Entscheidungsstichwort (Thema)
Mündliche Verhandlung trotz krankheitsbedingter Verhinderung des Klägervertreters
Leitsatz (NV)
Das FG verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Prozeßbevollmächtigten durchführt, obwohl es dem auf Krankheit des Bevollmächtigten gestützten Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 9/91, BFH/NV 1993, 180).
Normenkette
FGO § 119 Nr. 3, § 155; ZPO § 227 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren (1982 bis 1984) ein Unternehmen für ... Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) waren die Eheleute AC, BC und D.
Nach einer Außenprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit Bescheiden vom 29. Oktober 1987 die Umsatzsteuerveranlagungen der Streitjahre. Das FA behandelte Aufwendungen für Geschenke und Bewirtung als Eigenverbrauch, kürzte Vorsteuerbeträge wegen fehlendem Bezug der Leistung für das Unternehmen der Klägerin bzw. wegen fehlendem Steuerausweis in der Rechnung und erfaßte gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer aus der Rechnung über die Veräußerung eines nicht zum Unternehmen gehörenden Pkw. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin erhob Klage gegen die Änderungsbescheide. Mit Verfügung des Vorsitzenden des Senats des Finanzgerichts (FG) vom 4. September 1990 wurde die münd liche Verhandlung auf den 13. November 1990 anberaumt. Am 7. September 1990 wurde die Ladung dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Am 7. November 1990 teilte die Ehefrau des Bevollmächtigten dem Berichterstatter telefonisch mit, ihr Ehemann sei ins Krankenhaus eingeliefert worden; der Termin zur mündlichen Verhandlung solle auf Januar 1991 verschoben werden. Der Berichterstatter bat um einen schriftlichen Antrag und um eine ärztliche Bescheinigung. Ebenfalls am 7. November 1990 ging beim FG ein von der Ehefrau des Bevollmächtigten in dessen Auftrag unterzeichnetes Schreiben des Bevollmächtigten ein. In dem Schreiben heißt es, der Bevollmächtigte befinde sich seit dem 7. November 1990 wegen einer Operation im Krankenhaus in E und beantrage die Verlegung des Termins in den Monat Januar 1991. Das FG verhandelte am 13. November 1990 ohne den Bevollmächtigten. Im klageabweisenden Urteil wies das FG den Antrag des Bevollmächtigten auf Verlegung des Termins zurück, "weil die krankheitsbedingte Verhinderung des Klägervertreters nicht glaubhaft gemacht worden ist (vgl. Vermerk über das Telefongespräch des Berichterstatters mit der Frau des Klägervertreters am 7. 11. 1990) und die Klin. ihren prozessualen und steuerlichen Mitwirkungspflichten seit März 1990 nicht nachgekommen ist (vgl. gerichtliche Verfügung vom 15. 3. 1990 sowie BFH-Beschluß vom 20. 6. 1974 IV B 55-56/73, BStBl II 1974, 637)".
Im übrigen hielt das FG die Klage für unbegründet und führte aus: Die Feststellungen der Außenprüfung unterlägen keinem Verwertungsverbot; das Vorbringen der Klägerin lasse keine Umstände erkennen, die ein Verwertungsverbot begründen könnten. Der Klägerin sei vom FA das rechtliche Gehör nicht versagt worden, denn die Betriebsprüferin habe ihre Feststellungen mit dem Bevollmächtigten der Klägerin durchgesprochen. Die Bekanntmachung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin sowie die Zustellung der Einspruchs entscheidung an den Bevollmächtigten der Klägerin seien rechtsfehlerfrei. Rechtsgrundlage der Änderungsbescheide sei (jedenfalls) § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Auch die materiell-rechtlichen Einwendungen der Klägerin gegen die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide hielt das FG nicht für durchgreifend: Die Aufwendungen für Geschenke und Bewirtungen habe das FA zu Recht als Eigenverbrauch behandelt, weil die Klägerin keine zeitnahen, gesonderten Aufzeichnungen über die Zuwendungen angefertigt habe (vgl. § 4 Abs. 5 und 7 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --). Dem Begehren der Klägerin auf Berücksichtigung weiterer Vorsteuerbeträge könne nicht entsprochen werden, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß die beanspruchten Beträge nicht bereits in den abgezogenen Vorsteuerbeträgen enthalten seien. Der Vorsteuerbetrag aus dem Kauf eines Pkw sei nicht abziehbar, weil dieser Pkw nicht für das Unternehmen, sondern für die Gesellschafterin angeschafft worden sei.
Auf die Beschwerde der Klägerin ließ der Senat mit Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 9/91 (BFH/NV 1993, 180) die Revision mit der Begründung zu, das FG habe durch Ablehnung des Verlegungsantrags und Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne den Bevollmächtigten den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.
Mit der Revision rügt die Klägerin neben Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das FG (wegen der ohne ihren Bevollmächtigten durchgeführten mündlichen Verhandlung) zahlreiche Verstöße des FA gegen Vorschriften der AO 1977 sowie des Strafgesetzbuches, Amtspflichtverletzungen von Bediensteten des FA, ferner Verstöße des FG gegen Vorschriften der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet:
1. Wie der Senat im Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 9/91 (BFH/NV 1993, 180) im einzelnen ausgeführt hat, verletzt das Urteil des FG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Das FG hat die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin durchgeführt, obwohl es dem auf Krankheit des Bevollmächtigten gestützten Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen. Auf den bezeichneten Beschluß des Senats wird Bezug genommen.
2. Der Senat kann nicht durcherkennen. Die bisher vom FG (verfahrensfehlerhaft) getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluß auf die Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerbescheide 1982 bis 1984 und der Einspruchsentscheidung. Das FG wird erneut die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Die Sache war daher auf den Hilfsantrag der Klägerin unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen