderdruck 1427; BFH-Urteil in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 579).
c) Die bereits im Dezember 1990 bei der PGH abgeflossenen Beträge aus dem Reservefonds stammen nicht aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft, für die Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) als verwendet gilt. Das FG führt deshalb zutreffend aus, daß die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht vorgelegen haben und mithin eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift ausscheidet.
Ob ein bestimmter Kapitalertrag aus einer Ausschüttung stammt, für die das EK 04 einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft als verwendet gilt, entscheidet sich ausschließlich nach der Gliederungsrechnung der ausschüttenden Körperschaft (BFH-Urteile vom 16. März 1994 I R 70/92, BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527, 529; vom 19. Mai 1993 I R 34/92, BFHE 171, 286, BStBl II 1993, 804, 805; vom 23. Oktober 1991 I R 97/89, BFHE 165, 537, BStBl II 1992, 154, 155; vom 7. November 1990 II R 68/88, BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177, 179). Dahinter steht der Rechtsgedanke, daß die Bezüge aufgrund der Verwendungsfiktion des § 28 Abs. 3 Satz 1 und 2 KStG steuerrechtlich als Rückzahlung von Eigenkapital behandelt werden (BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527, 529; BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177, 180). Dies wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, daß die Bestimmungen in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 (ursprünglich Satz 2) und Nr. 2 EStG aufgrund des Art. 2 Nr. 5 des Körperschaftsteuerreformgesetzes (KStRG) vom 31. August 1976 (BGBl I 1976, 2597) neu eingefügt worden sind, um die Systematik des Anrechnungsverfahrens auf der Ebene des Anteilseigners umzusetzen. Die im Rahmen des zweistufigen Anrechnungsverfahrens vorgesehene Entlastung wird sichergestellt durch die Identität der Bemessungsgrundlagen auf der Stufe der ausschüttenden Körperschaft und derjenigen des Ausschüttungsempfängers (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 20 EStG, grüne Blätter, Bem.II 3).
Gemäß dem durch den Einigungsvertrag eingefügten § 54a Nr. 7 KStG 1991 war die Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals nach § 30 Abs. 3 KStG erstmals auf den 1. Januar 1991 vorzunehmen.
Als Ausschüttungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses der für die Gewinnausschüttung verwendeten Mittel bei der Körperschaft anzunehmen (BFH-Urteile vom 30. Mai 1990 I R 41/87, BFHE 161, 87, BStBl II 1991, 588, 590; vom 14. März 1989 I R 105/88, BFHE 157, 72, BStBl II 1989, 741, 743; vom 31. Oktober 1990 I R 47/88, BFHE 162, 546, BStBl II 1991, 255, 256). Unbare Zahlungen, die im Wege einer Banküberweisung bewirkt werden, fließen grundsätzlich im Zeitpunkt des Eingangs des Überweisungsauftrages bei der Überweisungsbank ab (BFH-Urteil vom 11. August 1987 IX R 163/83, BFHE 152, 440, BStBl II 1989, 702, 704 m.w.N.). § 11 Abs. 2 EStG ist jedenfalls analog anwendbar (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 27 KStG Anm. 30). Eine sog. zeitliche Kongruenz, d.h. eine Identität des Zeitpunktes, zu dem die Kapitalgesellschaft die Ausschüttungsbelastung herstellen muß, mit demjenigen der Besteuerung und Anrechnung beim Anteilseigner, ist auch unter der Geltung des Anrechnungsverfahrens nicht erforderlich (BFH-Urteile vom 22. Februar 1989 I R 44/85, BFHE 156, 177, BStBl II 1989, 475, 476; vom 9. Dezember 1987 I R 260/83, BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460, 462; Wolff-Diepenbrock in Littmann/ Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 11 EStG Rz. 174; Glenk in Blümich, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 11 Rz. 81; Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, a.a.O., § 27 KStG Rz. 45; Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 27 KStG Rz. 27, 30).
