Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Sonstiges Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Der Begriff "Grundstück" in § 4 Ziff. 10 UStG stimmt mit dem Grundstücksbegriff des BGB überein.
UStG § 4 Ziff. 10, § 4 Ziff. 9; UStDB § 37; GrEStG § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Ziff. 3; BGB §§ 94, 95,
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 10, § 4/12; UStDB § 37; GrEStG § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Ziff. 3; BGB §§ 94-95, 580
Tatbestand
Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Vermietung von Gebäuden, die auf fremdem Boden nur vorübergehend errichtet sind, nach § 4 Ziff. 10 UStG umsatzsteuerfrei ist.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) mietete im Jahre 1951 auf die Dauer von zunächst 33 Jahren ein Grundstück. Er erstellte auf ihm zum Zwecke des Betriebs einer Großtankstelle u. a. ein Bedienungshaus (Verkaufs- und Kundenraum, sowie Toilette) und eine Wagenpflegehalle (Waschhalle, Abschmierhalle und zwei Lager- und Geräteräume). Der zwischen dem Stpfl. und dem Grundstückseigentümer abgeschlossene Mietvertrag enthält die Bestimmung, daß die Gebäude nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtet werden sollten. In einem Vertrag betr. die Tankstelle mietete eine Mineralölgesellschaft das Grundstück vom Stpfl. und betraute diesen mit der Verwaltung der Tankstelle. Seit dem 1. September 1955 übt der Stpfl. die Tankstellenverwaltung nicht mehr aus. Es besteht zwischen ihm und der Mineralölgesellschaft Einigkeit darüber, daß der Vertrag betr. die Tankstelle seit dieser Zeit ruht.
Auf Grund einer Betriebsprüfung zog der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) den Stpfl. für 1955 und 1956 mit dem im Schätzungswege ermittelten Teil der Miete, der auf die Tankstellengebäude entfiel, zur Umsatzsteuer heran. Der Einspruch des Stpfl. wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das FA ist der Auffassung, daß die Vermietung von Gebäuden, die zu einem nur vorübergehenden Zweck auf fremdem Boden errichtet worden sind, nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 UStG fällt.
Dagegen hatte der Stpfl. im Berufungsverfahren Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertritt die Ansicht, daß sich die Umsatzsteuerfreiheit des § 4 Ziff. 10 UStG, soweit nicht die Sonderregelung des § 37 UStDB eingreift, auch auf die Vermietung von Scheinbestandteilen erstreckt. Es führt aus, die vom Stpfl. errichteten Gebäude seien zwar vertragsmäßig nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbunden und gehörten deshalb als Scheinbestandteile im Sinne von § 95 BGB bürgerlich- rechtlich nicht zum Grundstück. Der Begriff "Grundstück" sei aber mehrdeutig. Er umfasse nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG abweichend vom bürgerlichen Recht auch Gebäude auf fremdem Boden und komme in diesem Sinne für die Umsatzsteuer-Befreiung nach § 4 Ziff. 9 UStG zur Anwendung. Daß demgegenüber für die Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 10 UStG der engere Grundstücksbegriff des bürgerlichen Rechts gelten solle, könne weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck dieser Bestimmung entnommen werden. Der ursprüngliche Gesetzeszweck, eine zusätzliche Steuerbelastung für die Vermietung von Wohnraum zu vermeiden, könne nur durch Ausdehnung der Steuerfreiheit auf die Fälle der Vermietung von Gebäuden auf fremdem Boden erreicht werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des FA, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. §§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO), führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß Begriffe aus dem bürgerlichen Recht, die in den Vorschriften des UStG und der UStDB verwendet werden, denselben Inhalt haben wie im BGB. So haben Reichsfinanzhof (RFH) und Bundesfinanzhof (BFH) die in § 4 Ziff. 10 UStG verwendeten Begriffe "Vermietung" und "Verpachtung" in ständiger Rechtsprechung nach dem bürgerlichen Recht beurteilt (vgl. z. B. die Urteile des RFH V A 490/32 vom 10. März 1933, Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 32 S. 354 - RFH 32, 354 -, RStBl 1933, 1343, und des BFH V 259/56 U vom 15. Juni 1957, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 65 S. 98 - BFH 65, 98 -, BStBl III 1957, 269). Auch der Begriff "Grundstück" stammt aus dem BGB und spielt dort in verschiedenen Bereichen eine große Rolle. Es besteht keine rechtliche Möglichkeit, ihm für das Umsatzsteuerrecht einen anderen Inhalt zu geben, als er durch die §§ 94 und 95 BGB erhalten hat. Wo der Gesetzgeber für das Umsatzsteuerrecht eigene Wege gehen wollte, hat er besondere Begriffe geprägt (z. B. "Lieferung", "sonstige Leistung"). Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, in § 4 Ziff. 10 UStG, anstelle des zivilrechtlichen Begriffs "Grundstück" einen neutralen Ausdruck wie z. B. "Grund und Boden" zu verwenden (der im Zusammenhang mit staatlichen Hoheitsrechten ohnehin in § 4 Ziff. 10 UStG vorkommt). Auch der Umstand, daß in § 37 UStDB von "wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks" die Rede ist, deutet darauf hin, daß der Grundstücksbegriff des Zivilrechts gemeint ist. Wie sehr der Gesetzgeber gerade im Zusammenhang mit § 4 Ziff. 10 UStG auf zivilrechtliche Begriffe zurückgreift, zeigt der durch das Elfte Gesetz zur änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I S. 1330, BStBl I 1961, 609) neu eingefügte Buchstabe c dieser Vorschrift, durch den die Bestellung von Erbbaurechten sowie die Bestellung und Veräußerung von Dauerwohnrechten und Dauernutzungsrechten von der Umsatzsteuer befreit worden sind.
