Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung im Einspruchsverfahren durch Lebenssachverhalt des Steuerbescheides begrenzt
Leitsatz (NV)
Reicht der durch den Grunderwerbsteuerbescheid erfaßte Lebenssachverhalt nicht aus, um den Steuerbescheid zu begründen, so kann dieser Mangel nicht dadurch geheilt werden, daß der Einspruchsentscheidung der zutreffende, den Steueranspruch begründende, Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird. Es handelt sich nicht lediglich um einen Begründungsmangel des Steuerbescheides. Die Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig, weil ihr ein anderer Lebenssachverhalt zugrundegelegt worden ist als dem Steuerbescheid. Die dem Finanzamt im Einspruchsverfahren eingeräumte Überprüfungsberechtigung und damit seine Entscheidungsbefugnis wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt begrenzt.
Normenkette
AO 1977 §§ 126, 348 Abs. 1, § 367 Abs. 2 S. 1; FGO § 44 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte auf ihr gehörenden Grundstücken (L-Straße) den Rohbau eines Büro- und Wohngebäudes bis zum Erdgeschoß erstellt. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 10. April 1979 (UR 851/1979) bot die Klägerin noch zu benennenden Dritten den Abschluß von Kaufverträgen über - noch zu bildende - Miteigentumsanteile von insgesamt 902990/1000000 des Gesamtgrundstücks an. Das Benennungsrecht räumte die Klägerin der A Baubetreuung GmbH (A) ein. Am gleichen Tag machte die B-KG der Klägerin ein von demselben Notar beurkundetes Kaufangebot (U 852/1979). Es betraf denselben Anteil an dem Gesamtgrundstück, auf den sich das Verkaufsangebot der Klägerin erstreckte. Als Kaufpreis bot die B-KG 6300000 DM an. Dieser sollte mit einem von der B-KG der Klägerin gewährten Darlehen in gleicher Höhe verrechnet werden. Der entsprechende Darlehensvertrag wurde ebenfalls am 10. April 1979 abgeschlossen.
Die A erteilte einem Steuerberater einen Treuhandauftrag. Dieser erwarb im Namen der einzelnen Bauherren mit Kaufverträgen vom 21. Dezember 1979 und vom 29. Mai 1980 insgesamt 902990/1000000 des Grundstücks; die restlichen 97010/1000000 behielt die Klägerin. Die Zahlungsansprüche aus den Kaufverträgen trat die Klägerin an die B-KG ab.
Am 15. Juli 1982 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gegen die B-KG gemäß § 1 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes Baden-Württemberg (GrEStG) wegen Verschaffung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit - Darlehensvertrag vom 10. April 1979 an 902990/1000000 Miteigentum an dem Grundstück L-Straße Grunderwerbsteuer fest. Als Gegenleistung zog das FA den Darlehensbetrag von 6300000 DM heran. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Da die Steuer weder bezahlt wurde noch beigetrieben werden konnte, setzte das FA durch Bescheid vom 11. Mai 1983 gemäß § 31 Nr. 1 GrEStG gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer als Veräußerin in gleicher Höhe fest. In Abschn. A des Grunderwerbsteuerbescheids ist der maßgebende Rechtsvorgang mit Verschaffung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit - Darlehensvertrag vom 10.4. 1979/B-KG bezeichnet. In Abschn. C Erläuterungen des Bescheids heißt es: Im April 1979 übertrug die ... (Klägerin) ... der Firma B-KG durch Abschluß gegenseitiger Verträge die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit an den Grundstücken L-Straße ... Dieser Rechtsvorgang unterliegt nach § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes der Grunderwerbsteuer.
Der Einspruch der Klägerin wurde durch Entscheidung vom 14. Oktober 1985 als unbegründet zurückgewiesen. Das FA führte u.a. aus, daß die Klägerin der B-KG zusammen mit der von den selben Gesellschaftern wie die B-KG beherrschten A die Verwertungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GrEStG durch die Vorgänge am 10. April 1979 verschafft habe. Durch die notariell beurkundeten Verkaufsangebote der Klägerin, das Kaufangebot der B-KG und das eingeräumte Darlehen habe die B-KG zusammen mit der A eine Stellung erhalten, die es ihr i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG ermöglicht habe, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Bei den getroffenen Vereinbarungen seien die A und die B-KG als gewisse Einheit anzusehen, wie sich aus § 4 des Darlehensvertrags und der Koppelung des Darlehens mit dem Verkaufsangebot der Klägerin und dem Kaufangebot der B-KG in der Ergänzung vom 10. April 1979 (UR 853/1979) ergebe. Im Zusammenspiel des Verkaufsangebots an die A und des Kaufangebots der B-KG habe über das Grundstück rechtlich und wirtschaftlich verfügt werden können.
