Leitsatz (amtlich)
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2. Das rechtliche Gehör wird nicht verletzt, wenn das FG die den Streitfall betreffenden Akten der beteiligten Finanzbehörde anfordert, ohne den Kläger darüber zu unterrichten.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; FGO § 71 Abs. 2, §§ 79, 96 Abs. 2
Tatbestand
... Die Revision rügt weiter, das FG habe das rechtliche Gehör, den Grundsatz der mündlichen Verhandlung und die Sachaufklärungspflicht verletzt. Das FG habe zwar die von der Klägerin angeforderten Umsatz- und Gewinnzahlen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es habe aber nicht berücksichtigt, daß 1971 eine Betriebsprüfung stattgefunden habe, die sich auf diese Zahlen ausgewirkt habe. Dabei hätte das FG von den beigezogenen Steuerakten ausgehen müssen. Daß diese Akten beigezogen waren, habe die Klägerin jedoch nicht gewußt. Andernfalls hätte sie zu dem Akteninhalt Stellung nehmen können und auch tatsächlich Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen der Klägerin sind nicht begründet.
a) Das FG hat das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt. Das FG hat seine Entscheidung weder auf Tatsachen noch auf Beweismittel gestützt, zu denen die Klägerin nicht hätte Stellung nehmen können.
aa) Die der Vorentscheidung zugrunde gelegten Umsätze und Gewinne beruhen auf eigenen Angaben der Klägerin. Falls diese Zahlen sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem FG als korrekturbedürftig erwiesen haben sollten, hätte die Klägerin in ihrem Vortrag aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung darauf hinweisen müssen. Die Klägerin räumt selbst ein, daß sie vor dem FG sehr ausführlich zu Wort gekommen sei.
bb) Das FG hat das rechtliche Gehör der Klägerin auch nicht dadurch verletzt, daß es die ihren Betrieb betreffenden Einkommensteuerakten und Körperschaftsteuerakten des FA beigezogen hat, ohne die Klägerin hierüber zu unterrichten. Nach § 71 Abs. 2 FGO hat das FA nach Empfang der Klageschrift die den Streitfall betreffenden Akten an das Gericht zu übersenden. Kommt die Behörde dieser Verpflichtung nicht nach, so muß das FG die Akten anfordern. Dies ergibt sich auch aus der Verpflichtung des FG, den Sachverhalt, der für die Entscheidung der streitigen Rechtsfrage von Bedeutung ist, von Amts wegen aufzuklären (§ 76 FGO).
Der Rechtsstreit wird um den Erlaß von Straßengüterverkehrsteuer geführt. Dieser Erlaß setzt voraus, daß die Klägerin durch die Einziehung der Steuer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist oder geraten würde (§ 7 StGVStG). Das FA vertritt hierzu den Rechtsstandpunkt, daß nur vorübergehende wirtschaftliche Schwierigkeiten einen Erlaß nicht rechtfertigen könnten. Deshalb mußte sich das FG darauf einstellen, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht des Sachverhalts auch Feststellungen darüber treffen zu können, ob die Klägerin durch die Zahlung der Steuer nicht nur im Erlaßzeitraum, sondern auch noch für Folgezeiten in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnte. Diese Verpflichtung des FG ergibt sich auch aus § 79 FGO. Danach hat der Vorsitzende oder ein von ihm bestimmter Richter schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die erforderlich sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung erledigen zu können.
Die Klägerin hatte zu jeder Zeit des Verfahrens die Möglichkeit, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden weiteren Akten einzusehen (§ 78 Abs. 1 FGO). Es kann aber das rechtliche Gehör der Klägerin nicht dadurch verletzt worden sein, daß das FG sie nicht über den Inhalt der Verfahrensordnung und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen der Beteiligten und des Gerichts zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung umfassend aufgeklärt hat.
b) Das FG hat auch seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt. Denn es hat alle Umstände tatsächlicher Art festgestellt und berücksichtigt, die für seine Entscheidung wesentlich erschienen. Außerdem ist zu beachten, daß die Sachaufklärungspflicht des FG durch die Verpflichtung zur Mitwirkung der Parteien bei der Sachaufklärung ergänzt wird. Aus dieser Mitwirkungspflicht folgt, daß der Steuerpflichtige vor allem bei der Aufklärung von Sachverhaltsmerkmalen, die nach seiner Meinung zu seinen Gunsten sprechen, die Sachaufklärung durch entsprechenden Tatsachenvortrag unterstützen muß. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG aber nichts dafür vorgetragen, daß die von ihr mitgeteilten Gewinn- und Umsatzzahlen sich aufgrund neuerer Erkenntnisse verändert hätten.
Mangelnde Sachaufklärung ist auch nicht insoweit gegeben, als das FG festgestellt hat, die Klägerin habe ihren Standort gewählt, weil er in der Verkehrsmitte mehrerer Großstädte liegt. Dagegen behauptet die Klägerin, die Standortwahl sei durch familiäre Gründe bedingt gewesen. Das FG hat aus der beanstandeten Feststellung keine für die Klägerin nachteiligen Folgerungen gezogen. Es hat vielmehr in der Begründung seiner Entscheidung zusammenfassend ausgeführt, aufgrund der eingehenden Sachdarstellung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung habe es sich ein gründliches Bild über die Eigenart des Betriebs der Klägerin und seiner geographischen Lage machen können. Es zog daraus die Folgerung, daß die Klägerin den Werkverkehr in dem von ihr durchgeführten Umfang nicht entbehren könne. Die Klägerin kann damit nicht mit der Einwendung gehört werden, das FG habe den Grundsatz der mündlichen Verhandlung verletzt, weil es die Standortwahl mit der geographischen Lage des Standorts begründet habe, obwohl während der gesamten Verhandlung die bahntechnisch ungünstige Lage ihres Standorts unstreitig gewesen sei. Denn die Entscheidung des FG beruht nicht auf der von der Klägerin beanstandeten Feststellung.
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Fundstellen
Haufe-Index 71497 |
BStBl II 1975, 741 |
BFHE 1975, 527 |