Der vom Prozeßbevollmächtigten des Stpfl. in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht, der Grundstücksbegriff des bürgerlichen Rechts sei im Schuldrecht ein anderer als im Sachenrecht kann nicht gefolgt werden (vgl. Roquette, Das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1966, Anm. 3 zu § 580). Daß auch der Steuergesetzgeber von der Einheitlichkeit des bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriffs ausgeht, ergibt sich u. a. aus § 2 Abs. 1 Satz 1 GrEStG, wo nicht von Grundstücken im Sinne des "Schuldrechts" oder des "Sachenrechts", sondern von Grundstücken im Sinne des "bürgerlichen Rechts" die Rede ist. Unzutreffend ist auch die Annahme des Stpfl., es gebe einen besonderen steuerrechtlichen Grundstücksbegriff. Der Hinweis des Stpfl. auf § 7 Abs. 4 EStG und § 8 Ziff. 7. § 9 GewStG geht schon deshalb fehl, weil in diesen Vorschriften nicht von "Grundstücken", sondern von "Gebäuden" bzw. von "Grundbesitz" gesprochen wird.
Auch die grunderwerbsteuerliche Behandlung von Gebäuden auf fremdem Boden in § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG gibt keine Handhabe, den Grundstücksbegriff in § 4 Ziff. 10 UStG auszuweiten. Zunächst ist es mindestens ungenau zu sagen, der Begriff "Grundstück" umfasse auf dem Gebiet der Grunderwerbsteuer auch Gebäude auf fremdem Boden. § 2 Abs. 1 Satz 1 GrEStG bestimmt ausdrücklich, daß unter Grundstücken im Sinn dieses Gesetzes Grundstücke im Sinn des bürgerlichen Rechts zu verstehen sind. Gebäude auf fremdem Boden werden durch § 2 Abs. 2 Ziff. 3 GrEStG den Grundstücken lediglich gleichgestellt. Praktisch bedeutet dies eine Ausdehnung des Besteuerungsgegenstandes für Grunderwerbesteuerzwecke durch gesetzliche Vorschrift. § 4 Ziff. 9 UStG bietet keinen geeigneten Weg, einen gegenüber dem bürgerlichen Recht erweiterten Grundstücksbegriff in das Umsatzsteuerrecht einzuführen. Diese Befreiungsvorschrift bezieht sich nicht wie § 4 Ziff. 10 UStG unmittelbar auf Grundstücke (sie bringt keine Befreiung der Grundstücksumsätze von jeglicher Verkehrsteuer), sondern bezweckt lediglich die Vermeidung einer Doppelbesteuerung, nämlich der Erhebung von Umsatzsteuer neben der regelmäßig höheren Grunderwerbsteuer. Beiden Bestimmungen liegen - wie das FA zutreffend hervorhebt - ganz verschiedene gesetzgeberische Motive zugrunde.
Noch weniger ist - entgegen der Ansicht des Stpfl. - die Aufnahme beider Vorschriften in denselben Paragraphen und ihre Stellung unmittelbar nebeneinander ein Anlaß, den Grundstücksbegriff in § 4 Ziff. 10 UStG zu erweitern. Es stehen in § 4 UStG Befreiungstatbestände nebeneinander, die den verschiedensten Zwecken dienen und einen völlig unterschiedlichen Inhalt haben.
