Entscheidungsstichwort (Thema)
KraftSt für ,,Berlin-Anhänger"
Leitsatz (NV)
1. Bis zum 31. 12 1976 durfte für das Halten von ,,Berlin-Anhängern" ohne regelmäßigen Standort in Berlin KraftSt nicht erhoben werden. Der in dem vorschriftswidrig gestellten Antrag auf Zulassung in Berlin liegende Gestaltungsmißbrauch führte jedoch ab 1. 1. 1977 zur KraftSt.
2. Im überregionalen Transportverkehr kann der regelmäßige Standort eines Nutzfahrzeugs (Anhänger) am Ort einer Zweigniederlassung des Zulassungsinhabers anzunehmen sein (hier: bei Einsatzbestimmung durch die Zweigniederlassung in Berlin).
3. Zur örtlichen Zuständigkeit für die Kraftfahrzeugbesteuerung; zum Verhältnis der KraftSt-Tatbestände untereinander.
Normenkette
KraftStG 1972 § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 3; DB KraftStG Bln 1950 § 1 Nr. 1; KraftStDV 1961 § 4 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42; StVZO § 23 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin betreibt ein Transportunternehmen mit Sitz der Geschäftsleitung in G und mehreren Zweigniederlassungen, darunter eine in Berlin. Die Berliner Zweigniederlassung, die durch Aufkauf mehrerer Berliner Güterfernverkehrsunternehmen entstanden ist, hat eigenen Personalbestand und verfügt über eine eigene Kraftfahrzeugwerkstatt auf gemietetem Betriebsgelände; von der Niederlassung aus werden täglich mehrere Transporte abgefertigt. Für die Berliner Niederlassung unterhält die Klägerin eigene, für sie in Berlin (West) zugelassene Kraftfahrzeuganhänger, darunter die Sattelauflieger mit den amtlichen Kennzeichen B . . ., die - im Wechselverkehr zwischen Berlin (West) und dem übrigen Bundesgebiet eingesetzt - zumindest gelegentlich zur Beladung oder Entladung in die Berliner Zweigniederlassung zurückgekehrt sind. Für das Halten dieser Anhänger wurde nach den in Berlin geltenden kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Sondervorschriften des Berliner Landesrechts Kraftfahrzeugsteuer zunächst nicht, dann jedoch, ab 1. Mai 1978, durch die Finanzbehörde in Berlin erhoben. Das Finanzamt - FA - setzte, ausgehend davon, daß die Klägerin bei der ,,Berlin-Zulassung" unrichtige Angaben über den Standort der Anhänger gemacht, sie somit - nach seiner (des FA) Ansicht - widerrechtlich benutzt habe, gegen die Klägerin durch Bescheide vom 16. November 1981 für die Zeit vom 7. Juni 1973 bzw. vom 30. Januar 1976 bis zum 30. April 1978 Kraftfahrzeugsteuer fest. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Bescheide mit der Begründung auf, das FA sei örtlich nicht zuständig, insbesondere nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung (KraftStDV) 1961. Es liege auch kein Steuertatbestand vor. Die Anhänger seien, da ordnungsgemäß zugelassen, nicht widerrechtlich benutzt worden. Die Klägerin habe die Berlin-Zulassung der Anhänger auch nicht durch mißbräuchliche Gestaltung erwirkt, denn angesichts von Art und Geschäftsumfang der Berliner Niederlassung könne nicht angenommen werden, daß die Klägerin in Berlin nur Scheinstandorte der Anhänger begründet habe. Im überregionalen Transportverkehr, in dem sich - wie im Streitfalle - aufgrund ständigen Einsatzes der Fahrzeuge ein tatsächlicher Standort nicht ohne weiteres feststellen lasse, sei der bei bestimmungsgemäßer Verwendung sich ergebende Einsatzmittelpunkt als regelmäßiger Standort maßgebend. Das könne zwar der Sitz des Verfügungsberechtigten sein, doch bestimme dieser in Fällen des häufigen Wechsels des Einsatzortes einen Betriebssitz als Verwendungsmittelpunkt. Die Berliner Niederlassung der Klägerin stelle einen straßenverkehrsbezogenen Mittelpunkt dar. Angesichts des Umfangs ihres Geschäftsbetriebs mit einer Vielzahl von Niederlassungen im In- und Ausland sowie des ständigen Einsatzes der Anhänger habe die Klägerin