Auf die Klage befand das Finanzgericht (FG), daß das FA für die in der Gesamtheit der Vereinbarungen vom 10. April 1979 liegende Übertragung der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis auf die A und die B-KG zu Recht von der Klägerin gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG Grunderwerbsteuer erhoben habe, und wies die Klage als unbegründet ab. Die A, so führte das FG aus, habe die für das Verwertungsrecht nach § 1 Abs. 2 GrEStG erforderliche Herrschaft über das Grundstück durch das ihr bis zum 15. Dezember 1979 unwiderruflich eingeräumte Benennungsrecht erhalten. Diese Rechtsmacht sei wirtschaftlich durch den zwischen der Klägerin und der B-KG geschlossenen Darlehensvertrag untermauert worden; insgesamt sei durch die Verträge das Eigentum der Klägerin wirtschaftlich ausgehöhlt worden. Mittels der erlangten Machtstellung habe die A auch auf eigene Rechnung das Grundstück verwertet.
Dieser Rechtsvorgang sei auch im Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. Mai 1983 ausreichend bezeichnet worden. Zwar sei in Abschnitt A des Grunderwerbsteuerbescheids über den Sachverhalt nur der Darlehensvertrag vom 10. April 1979 mit der B-KG in bezug auf das o.g. Grundstück genannt, obwohl der steuerbare Vorgang, die Verwertungsmöglichkeit von Anteilen des o.g. Grundstücks, im Streitfall sich nicht in dem Darlehensvertrag erschöpfe, sondern ein Bündel von Vereinbarungen umschließe, wie vor allem noch das der A eingeräumte Benennungsrecht sowie das Kaufangebot der B-KG und letztlich auch der Baubetreuungsvertrag, in dem sich die Verwertungsmöglichkeit realisiert habe. Es sei also in dem Grunderwerbsteuerbescheid nur ein Teil der Tatsachen bezeichnet, die in ihrer Gesamtheit den Steueranspruch begründeten. Dennoch sei damit ein Lebensvorgang beschrieben, der die Bestimmung zulasse, welchen Lebenssachverhalt der Beklagte habe versteuern wollen. Aus dem Umstand, daß der Bescheid nicht alle Tatsachenelemente aus dem Lebenssachverhalt für die Begründung des Steueranspruchs herangezogen habe, folge lediglich, daß der Bescheid Begründungsmängel aufweise. Sie könnten gemäß § 126 der Abgabenordnung (AO 1977) geheilt werden, wenn die Begründung nachträglich gegeben werde. Dies sei in der Einspruchsentscheidung erfolgt. Dort sei der Lebenssachverhalt ausführlich dargestellt, wenn auch mit der nicht zutreffenden rechtlichen Würdigung, daß die Verwertungsbefugnisse der B-KG übertragen worden seien. Allein die nicht zutreffende rechtliche Würdigung führe jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit des Steuerbescheids. Sei nämlich im Steuerbescheid der Lebenssachverhalt einer Verwertungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 GrEStG erfaßt, dann sei der Steuerbescheid auch dann zu bestätigen, wenn in der rechtlichen Würdigung des im übrigen gleichen Lebenssachverhalts andere tatsächliche Momente, als das FA angenommen hatte, die Steuerschuld begründeten.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß das FG die Rechtmäßigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids darauf gestützt habe, daß durch die Vereinbarung vom 10. April 1979 die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis auf die A und die B-KG übertragen worden sei, obwohl der Grunderwerbsteuerbescheid davon ausgegangen sei, daß der B-KG - allein - die Verfügungsmacht verschafft worden sei. Da dies nach dem Tatbestand der Vorentscheidung nicht der Fall sei, seien das FG-Urteil und der Grunderwerbsteuerbescheid ersatzlos aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Grunderwerbsteuerbescheids.
1. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Zu Unrecht hat das FG den Grunderwerbsteuerbescheid in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (§ 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), bestätigt. Entgegen der Auffassung des FG hat das FA mit der Einspruchsentscheidung nicht eine (lediglich) rechtliche Begründung dafür nachgeholt, daß die Klägerin durch den Grunderwerbsteuerbescheid zu Recht als Veräußerin zur Grunderwerbsteuer herangezogen worden sei. Vielmehr hat das FA, was das FG verkannt hat, in der Einspruchsentscheidung den durch den Grunderwerbsteuerbescheid erfaßten Lebenssachverhalt durch einen anderen Lebenssachverhalt ersetzt und damit § 348 Abs. 1 AO 1977 verletzt.
Nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ist die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, verpflichtet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Gegenstand der Entscheidung ist der angefochtene Verwaltungsakt (§ 348 Abs. 1 AO 1977); gegen diesen richtet sich der Rechtsbehelf des von dem Verwaltungsakt Betroffenen (vgl. § 350, § 357 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO 1977). Daraus folgt, daß die dem FA eingeräumte Überprüfungsberechtigung und damit seine Entscheidungsbefugnis im Einspruchsverfahren durch den angefochtenen Verwaltungsakt begrenzt wird. Nur im Rahmen des Lebenssachverhalts, der durch den angefochtenen Verwaltungsakt erfaßt worden ist, darf das FA prüfen, ob der steuerrechtlich erhebliche Sachverhalt richtig und vollständig ermittelt worden und die nach dem verwirklichten Steuertatbestand entstandene Steuer richtig festgesetzt worden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561 zu III. 2. b der Urteilsgründe). Aus § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ergibt sich nichts anderes, denn auch eine Entscheidung zum Nachteil dessen, der den Einspruch eingelegt hat, kann nur im Rahmen der dem FA eingeräumten Überprüfungsberechtigung und damit nur in den Grenzen des von dem angefochtenen Verwaltungsakt erfaßten Lebenssachverhalts ergehen.
Die Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 1985 war danach rechtswidrig, denn das FA hat ihr einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nicht Gegenstand des Steuerbescheids gewesen war.
Nach dem Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. Mai 1983 hat das FA die Tatsachen, die nach seiner Auffassung den Steuertatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG erfüllt haben, dem zwischen der Klgäerin und der B-KG am 10. April 1979 abgeschlossenen Darlehensvertrag entnommen. Es hat damit als maßgebenden Lebenssachverhalt die durch den Darlehensvertrag beschriebenen Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der B-KG zugrunde gelegt und daraus den Schluß gezogen, daß die Klägerin der B-KG die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit an den Grundstücken übertragen habe, wie in den Erläuterungen zum Steuerbescheid ausdrücklich ausgeführt wird. Die Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 1985 bezeichnet demgegenüber den maßgebenden Lebenssachverhalt durch die notariell beurkundeten Verkaufsangebote der Klägerin an die A bzw. an die von dieser zu benennenden Dritten, das Kaufangebot der B-KG und den Darlehensvertrag. Damit hat das FA der Einspruchsentscheidung einen anderen Lebenssachverhalt zugrunde gelegt als er durch den Grunderwerbsteuerbescheid erfaßt worden ist, denn das FA hat andere Rechtsvorgänge und insbesondere eine andere Person als Erwerber einbezogen, die bisher noch nicht Gegenstand der steuerrechtlichen Beurteilung gewesen waren. Der Hinweis in den Erläuterungen des Grunderwerbsteuerbescheids auf den Abschluß gegenseitiger Verträge ändert hieran nichts, denn er ist wegen seiner Unbestimmtheit für eine nähere Beschreibung des maßgebenden Lebenssachverhalts nicht geeignet. Insbesondere läßt sich aus diesem Hinweis keinerlei Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß - auch - die Verträge zwischen der Klägerin und der A erfaßt sein sollten, auf die sich das FA in seiner Einspruchsentscheidung wesentlich stützte, und daß der relevante Erwerbsvorgang zwischen der Klägerin als Veräußerin und der A sowie der B-KG als Erwerber stattgefunden haben soll, zumal als Erwerberin ausdrücklich die B-KG genannt wird. Eine ausreichende, die sämtlichen in der Einspruchsentscheidung herangezogenen Verträge umfassende Bezeichnung im Grunderwerbsteuerbescheid ergibt sich auch nicht daraus, daß in Ziff.4 des vom FA genannten Darlehensvertrags auf die Kaufangebote der Klägerin und der B-KG Bezug genommen worden ist. Es ist aus dem Bescheid nicht erkennbar, daß das FA sich auf diese Verträge stützen wollte, insbesondere gilt dies für das Verkaufsangebot der Klägerin an die A. Es fehlt in dem Bescheid vielmehr jegliche Andeutung, daß auch das Verhältnis der Klägerin zur A für die Besteuerung von Bedeutung habe sein können.
2. Die Sache ist spruchreif. Die Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 1985 und der Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. Mai 1983 sind aufzuheben. Für die Einspruchsentscheidung ergibt sich dies bereits aus den Ausführungen unter 1. Der Grunderwerbsteuerbescheid ist aufzuheben, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die vom FA der Besteuerung als Lebenssachverhalt zugrunde gelegten Beziehungen zwischen der Klägerin und der B-KG - selbst wenn über den Darlehensvertrag hinaus die anderen vom FG genannten Rechtsvorgänge einbezogen würden - nicht den Schluß zulassen, daß ein wie immer gearteter grunderwerbsteuerpflichtiger Tatbestand, insbesondere § 1 Abs. 1 Nr. 7 oder § 1 Abs. 2 GrEStG, erfüllt worden wäre. Auch das FG geht davon nicht aus, ohne daß es hieraus allerdings die notwendigen Folgerungen gezogen hätte, denn es führt aus, daß das FA unzutreffend angenommen habe, daß die Verwertungsbefugnisse der B-KG übertragen worden seien; vielmehr sei die Verwertungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GrEStG der A eingeräumt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 419704 |
BFH/NV 1994, 758 |