Der erkennende Senat weicht nicht von der Entscheidung des I.Senats (Urteil in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 579) ab. Soweit der I.Senat dort bemerkt, nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG seien Ausschüttungen der PGH für Wirtschaftsjahre vor 1991, die den Mitgliedern ab dem 1. Januar 1991 zuflössen, nicht steuerpflichtig, sind damit --wie im dort entschiedenen Streitfall-- Sachverhalte gemeint, bei denen die Ausschüttung erst im Jahr 1991 erfolgt, die Verrechnung gemäß § 54a Nr. 1 KStG 1991 jedoch abweichend von § 28 Abs. 3 KStG mit dem Teilbetrag i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG vorzunehmen ist.
d) Ebensowenig kommt eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1991 nach den Grundgedanken dieser Bestimmung in Betracht.
aa) Die für eine Rechtsfortbildung im Wege einer Analogie notwendige planwidrige Regelungslücke fehlt in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1991 (vgl. zu den Voraussetzungen BFH-Urteile vom 13. Juli 1989 V R 110-112/84, BFHE 158, 157, BStBl II 1989, 1036, 1039; in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 579; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 4 AO 1977 Rz. 113 m.umf.N.).
Der Gesetzgeber hat in der durch den Einigungsvertrag eingefügten Bestimmung des § 54a KStG 1991 eine eindeutige und abschließende Übergangsregelung getroffen (vgl. auch zur Begründung BTDrucks 11/7817, S.111). Eine vom Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG abweichende Auslegung läßt sich auch mit Hilfe der Übergangsregelung nicht rechtfertigen.
§ 54a Nr. 1 und 2 KStG 1991 betreffen die körperschaftsteuerliche Behandlung von einer Körperschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Beitrittsgebiet für 1990 in den Folgejahren beschlossenen und vollzogenen Gewinnausschüttung. Derartige erst nach 1990 abfließende Ausschüttungen sind in der zum 1. Januar 1991 vorzunehmenden Eigenkapital-Gliederung als Abgang vom verwendbaren Eigenkapital, und zwar vom Teilbetrag des EK 04 zu erfassen. Die Körperschaftsteuer bemißt sich insoweit gemäß § 54a Nr. 2 KStG 1991 weiterhin nach dem KöStG DDR. Das Anrechnungsverfahren ist insoweit nicht anzuwenden (vgl. Dötsch/ Eversberg/Jost/Witt, a.a.O., Anhang DDR Rz. 84/1; Frotscher, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 54a Rz. 4).
bb) Die Besteuerung knüpft an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt und die dafür bestehenden Besteuerungsregelungen an (§ 38 der Abgabenordnung --AO 1977--; BFH-Urteile vom 22. März 1990 IV R 23/88, BFHE 160, 249, BStBl II 1990, 637, 639; vom 21. November 1989 IX R 10/84, BFHE 159, 68, BStBl II 1990, 213, 215). Daß dementsprechend aus unterschiedlichen Gestaltungen und, wie im Streitfall, verschiedenen Zeitpunkten der Verwirklichung eines Steuertatbestandes auch abweichende steuerliche Belastungen entstehen können, berechtigt nicht dazu, steuerrechtliche Bestimmungen zugunsten eines Steuerpflichtigen abweichend vom Wortlaut und von der Systematik eines Regelungswerkes entsprechend anzuwenden.
Der Umbau des DDR-Steuerrechts im Jahr 1990 und seine grundsätzliche Fortgeltung über den Zeitpunkt des Beitritts der DDR am 3. Oktober 1990 hinaus bis zum 31. Dezember 1990 (vgl. Art. 8 i.V.m. Anlage I des Einigungsvertrages vom 31. August 1990) ist von den Vertragsparteien und dem Gesetzgeber (vgl. Zustimmungsgesetz vom 23. September 1990, BGBl II, 885) bewußt in Kauf genommen worden, um den ohnehin beträchtlichen Umstellungsschwierigkeiten (vgl. Erläuterungen zum Einigungsvertrag, BTDrucks 11/7817, S.107, 108) sowie dem Prinzip der Jahresbesteuerung (Frotscher, a.a.O., § 54a Rz. 1) ausreichend Rechnung zu tragen.