frei bestimmen können, welcher Niederlassung sie die Fahrzeuge zuordnete. Es reiche aus, wenn diese gelegentlich und nur für kurze Zeit an den maßgeblichen Betriebssitz zurückkehrten. Die Anmeldung in Berlin sei vielleicht nicht zwingend, jedenfalls aber auch nicht unrichtig gewesen; keinesfalls lasse sie eine Mißbrauchsabsicht erkennen. Im übrigen habe die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung des Haltens von Anhängern und das Verbot der Steuererhebung nach früherem Berliner Landesrecht nur die Berlin-Zulassung der Anhänger, nicht aber die Begründung eines tatsächlichen Standorts in Berlin vorausgesetzt.
Die Revision des FA macht demgegenüber geltend, § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KraftStDV 1961 müsse im Hinblick auf die richtige Bestimmung des Kraftfahrzeugsteuer-Gläubigers berichtigend dahin ausgelegt werden, daß das Finanzamt örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen worden ist, es sei denn, daß diese Zulassung gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) verstieß. Es könne nicht hingenommen werden, daß eine Zulassungsbehörde durch Verletzung dieser Vorschrift den Kraftfahrzeugsteueranspruch eines Landes begründe und die Ansprüche anderer Länder unterdrücke. Erst recht sei es nicht annehmbar, daß durch eine derartige Zulassung die Zuständigkeit der Berliner Finanzbehörde begründet werde, mit der Folge ungerechtfertigter Nichterhebung der Kraftfahrzeugsteuer. Ein verkehrsrechtliches Fehlverhalten dürfe nicht durch eine Kraftfahrzeugsteuervergünstigung belohnt werden.
Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat das FA noch gerügt, das FG habe wegen der angenommenen Wirkung der Berlin-Zulassungen nicht aufgeklärt, ob die Anhänger der Klägerin ihren Standort in Berlin hatten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, obwohl die Aufklärungsrüge des FA verspätet, mithin unbeachtlich ist (vgl. § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), und zwar als Streitwertrevision (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - a. F.); sie ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen, ohne daß es darauf ankäme, ob der Gegenantrag der Klägerin als durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die nicht zur Vertretung berechtigt ist (Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG; vgl. Bundesfinanzhof, Beschluß vom 23. November 1978 V B 21/77, BFHE 126, 270, BStBl II 1979, 99) oder - nur dann beachtlich - als durch einen ihrer Vertreter gestellt anzusehen ist. Das FG hat der Klage mit Recht stattgegeben.
1. Die Klage mußte Erfolg haben, und zwar aus materiell-rechtlichen Gründen, weil nämlich die Klägerin durch das Halten und Benutzen der beiden Anhänger in der Zeit bis zum 30. April 1978 keinen zur Kraftfahrzeugsteuer führenden Tatbestand verwirklicht hat. Die Frage, ob die Zuständigkeit des FA aus § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) herzuleiten ist (vgl. nachstehend Nr. 3) oder ob ein Zuständigkeitsmangel gemäß § 127 AO 1977 folgenlos bleibt, stellt sich nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Zuständigkeit auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 KraftStDV 1961 gegründet werden könnte. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß auch, wenn § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KraftStDV 1961, wie die Revision meint, ,,berichtigend" auszulegen wäre, daraus nur der Mangel der örtlichen Zuständigkeit des Finanzamts für Erbschaftsteuer und Verkehrsteuern in Berlin folgen würde, nicht dagegen - positiv - die Zuständigkeit des FA. Diese läßt sich auch nicht auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KraftStDV 1961 stützen, jedenfalls deshalb nicht, weil die beiden Anhänger verkehrsrechtlich zugelassen waren.
