Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat schließt sich dem Urteil des BFH vom 27. April 1965 I 324/62 S (BFHE 82, 445, BStBl III 1965, 409) an, wonach eine Pauschalrückstellung für Wechselobligo nicht gebildet werden kann, soweit die Wechsel bis zum Bilanzaufstellungstag eingelöst wurden.
2. Zur Frage der Anwendung einer zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen getroffenen Vereinbarung über eine in Zukunft anzuwendende Schätzung von Bilanzposten.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Streitig ist die Höhe von Rückstellungen für Wechselobligo. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Inhaber einer Importfirma für Getreide und Futtermittel sowie eines Getreide- und Futtermittelgroßhandels. Er begehrt für die Streitjahre die Anerkennung von Rückstellungen für Wechselobligo in Höhe von 2 % der am Bilanztag noch nicht eingelösten weitergegebenen Kundenwechsel. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) anerkannte nach Durchführung einer Betriebsprüfung im April 1967 nur pauschale Rückstellungen in Höhe von je 3 000 DM statt 26 400 DM bzw. 18 900 DM für 1961 und 1962, je 4 000 DM statt 31 000 DM bzw. 38 000 DM für 1963 und 1964 und von 5 000 DM statt 49 300 DM für 1965.
Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. Mit seiner Klage hatte der Kläger Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Der Umstand, daß beim Kläger seit 1957 tatsächlich keine nennenswerten Verluste mehr eingetreten und daß die Wechsel laufend pünktlich eingelöst worden seien, hindere die begehrte Rückstellungsbildung nicht. Der Aufhellungstheorie des Urteils des BFH vom 27. April 1965 I 324/62 S (BFHE 82, 445, BStBl III 1965, 409) könne nicht beigetreten werden. Sie lasse sich mit dem Stichtagsprinzip nicht vereinbaren. Der Umstand, daß der Wechselschuldner seiner Verpflichtung aus dem Wechsel zeitgerecht nachgekommen sei, lasse nicht auf die Bonität des Schuldners zur Zeit des für den Wechselgläubiger maßgebenden Bilanzstichtags schließen. Es sei denkbar, daß gerade ein Wechselverpflichteter sich nur unter großen Mühen das Geld für die Wechseleinlösung habe verschaffen können, weil er im anderen Fall den schnellen Zugriff des Wechselgläubigers mittels Urkundenprozeß gefürchtet habe. Ob ihm die Geldbeschaffung glücken werde, habe jedoch am Bilanzstichtag durchaus zweifelhaft sein können. Nach dieser Auffassung sei eine Rückstellungsbildung auch im vorliegenden Fall zulässig. Der Maßstab für das Wechselobligo sei in der Schlußbesprechung der letzten Betriebsprüfung Anfang 1962 angelehnt an die Wertberichtigung auf Forderungen vereinbart worden. Diese sei für die Streitjahre vom FA auch nicht beanstandet worden. Der Senat sehe keinen Grund, demgegenüber für das Wechselobligo vom vereinbarten Satz von 2 % abzugehen. Er verweise hierzu auf Leitsatz und Gründe des BFH-Urteils vom 19. Januar 1967 IV 117/65 (BFHE 88, 204, BStBl III 1967, 336).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz.
Die Zulässigkeit der Bildung einer Rückstellung wegen der Gefahr, aus am Bilanztag noch bestehenden, auf weitergegebenen Kundenwechseln beruhenden Wechselverbindlichkeiten in Anspruch genommen zu werden, ist in der Rechtsprechung des BFH für die Gewinnermittlungsbilanz unbestritten (Urteile I 324/62 S; vom 19. Januar 1967 IV 91/93, BFHE 88, 201, BStBl III 1967, 335; IV 117/65).