Inwiefern sich - wie der Stpfl. meint - aus § 37 UStDB ergeben soll, daß bei § 4 Ziff. 10 UStG die Frage der Scheinbestandteile keine Rolle spielt, ist nicht ersichtlich. Aus § 37 UStDB kann eher das Gegenteil geschlossen werden. Der Stpfl. übersieht, daß es nur für Betriebsvorrichtungen nicht darauf ankommt, ob es sich um wesentliche Bestandteile des Grundstücks handelt oder nicht. Die Frage, ob § 37 UStDB durch eine rechtsgültige Ermächtigungsvorschrift gedeckt ist (auf die im Rahmen des Streitfalles nicht eingegangen zu werden braucht), stellt sich unabhängig davon, ob der Grundstücksbegriff im Sinne des bürgerlichen Rechts verstanden oder auf nur vorübergehende mit dem Boden verbundene Sachen ausgedehnt wird. Es läuft im Ergebnis auf dasselbe hinaus, ob die Vermietung einer nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Boden verbundenen Maschine deshalb der Umsatzsteuer unterworfen wird, weil keine Grundstücksvermietung vorliegt, oder deshalb, weil die Vermietung von Betriebsvorrichtungen aller Art durch § 37 UStDB von der Umsatzsteuer-Freiheit ausgenommen ist. Selbst wenn die Ansicht des Stpfl., daß der Grundstücksbegriff des § 4 Ziff. 10 UStG Scheinbestandteile mitumfaßt, richtig wäre, käme Steuerfreiheit für die Vermietung der Maschine auch nur im Falle der Nichtigkeit des § 37 UStDB in Betracht. Diese Vorschrift durchbricht auch nicht - wie der Stpfl. glaubt - den Begriff des Grundstücks. Sie schließt lediglich Betriebsvorrichtungen, auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks bilden, von der Steuerfreiheit aus.
Auch aus § 580 BGB läßt sich nichts zugunsten der Ansicht des Stpfl. herleiten. Die Bestimmung besagt, daß, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über die Miete von Grundstücken auch für die Miete von Wohnräumen und anderen Räumen gelten. Aus ihr ergibt sich weder unmittelbar noch mittelbar eine Ausdehnung des bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriffs auf Scheinbestandteile. Es trifft zwar zu, daß im Schrifttum (vgl. Staudinger-Kiefersauer, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, II. Band: Recht der Schuldverhältnisse, 2. Teil, 11. Aufl., Anm. 3 zu § 580) und in der Rechtsprechung (vgl. Oberlandesgericht Kiel, Seuffert's Archiv, Band 61, Nr. 78) teilweise die Auffassung vertreten wird, § 580 BGB sei ohne Rücksicht darauf anwendbar, ob die Räume wesentliche, unwesentliche oder Scheinbestandteile des betreffenden Grundstücks sind; es dürfe sich nur nicht um bewegliche Sachen handeln. Die Anwendbarkeit der schuldrechtlichen Vorschriften über die Miete von Grundstücken auf Räume, die nicht Grundstücksbestandteile im Sinne des § 95 BGB sind, läßt Schlüsse auf das Anwendungsgebiet des § 4 Ziff. 10 UStG indessen nicht zu. Eine erweiternde Auslegung der Vorschriften über die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Vermieter und Mieter durch Schrifttum und Rechtsprechung kann nicht zum Beweise dafür angeführt werden, daß eine Vorschrift des öffentlichen Rechts mit ganz anderer Zielrichtung ebenso auszulegen sei.
Es kommt hinzu, daß sich eine von den Vorschriften des BGB abweichende klare Abgrenzung des Grundstücksbegriffs nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur schwer finden ließe. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Ausdehnung der Umsatzsteuerfreiheit auf die Vermietung aller nur zu einem vorübergehenden Zweck errichteten Baulichkeiten (z. B. Baubuden, Kioske, Tribünen) steuerpolitisch erwünscht wäre. Das Problem ist schon seit fast zehn Jahren bekannt. Es ist in Aufsätzen und Kommentaren behandelt worden. Es konnte, wenn ein Bedürfnis dafür bestand, von den Betroffenen aufgegriffen und den zuständigen Stellen zur gesetzlichen Regelung vorgelegt werden. Gelegenheit dazu war z. B. bei der Einführung des Elften Gesetzes zur änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (a. a. O.), durch das der Geltungsbereich des § 4 Ziff. 10 UStG in anderen Beziehungen erheblich erweitert worden ist. Die Steuergerichte sind nicht befugt, von sich aus einem so eindeutigen Rechtsbegriff wie den Begriff "Grundstück" für § 4 Ziff. 10 UStG eine erweiterte Bedeutung beizumessen.
Fundstellen
Haufe-Index 412402 |
BStBl III 1967, 209 |
BFHE 1967, 508 |
BFHE 87, 508 |