2. Das FA hat zwar nicht mehr ausdrücklich, wohl aber, wie sich aus dem Revisionsvorbringen zur Auslegung von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KraftStDV 1961, mithin der Berufung auf die Zuständigkeit der Erstbefassung (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KraftStDV 1961) ergibt, dem Sinne nach die Auffassung vertreten, die Anhänger seien durch die Klägerin widerrechtlich benutzt worden (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG - 1972). Dem kann nicht gefolgt werden. Wie der Senat entschieden hat (Urteil vom 4. März 1986 VII R 166/83, BFHE 146, 282, BStBl II 1986, 531 f.), ist bei Verwirklichung des (Haupt-) Tatbestands des ,,Haltens" eines Fahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen - § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972 - dessen widerrechtliches Benutzen durch den Zulassungsinhaber stets, durch einen Dritten jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Benutzung mit Einverständnis des Zulassungsinhabers erfolgt, ohne daß es eine Rolle spielt, ob das Halten zur Kraftfahrzeugsteuerpflicht des Zulassungsinhabers führt oder ob es kraftfahrzeugsteuerfrei ist. Der kraftfahrzeugsteuerrechtliche Haupttatbestand war im Streitfalle durch die Zulassung der Anhänger in Berlin verwirklicht; wirksam war die Zulassung selbst dann, wenn sie unter Verstoß gegen verkehrsrechtliche Vorschriften erwirkt worden sein sollte. Damit schied, wie von der Vorinstanz richtig erkannt, eine Inanspruchnahme der Klägerin wegen widerrechtlicher Benutzung aus.
3. Die Klägerin war auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972 für das Halten der Anhänger bis zum 30. April 1978 kraftfahrzeugsteuerpflichtig. Nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Berliner Landesrecht - § 1 Nr. 1 der Durchführungsbestimmungen vom 16. September 1950 zu dem durch Gesetz vom 3. August 1950 geänderten Kraftfahrzeugsteuergesetz (Gesetz- und Verordungsblatt für Berlin Sb II 6111-2) - war das Halten in Berlin zugelassener Kraftfahrzeuganhänger schlechthin, ohne Rücksicht auf ihren tatsächlichen Standort, von der Kraftfahrzeugsteuer befreit (Senat, Urteil vom 13. August 1985 VII R 172/83, BFHE 144, 176, 179, BStBl II 1985, 636, 638). Allerdings entstand, wenn die Berlin-Zulassung zu Unrecht, unter Vorgabe eines regelmäßigen Standorts in Berlin, für Anhänger mit tatsächlichem Standort im übrigen Bundesgebiet erreicht wurde, Kraftfahrzeugsteuer nach den kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Vorschriften in Verbindung mit § 42 AO 1977, mit der Folge der örtlichen Zuständigkeit des Finanzamts, in dessen Bezirk die Zulassung hätte erfolgen müssen (Senat in BFHE 144, 176, 181, 184, BStBl II 1985, 636). Das gilt nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 15. Juli 1986 VII R 178/83, BFHE 147, 190, BStBl II 1986, 735) auch, wenn die Berlin-Zulassung eines noch nach dem 31. Dezember 1976 gehaltenen Anhängers zuvor zu Unrecht betrieben wurde, jedoch nur für die Kraftfahrzeugbesteuerung vom 1. Januar 1977 an.