Die Bildung einer Rückstellung wegen eines Wechselobligos kommt nach dem Urteil des BFH I 324/62 S jedoch nicht in Betracht, soweit bis zum Tag der Bilanzaufstellung Umstände eingetreten oder bekanntgeworden sind, aus denen zu schließen ist, daß am Bilanztag die Gefahr einer Inanspruchnahme nicht bestand. Als einen solchen Umstand sieht das Urteil es an, daß der Wechselschuldner den Wechsel bis zum Tag der Bilanzaufstellung eingelöst hat, vorausgesetzt, daß die Bilanz innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs (§ 39 Abs. 2 HGB) zeitgerecht aufgestellt wurde. Auf Grund der Einlösung der Wechsel ist nach der Entscheidung der Schluß gerechtfertigt, daß ein Ausfall der durch Wechsel gesicherten Forderung bzw. eine Inanspruchnahme aus einem weitergegebenen Wechsel am Bilanztag nicht drohte, so daß für die Bildung eines Delkrederes oder einer Rückstellung kein Anlaß besteht.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanz handelt es sich nicht um einen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip, demzufolge für die Bewertung der bilanzierten Wirtschaftsgüter oder für die Bildung von Rückstellungen die tatsächlichen Verhältnisse am Bilanztag entscheidend sind. Diesem Grundsatz wird durch die Wertaufhellungstheorie des Urteils I 324/62 S in besonderem Maße Rechnung getragen. Eine Bilanz würde nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen, wenn der Kaufmann bei ihrer Aufstellung für die Bewertung bedeutsame Umstände nicht berücksichtigte, die ihm rechtzeitig zur Kenntnis gekommen sind oder die er bei sorgsamer Erforschung der Verhältnisse des Bilanztags hätte kennen müssen.
An der Richtigkeit des Grundsatzes vermögen die Überlegungen der Vorinstanz, wonach im Einzelfall der Schuldner am Bilanztag, obwohl er bis zum zeitgerechten Bilanzaufstellungstag seine Schuld bezahlt hat, gleichwohl zahlungsunfähig gewesen sein kann, nichts zu ändern. Es bleibt dem Steuerpflichtigen unbenommen, im Wege einer Einzelbewertung solche Umstände geltend zu machen. Bei einer Pauschalbewertung mit einem bestimmten durchschnittlichen Vomhundertsatz der noch nicht bezahlten Wechselverbindlichkeiten ist auch dieses Risiko mit eingeschlossen und berücksichtigt.
Die Ausführungen der Vorinstanz über eine Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem FA bei der Schlußbesprechung anläßlich der Betriebsprüfung Anfang 1962 können die Entscheidung des FG nicht stützen. Zwar werden derartige Vereinbarungen über eine bestimmte künftige Bilanzierungsweise in der Rechtsprechung des BFH als bindend anerkannt (vgl. Urteil vom 19. September 1958 VI 221/57 U, BFHE 67, 396, BStBl III 1958, 425) betreffend Bemessung der AfA unter bindender Schätzung der Gesamtnutzungsdauer des Wirtschaftsguts. Immer aber sind sie nur insoweit bindend, als sie nicht gegen geltende Rechtsgrundsätze verstoßen. Sie stehen daher, wo es sich um die künftige Schätzung bei bestimmten Bilanzposten, wie z. B. Rückstellungen, Delkredereabschreibung usw., handelt, stets unter dem Vorbehalt, daß die tatsächlichen Verhältnisse diese Schätzung rechtfertigen. Im Streitfall durfte daher das FG auf die Vereinbarung erst zurückgreifen, nachdem es die Schätzungsgrundlagen nach Maßgabe der obigen Ausführungen Festgestellt hatte, und unter der Voraussetzung, daß die zwischen dem FA und dem Kläger vereinbarten 2 % innerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liegen. Sie gelten dann zugunsten wie zuungunsten des Klägers.
Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben und die Streitsache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit diese die Feststellungen trifft, die bei Anwendung der dargestellten Grundsätze die Bewertung der Rückstellung für Wechselobligo ermöglichen. Dabei bemerkt der Senat, daß die Ausführungen des Urteils IV 117/65, wie sie im Leitsatz zusammengefaßt sind, nicht so zu verstehen sind, daß Rückstellung für Wechselobligo stets nach den Grundsätzen der Forderungsbewertung zu bemessen ist.
Bei Ermittlung des Schätzungsrahmens wird die Vorinstanz auch den Grundsatz zu beachten haben, wonach für die Bemessung einer Rückstellung die tatsächlichen Verhältnisse, hier die Inanspruchnahme aus Wechselverbindlichkeiten in der Vergangenheit, einen wertvollen Anhaltspunkt bieten (Urteile des BFH vom 1. April 1958 I 60/57 U, BFHE 67, 47, BStBl III 1958, 291; vom 28. Juni 1963 VI 328/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 377; IV 91/63).
Fundstellen
Haufe-Index 70310 |
BStBl II 1973, 218 |
BFHE 1973, 106 |