Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer "ähnlichen" Darbietung
Leitsatz (NV)
1. Eine "ähnliche" Darbietung i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt jedenfalls dann vor, wenn die Darbietung zum Grenzbereich der ausdrücklich genannten künstlerischen, sportlichen und artistischen Darbietungen gehört, sich lediglich graduell von diesen unterscheidet und Schnittstellen zu diesen aufweist, die der Darbietung als solcher ihrerseits einen gewissen eigenschöpferischen Charakter verleihen.
2. Ein Auftritt, der in der Präsentation bestimmter Bewegungsabläufe im Einklang mit Musik besteht, wobei zu den präsentierenden Bewegungsabläufen auch das weitgehende Entkleiden gehört, erfüllt diese Voraussetzungen.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, Nr. 3, § 50a Abs. 4 S. 1 Nrn. 1-2; EStDV § 73g; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 25.04.2006; Aktenzeichen 11 K 6822/02, 11 K 6823/02; EFG 2006, 1166) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) geleistete Vergütungen bei den Empfängern zu inländischen Einkünften gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990/1997) führen, für die die Klägerin gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990/1997 zum Steuerabzug verpflichtet ist.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist der Handel mit … Die Klägerin wurde als GmbH gegründet und im Juli 1996 formwechselnd in eine GmbH & Co. KG umgewandelt.
Von 1995 bis 1999 (Streitjahre) engagierte die Klägerin für Messeauftritte sowie für eine jährlich stattfindende hauseigene Vertriebsveranstaltung verschiedene Tänzerinnen aus den USA, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Die auf den Veranstaltungen als "…" bezeichneten Tänzerinnen hatten die Aufgabe, sich auf einer Bühne nach Art eines erhöhten Laufstegs mit heller Beleuchtung zu präsentieren. Hierbei sollten sie jeweils den Laufsteg auf und ab gehen und sich zu Musik bis auf einen Bikini oder Badeanzug entkleiden. Jede Tänzerin trat in der Regel pro Tag viermal für jeweils drei bis fünf Minuten auf. Für die Auftritte wurden eine Gage sowie die Übernahme der Aufwendungen für Flug, Hotel und Verpflegung durch die Klägerin vereinbart. Einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 und 5 EStG 1990/1997 nahm die Klägerin nicht vor.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ gestützt auf § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 EStG 1990/1997 i.V.m. § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) Haftungsbescheide gegen die Klägerin, mit denen er diese für die Streitjahre wegen nicht einbehaltener und abgeführter Abzugsbeträge in Anspruch nahm. Hierbei legte er die Gage sowie die übernommenen Aufwendungen zugrunde, wobei diese zum Teil im Schätzungswege ermittelt wurden.
Den hiergegen erhobenen Klagen gab das Finanzgericht (FG) statt (FG Münster, Urteile vom 25. April 2006 11 K 6822/02 und 11 K 6823/02). Die Vorentscheidung zu dem Verfahren I R 82/06 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1166 veröffentlicht.
Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt sinngemäß, die Urteile des FG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Revisionen sind begründet. Sie führen gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung der erstinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klagen.
Die gegenüber der Klägerin erlassenen Haftungsbescheide sind rechtmäßig.
1. Die Klägerin war hinsichtlich der von ihr für die Auftritte geleisteten Vergütungen gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990/1997 zum Steuerabzug verpflichtet. Zwar handelt es sich bei den Auftritten weder um eine Tätigkeit als Künstler i.S. von § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 noch um künstlerische Darbietungen i.S. von § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990/1997 (vgl. zur fehlenden künstlerischen Tätigkeit von Fotomodellen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Juni 1967 IV 62/65, BFHE 89, 219, BStBl III 1967, 618). Jedoch erfüllen die Auftritte die Voraussetzungen einer ähnlichen Darbietung i.S. des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990/1997.
a) Der Streitfall gibt keine Veranlassung, zum Begriff "ähnliche Darbietungen" abschließend Stellung zu nehmen (vgl. hierzu bisher Senatsurteil vom 17. November 2004 I R 20/04, BFH/NV 2005, 892 betr. eine konzeptionelle Bühnenshow; lediglich implizit Senatsbeschluss vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254 betr. Interviewpartner in Talkshows; zu Letzteren auch FG München, Beschluss vom 9. April 1998 1 V 618/98, EFG 1998, 1013). Eine ähnliche Darbietung liegt jedenfalls dann vor, wenn es sich einerseits um eine Aufführung oder Vorführung vor Publikum handelt und andererseits die erbrachten Leistungen zum Grenzbereich der ausdrücklich genannten künstlerischen, sportlichen und artistischen Darbietungen gehören (vgl. Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 536; Frotscher, EStG, § 49 Rz 23; Hidien in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz E 337), sich lediglich graduell von diesen unterscheiden (vgl. Lüdicke in Lademann, EStG, § 49 Rz 474) und Schnittstellen zu diesen aufweisen, die der Darbietung als solcher ihrerseits einen gewissen eigenschöpferischen Charakter verleihen (vgl. Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 49 Rz 42; in diese Richtung auch FG Nürnberg, Urteil vom 28. Januar 1998 III 128/95, EFG 1998, 951 betr. die Tätigkeit von Fotomodellen; weiter gehend Thüringer FG, Urteil vom 18. Oktober 2000 I 1043/00, EFG 2001, 74 betr. Ritterschauspiele und Vorführung handwerklicher Tätigkeiten des Mittelalters).
So verstandene Berührungspunkte zu einer künstlerischen Darbietung wiesen die Auftritte der Tänzerinnen im Streitfall auf. Nach den Feststellungen des FG bestanden die Auftritte in der Präsentation bestimmter Bewegungsabläufe im Einklang mit Musik, wobei zu den zu präsentierenden Bewegungsabläufen auch das weitgehende Entkleiden gehörte. Hieraus ergibt sich eine hinreichende Nähe zu einer als künstlerische Darbietung anzusehenden tänzerischen Aufführung. Ob darüber hinaus und unabhängig von einem derartigen qualitativen Kriterium sämtliche Darbietungen mit vergleichbarem Unterhaltungscharakter oder das gesamte Show- und Unterhaltungsgeschäft unter den Begriff der ähnlichen Darbietungen fallen (so wohl Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. Januar 1996, BStBl I 1996, 89, unter Tz 2.2.1; Krabbe, Finanz-Rundschau --FR-- 1986, 425, 426; Kempermann, FR 1999, 857, 858), kann im Streitfall offenbleiben.
b) Der Senat teilt nicht die gegen das Tatbestandsmerkmal der ähnlichen Darbietungen geäußerten Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 26. Aufl., § 49 Rz 28). Aus den ausdrücklich genannten Tätigkeiten ergeben sich genügend Anhaltspunkte für eine wertende Ausfüllung des Begriffs (vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz 5.200; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 42).
2. Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall von der Verpflichtung zum Steuerabzug befreiende Freistellungsbescheinigungen gemäß § 50d Abs. 3 EStG erteilt wurden, sind nicht ersichtlich. Den ihr mithin obliegenden Steuerabzug hat die Klägerin nicht vorgenommen. Das FA war daher gemäß § 73g EStDV berechtigt, die Klägerin in Haftung zu nehmen. Besonderer Darlegungen zur Ausübung des Auswahlermessens bedurfte es aufgrund der beschränkten Steuerpflicht der Steuerschuldnerinnen und mangels ersichtlicher Zugriffsmöglichkeit im Inland nicht (vgl. Senatsurteil vom 5. November 1992 I R 41/92, BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407; Senatsbeschlüsse vom 3. Dezember 1996 I B 44/96, BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306; vom 8. November 2000 I B 59/00, BFH/NV 2001, 448). Die Haftungsbescheide sind auch der Höhe nach rechtmäßig. Soweit die Höhe der gezahlten Vergütungen nicht feststand, durfte das FA einen Betrag schätzen (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung). Anhaltspunkte dafür, dass die teilweise vorgenommene Schätzung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1855212 |
BFH/NV 2008, 356 |