Für das Halten der Anhänger bis zum 31. Dezember 1976 kann die Klägerin danach keinesfalls kraftfahrzeugsteuerrechtlich in Anspruch genommen werden. Dasselbe gilt aber auch für die Zeit ab 1. Januar 1977. Denn Voraussetzung für eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht von diesem Zeitpunkt an wäre, daß die Berlin-Zulassung unter Verstoß gegen Verkehrsrecht (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und 4 Nr. 1 StVZO), durch unrichtige Angabe eines Standorts in Berlin, beantragt und erreicht wurde. Davon kann im Streitfalle nicht ausgegangen werden.
Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen über die Entstehung, den Betrieb der Berliner Niederlassung der Klägerin, die sachliche Ausstattung der Niederlassung mit eigener Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt, die von dort erfolgende tägliche Abfertigung von Transporten im Berlin-Verkehr und die zumindest gelegentliche Rückkehr der beiden Anhänger zu der Niederlassung in Berlin - Feststellungen, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, weil zulässige und begründete Verfahrensrügen dagegen nicht vorgebracht worden sind -, lassen den Schluß der Vorinstanz, in Berlin habe sich der ,,straßenverkehrsbezogene Mittelpunkt" der Fahrzeuge, damit der maßgebliche regelmäßige Standort i. S. von § 23 Abs. 1 StVZO befunden, als möglich erscheinen. Zutreffend weist das FG darauf hin, daß nach der Verkehrsrechtsprechung (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9. Dezember 1983 7 C 70.81, Verkehrsrechts-Sammlung - VRS - 66, 309, 312) in den Fällen des überregionalen Transportverkehrs, in denen sich wegen des ständigen Einsatzes der Fahrzeuge ein tatsächlicher Standort nicht ohne weiteres feststellen läßt, der Ort maßgebend ist, der bei bestimmungsgemäßer Verwendung der Fahrzeuge der Einsatzmittelpunkt ist. Dies kann zwar der Sitz der Geschäftsleitung sein, doch kann der Einsatzmittelpunkt auch am Ort einer Zweigniederlassung anzunehmen sein (vgl. Full/Möhl/Rüth, Straßenverkehrsrecht, 1980, § 23 StVZO Bem. 9), wenn der Einsatz der Fahrzeuge nicht - wie im Falle des Senatsurteils in BFHE 147, 190, BStBl II 1986, 735, in dem es auch an eigenen Abstellplätzen bei der Berliner Zweigniederlassung fehlte - von der Geschäftsleitung außerhalb Berlins, sondern von der Niederlassung aus bestimmt wird. Wechselt der Einsatzort, so kann sich auch ergeben, daß mehrere Orte als Einsatzmittelpunkte in Betracht kommen; in diesem Falle, in dem objektive Gesichtspunkte, die für die Bestimmung des regelmäßigen Standorts stets maßgebend sind (BVerwG, Beschluß vom 18. Juni 1981 7 B 137.81, VRS 62, 235 f.), für den einen wie den anderen Ort als Einsatzmittelpunkt sprechen, wird dem Verfügungsberechtigten die Auswahl überlassen (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl. 1985, § 23 StVZO Rz. 16; Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer-Kommentar, 3. Aufl. 1981, Abschn. 64b, aa = S. 332; Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 25. Mai 1966 2 Ss 1128/65, VRS 31, 389 f.; vgl. auch Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 4. September 1980 12 OVG A 76/80, Entscheidungssammlung 35, 499, 501). Selbst wenn im Streitfalle - was nicht festgestellt worden ist - neben Berlin ein anderer Ort Verwendungsmittelpunkt hätte sein können, so würde sich daraus noch nicht ergeben, daß die im Zulassungsantrag enthaltene Angabe eines regelmäßigen Standorts der Anhänger in Berlin, am Ort der Zweigniederlassung der Klägerin, unrichtig war, die Berlin-Zulassung verkehrsvorschriftswidrig erwirkt wurde.
Ein nach § 42 AO 1977 (ab 1. Januar 1977) steuerlich erhebliches verkehrsrechtliches Fehlverhalten der Klägerin läßt sich hiernach entgegen der Ansicht der Revision nicht feststellen.
Fundstellen