Für diese Verfahrensweise bestehen auch von Verfassungs wegen hinreichende sachliche Gründe (vgl. Nichtannahmebeschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19. Dezember 1991 2 BvR 1591/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Einkommensteuergesetz 1990, Allg., Rechtsspruch 130; BFH-Urteil vom 5. März 1993 VI R 37/92, BFH/NV 1993, 533, 534 zum Ausschluß des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für das Jahr 1990 im Beitrittsgebiet; ferner Urteil vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630, 631 betreffend Fortgeltung des höheren Steuersatzes nach dem DDR-Grunderwerbsteuergesetz bis zum 31. Dezember 1990).
cc) Unbeschadet der Frage, ob die je nach dem Ausschüttungszeitpunkt unterschiedlichen körperschaftsteuerlichen und einkommensteuerlichen Auswirkungen im Einzelfall oder generell Billigkeitsmaßnahmen (§ 163 AO 1977) überhaupt rechtfertigen könnten (Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, a.a.O., Anhang DDR Tz.84/1), hat der Senat darüber im Hinblick auf die Zweigleisigkeit des Verfahrens nicht im Anfechtungsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung zu entscheiden (BFH-Urteile vom 12. Januar 1989 IV R 87/87, BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261, 262; vom 13. April 1989 IV R 196/85, BFHE 156, 489, BStBl II 1989, 614, 616 m.w.N.).
Nicht zu übersehen ist allerdings, daß die Regelung in § 54a Nr. 1 KStG 1991 i.V.m. der ebenfalls durch den Einigungsvertrag eingefügten Bestimmung in § 30 Abs. 3 KStG 1991 eine im Vergleich zur Regelung anläßlich des Übergangs zum körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren günstige Besteuerung gewährleistet.
Das vor dem 1. Januar 1977 entstandene verwendbare Eigenkapital ist nach § 27 Abs. 2 KStG als nicht mit Körperschaftsteuer belastet zu behandeln. Im Falle einer Ausschüttung von Altkapital (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 KStG) erhöht sich die Körperschaftsteuer nach § 27 Abs. 1 KStG (vgl. Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 27 KStG Rz. 104). Auch nach Einführung des Anrechnungsverfahrens blieben die Ausschüttungen von Alteinlagen aus der Zeit vor dem Systemwechsel durch unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften einkommensteuerpflichtig (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., grüne Blätter, Erläuterungen zu Abs. 1 Nr. 1 und Ziff.II 1).
Gegenüber dieser Doppelbelastung führt die Zuordnung des das Nennkapital übersteigenden Eigenkapitals zum EK 04 (vgl. § 30 Abs. 3 i.V.m. § 43 KStG) im Rahmen des § 54a Nr. 1 KStG 1991 lediglich zu einer Einmalbesteuerung (vgl. Dötsch, a.a.O., Anh. DDR --1994-- Rz. 81).
Schließlich wäre im Falle des Zuflusses bereits im Jahre 1990 eine Doppelbesteuerung auf der Ebene der PGH einerseits und bei dem ausgeschiedenen Genossenschaftsmitglied andererseits eingetreten (Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 22. Juni 1994 2 K 512/93 K, F, G, EFG 1994, 881; Dötsch, a.a.O., Anh. DDR Rz. 27).
3. Die Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 16 März 1994 I R 70/92, BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527, 528 m.w.N.) hat bereits vor der Einfügung von Nr. 1 und 2 in § 20 Abs. 1 EStG die Rückzahlung von Gesellschaftskapital an einen Gesellschafter aufgrund einer handelsrechtlich wirksamen Kapitalherabsetzung im allgemeinen als einen einkommensteuerlich neutralen Vorgang im Vermögensbereich beurteilt und deshalb auch vor Einführung der Nr. 2 in § 20 Abs. 1 EStG durch das KStRG bereits nicht als Kapitalertrag i.S. von § 20 EStG erfaßt. Die Voraussetzungen hierfür liegen im Streitfall jedoch nicht vor.
4. Danach war das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 65110 |
BStBl II 1995, 315 |
BFHE 176, 373 |
BFHE 1995, 373 |
BB 1995, 1677 |
BB 1995, 1677-1679 (LT) |
DB 1995, 857 (L) |
DStR 1995, 521-522 (KT) |
DStZ 1995, 412-413 (KT) |
HFR 1995, 320-321 (LT) |
StE 1995, 237 (K) |